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und sie erwachten erst allmählich, als ich nach meiner Genesung wieder mühsam versuchte, in unserer Welt Fuss zu fassen – aber ich möchte der Geschichte nicht vorgreifen. Gehen wir also zunächst zurück zu dem Moment, als ich meinen Körper verlassen hatte und die geistige Welt betrat. Jene Welt, in der es keine Zeit gibt und in der das Allwissen so selbstverständlich gegenwärtig ist wie die Luft, die uns Erdenwesen umgibt.

      Auf meiner Reise im »Jenseits« begegnete ich als Nächstes jenem Phänomen, das in praktisch allen Nahtodberichten erwähnt wird und darin eine zentrale Rolle spielt: dem »Licht«.

      Der Jüngling, der ich damals war, könnte am besten als immer fröhlicher, unbekümmerter Springinsfeld beschrieben werden. Viele Gedanken um die Zukunft machte ich mir eigentlich nicht, vielmehr nahm ich die Dinge, wie sie kamen, und lebte frisch drauflos. Als Kind war ich ziemlich eigenwillig und wusste meinen Wünschen und Forderungen gegen die Konkurrenz von fünf Geschwistern durch Quengeln und, falls nötig, auch mit Wutanfällen Nachdruck zu verleihen. Heute würde man meine Art wahrscheinlich als »hyperaktiv« bezeichnen. Meine mit ihren sechs Kindern ziemlich überforderte Mutter nannte mich einen Trotzkopf und hielt meine ungestüme Natur mit Zucht und Strenge im Zaum, der Teppichklopfer war meinem Hinterteil ein vertrauter, wenn auch nicht besonders geschätzter Bekannter.

      Mein Elternhaus war nach katholischer Tradition sehr religiös geprägt. Wir sechs Kinder wurden angehalten, jeden Sonntag die Kirche zu besuchen (wozu wir Sonntagskleider angezogen bekamen), am Samstag zur Beichte zu gehen und nach Möglichkeit die zehn Gebote einzuhalten. Falls uns das nicht gelang, bot ja die katholische Kirche zur Entsorgung der Sünden und Entlastung der Seele die Beichte an. Diese katholische Ritualwelt faszinierte den leicht zu beeindruckenden Buben, der ich damals war. Das geheimnisvolle Geflüster im Beichtstuhl, das ganze Brimborium mit Weihrauch, Orgelmusik und Gesängen während des Gottesdienstes und das feierliche Auftreten des Pfarrers, der, in opulente Kleider gehüllt, in lateinischer Sprache verheissungsvolle Formeln sprach – das alles machte einen grossen Eindruck auf mich und schlug mich in seinen Bann. Vor einem vollen Kirchenschiff zu stehen (damals waren die Kirchen noch voll) und mit ausgebreiteten Armen zu einem gebannten Publikum zu sprechen und zu singen – das musste ein Traumleben sein! Das wollte ich haben! Ich wollte Priester werden.

      Als Bub hatte ich ein unverkrampftes Verhältnis zum lieben Gott und tief in mir hegte ich die Hoffnung (die schon fast an Ahnung grenzte), dass er mich zu etwas Besonderem ausersehen hatte. So war es für mich nichts Aussergewöhnliches, dass ich meinem Schöpfer in einer nächtlichen Absprache nach dem Nachtgebet das Versprechen abnahm, dass er mir den Wunsch, Priester zu werden, erfüllen solle. Und dass er mich, falls ich mich irgendwann einmal aus noch nicht absehbaren Gründen von ihm abwenden sollte, mit allen Mitteln wieder auf den rechten Weg bringen müsse. Es mag ein wenig absonderlich klingen, dass ich mich an dieses kindliche Gebet erinnern kann, aber jener Moment hat sich mit solcher Klarheit in mein Gedächtnis eingebrannt, wie es nur besondere Momente im Leben machen.

      Ich bat den »lieben Gott« inbrünstig, in mir das heilige Feuer, das mich damals beseelte, nie zum Erlöschen kommen zu lassen. Als Gegenleistung versprach ich, ihm mein Leben zu widmen und als sein PR-Mann tüchtig für ihn Reklame zu machen, am liebsten vor möglichst vielen Zuhörern. Ich ahnte damals noch nicht, mit welchen Konsequenzen dieser Deal verbunden sein sollte und dass er, jedenfalls von seiner Seite her, ziemlich präzise erfüllt werden würde, wenn auch auf eine andere Weise, als ich sie mir damals vorstellte.

      Mit ungefähr zwölf oder dreizehn Jahren eröffnete ich also meinen erstaunten Eltern, dass ich mich entschieden hätte, Priester zu werden, und dass ich meine schulische Ausbildung bis zur Matura in einem Priesterseminar zu geniessen gedenke. Meine Eltern, obwohl in traditionellem Sinn tiefreligiös, hatten allerdings ihre Bedenken, ob ihr wilder Sprössling für das zölibatäre Amt des Seelsorgers genügend Eignung besass. Kurz, sie stellten sich gegen mein Ansinnen.

