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Spiritualität und zölibatäre Keuschheit

      Welche Hilfen bieten die christlichen Spiritualitäten einem Priester, der einigermaßen zufrieden und authentisch das Versprechen zölibatärer Keuschheit leben will? Welche Ermutigungen und Bestärkungen geben sie ihm, wenn er sich immer mehr dahin entwickeln will, ein freier und liebender Mensch zu werden und immer mehr die – wohl niemals endgültig erreichbare – Balance zwischen einer geordneten Selbstliebe, Gottesliebe und Nächstenliebe finden will? Dazu zunächst einige Präzisierungen und Grundannahmen, die ich als zölibatär lebender Ordenspriester aus männlicher Perspektive schreibe. Eine weibliche Sicht- und Erlebensweise würde diese Perspektive sicherlich bereichern, erweitern und möglicherweise verändern.

      Präzisierungen und Grundannahmen

      Ich schreibe im Hinblick auf Priester der katholischen Kirche, die im Kontext ihrer Lebensentscheidung – wenn sie Diözesanpriester sind – ihrem Bischof bei der Priesterweihe versprochen haben, zölibatär zu leben, bzw. Ordensmänner, die bei der Profess ihrem Ordensoberen das Gelübde der Keuschheit abgelegt haben. Anders gesagt: Ich habe jene Priester im Blick, die sich zu einem authentischen zölibatären Leben berufen erleben, nicht diejenigen, die den Zölibat sozusagen „in Kauf nehmen“.

      Katholische Priester sind wie alle Menschen weder Tiere noch Engel. Sie sind zwar vernunftbegabt und richten ihr Leben und Handeln auf Werte aus. Zugleich aber sind sie lebenslang – was Freud schon vor 120 Jahren beschrieben hat – von ihren Triebdynamiken beeinflusst. Sie müssen – wie jeder andere Mensch auch – Affektregulierung und Impulskontrolle erst lernen und dann lebenslang üben. „Abtötung“ nannte man das in der aszetischen Literatur bis etwa in die 1960er-Jahre. Das Wort hat heute keinen guten Klang und ist wegen der damit assoziierten Missverständnisse im deutschen Sprachraum aus der spirituellen Literatur fast völlig verschwunden. Auch der frömmste Priester hat nicht nur in der ersten Lebenshälfte erotische Phantasien gegenüber anderen Frauen oder Männern – und Todeswünsche genauso.

      Erotik, Zärtlichkeit und Sexualität sind gute Gaben Gottes zur Freude am Leben und für ein „Leben in Fülle“ (Joh 10,10). Wenn man sie von Gott fernhält, holt sie sich der Teufel, so wie er sich – im Bild gesagt – alles holt, was man nicht mit Gott in Berührung bringt! Sie gehören konstitutiv zum Menschsein, egal ob man die darinliegenden Möglichkeiten aktualisiert oder um des Wertes der eigenen Berufung willen auf die Realisierung verzichtet. Werden sie nicht akzeptiert und deshalb als etwas Böses und Fremdartiges abgespalten, dann ist die Gefahr nur allzu groß, dass sie als Ich-fremde Dämonen mit enormen Energien immer wieder nachdrängen und sie sich buchstäblich „der Teufel holt“, wovon die Missbrauchsskandale der Vergangenheit ja ein beredtes Zeugnis ablegen. Schon Freud wusste, dass die „Dämonen“ unsere bösen, verworfenen Wünsche sind, Abkömmlinge abgewiesener, verdrängter Triebregungen.

      Priester sollen – und wollen hoffentlich – einen menschenfreundlichen Gott verkünden, einen zugewandten Jesus repräsentieren und von einem lebensspendenden Heiligen Geist erfüllt sein. Deswegen ist es richtig oder zumindest wünschenswert, dass niemand sich und seine Mitmenschen vorrangig unter dem Aspekt der Gefahr ansieht. Ich sehe vielmehr mein Gegenüber als jemand, der/die mein Leben bereichert und dessen Leben ich bereichern kann. Das prägt meinen Umgang mit anderen Männern und Frauen. Ich werde mich eher bemühen, gelingende Beziehungen – asymmetrische und symmetrische – zu entwickeln und zu gestalten, als ängstlich darauf achten, eventuelles Scheitern zu vermeiden. „Wir wissen, dass unser Glaube jede Dunkelheit überwinden, dass unsere Hoffnung Brücken bauen und dass unsere Liebe heilen kann“, sagte die 36. Generalkongregation des Jesuitenordens im Jahr 2016 an die Adresse der Jesuiten. Daran dürfen sich natürlich auch andere (Ordens-)Priester orientieren.

      Ignatius von Loyola: Erfahrungen und Reflexionen

      Weitere Spekulationen mögen vielleicht den eigenen Voyeurismus befriedigen, führen aber in der Fragestellung nicht weiter. Aus der ignatianischen Spiritualität scheint mir stattdessen für das äußere Verhalten wie für die innere Einstellung die geistliche Übung der „dritten Weise der Demut“ hilfreich und weiterführend zu sein. Sie steht im Exerzitienbuch in der so genannten „zweiten Woche“, in der es um die Nachfolge Christi geht.

      Hinweise aus dem Exerzitienbuch

      Gewiss verläuft für jeden Menschen, der ignatianische Exerzitien macht, der individuelle spirituelle Weg einmalig und einzigartig. Es geht gerade darum, sich nicht einem vorgegebenen Weg oder einem zu erreichenden Ziel zu unterwerfen, sondern den eigenen Weg zu suchen und zu finden. Mit dieser Vorbemerkung lassen sich die geistlichen Wachstumsschritte für die erste und die zweite Phase („Woche“) der ignatianischen Exerzitien so beschreiben: Auf (m)einem Exerzitienweg beginne ich, Geschmack am Glauben zu finden. Ich spüre

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