      Besonders bemerkenswert war die Reaktion meines Vaters. Er war von seiner Art her ein eher introvertierter Mann, der sich normalerweise schwertat, über persönliche Themen zu reden. Auch war er ein linientreuer Katholik, der nichts auf seinen Glauben kommen liess. Dass ausgerechnet er gegen mein Vorhaben war, erstaunte mich deshalb ziemlich. Wohlwollend meinte er hinter einem zurückgehaltenen Schmunzeln: Wenn ich einmal siebzehn oder achtzehn sei und entdeckte, dass nicht nur der liebe Gott, sondern auch die Mädchen über eine gewisse Anziehungskraft verfügten, würde ich ihm noch dankbar sein für seine ablehnende Haltung. Wie recht er doch hatte!

      Obwohl ich schon vom zarten Kindesalter an mit dem »lieben Gott« plauderte und meine Gebetlein aufsagte, hatte ich nur eine vage Vorstellung, wer das eigentlich sein könnte. Mein Gottesbild wurde von Eltern, Religionslehrern, Priestern und ihren Predigten geformt und entsprach in etwa jenem ziemlich Furcht einflössenden Richter und Erbsenzähler, der die Guten ins Töpfchen und die Schlechten ins Kröpfchen befördert, und mit dem man sich besser gut stellte.

      Ich hatte also jene ambivalente Gottesvorstellung eingebläut bekommen, die ihn zwar als liebenden und alles verzeihenden Vater, aber gleichzeitig als unerbittlichen Rächer und zornigen Verdammer darstellt. Ich sah ihn als eine Art Übermensch, der von den Menschen fordert, dass sie gut und lieb sind, sie aber letztendlich den grausamsten Höllenqualen überantwortet, wenn es ihnen nicht gelingt, ein Leben nach seinem Gusto zu führen: Einer, der seine geliebten Schäfchen aufs Hinterlistigste in Versuchung führt, um sie dann händereibend ins ewige Feuer zu werfen, sollten sie in seine Falle tappen. Damit er aber trotz so viel Gemeinheit noch gut dastand, wurden diese Schikanen nicht ihm angelastet, sondern seinem Kettenhund, dem Teufel. Ich lernte also Satan als mächtigen Gegengott kennen, vor dem sich viele Gläubige mehr fürchteten, als sie den lieben Gott zu lieben vermochten.

      Wie sollte ein Kind mit so unterschiedlichen Informationen umgehen und ein ungezwungenes Verhältnis zu seinem Schöpfer aufbauen können? Ich entschied mich daher schon früh, den Teufel aus meinem Glauben auszusparen, weil er so ganz und gar nicht zu dem passte, was ansonsten über die angeblich grenzenlose Liebe Gottes berichtet wurde.

      Als ich dann mit wachsendem Interesse und Verstand vernahm, dass der Vatergott aus lauter Liebe zu seinen missratenen Kindern seinen Sohn (der eigentlich gar nicht sein Sohn war, sondern er selber) als Mensch verkleidet auf die Erde schickte, um seine Geschöpfe aus der Misere zu retten und von den Sünden zu erlösen, in die er sie mit seiner »Versuchung« geritten hatte, war meine Verwirrung komplett. Diese himmelschreiende Diskrepanz, die einem da als Glaubensinhalt vorgesetzt wurde und die ich beim besten Willen nicht verstand, quälte mich. Die Vorschrift, dass man einfach glauben müsse, dass Jesus Christus Gottes Sohn sei und man damit fein raus sei aus der Bredouille, machte die Sache nicht einfacher. Wenn er uns von unseren Sünden erlöst hatte, sodass man sich keine Sorgen mehr zu machen brauchte, wieso musste man dann trotzdem für seine Fehltritte im Fegefeuer oder in der Hölle braten? Hatte er uns nun eigentlich erlöst oder nicht? Und wieso erlöste er nur jene seiner eigenen Kinder, die an die Jesus-Gottmensch-Erlösergeschichte glaubten und alle, die ehrliche Zweifel hatten oder in einer anderen Religionskultur aufgewachsen waren, nicht? Ist er nun eigentlich der Gott aller Menschen oder nur einer auserwählten Minderheit? Die Sache ging für mich einfach nicht auf.

      Hier begann meine Forschung nach der Wahrheit, die mich seither antreibt und mich zu einem unermüdlich Suchenden machte. Sie hat mich dazu gebracht, Hunderte von Büchern zu lesen, mit unzähligen Menschen Diskussionen zu führen und mich mit zahlreichen Religionen und Konfessionen einzulassen – doch davon später. Mein Bild von Gott war an jenem Tag, als mich die Fahrt mit meinem Motorrad an ein Ziel führte, das man gemeinhin als »das letzte« bezeichnet, ein gelinde gesagt zwiespältiges.

      Nun befand ich mich also in einem geistigen Zustand, in dem ich zwar keinen Körper mehr besass, aber ein Bewusstsein und eine Wahrnehmungsfähigkeit. Dieses Bewusstsein übertraf in seiner Klarheit und Grenzenlosigkeit alles, was man sich vorstellen kann. Nachdem ich einigermassen verkraftet hatte, dass es in dieser ungewohnten neuen Dimension keine Zeit gab und ich ein Teil des gesamten Wissens war, gewahrte ich eine Art Morgenröte, die wie an einem fernen Horizont zu schimmern begann. Dieses zarte Licht hatte eine Wirkung auf meinen Gefühlszustand, der nicht zu beschreiben ist. Ich bemerkte sofort, dass dieses Licht nicht einfach ein heller Schein war, sondern

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