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von Objekten getrennt weiterverarbeitet und bis ins Detail analysiert. Im auditorischen System dienen die nachgeschalteten Areale u.a. der Analyse von Geräuschen, Klängen und Melodien und der Sprachverarbeitung. Diese Leistungen basieren nicht nur auf dem Sinneseindruck an sich, sondern insbesondere auch auf dem Abgleich der aktuellen Wahrnehmung mit bereits gespeicherten Informationen, also vorhandenem Wissen. Diese Vergleiche erlauben es, Sinnesinformation zu bewerten (etwa als neu oder vertraut) und hinsichtlich ihrer Bedeutung zu interpretieren. Unser VorwissenVorwissen ermöglicht es, z.B. das Maunzen einer Katze zu erkennen oder das Klingeln der Türglocke vom Telefon zu unterscheiden.1 Die sekundären Wahrnehmungsareale können mit ihrem Reifungsprozess, insbesondere mit dem PruningPruning, erst starten, wenn die primären Areale ihre Arbeit bereits aufgenommen haben. Dazu brauchen die primären Areale noch nicht ausgereift zu sein, müssen aber ein Synapsennetz besitzen, das dicht genug ist, um Informationen zu verarbeiten und an die nachgeschalteten Areale weiterzugeben (vgl. Casey et al. 2005). Erst, wenn die nachgeschalteten Areale, hier also die sekundären Wahrnehmungsareale, „Input“ in Form von Nervenimpulsen bekommen, können sie feststellen, welche Verbindungen dabei häufig genutzt werden und welche Verbindungen weniger nützlich sind. Der aufeinander aufbauende Entwicklungsverlauf der Areale bringt es mit sich, dass bestimmte Leistungen selbst der Sinnessysteme erst recht spät entwickelt werden. Ein frappierendes Beispiel hierfür ist die Schätzung der Geschwindigkeit sich bewegender Objekte durch das SehsystemSehsystem: Erst mit etwa 16 Jahren kann ein junger Mensch ebenso verlässlich wie ein Erwachsener einschätzen, mit welcher Geschwindigkeit sich ein Objekt (z.B. ein Auto) nähert.

      Abb. 4: Die multimodalen AssoziationsarealeAssoziationsareale (angegeben ist die ungefähre Lage im Gehirn) dienen der VernetzungVernetzung zwischen den Sinnessystemen bzw. zwischen Sinnesinformationen und Bewegungen/Handlungen. Die Verbindung dieser Informationen ist die Basis für höhere kognitive Leistungen. Der präfrontale Cortexpräfrontaler Cortex, die u.a. für die Handlungsplanung bedeutsame Region, lässt sich in den dorsolateralen präfrontalen CortexCortex (DLPFC), den lateralen präfrontalen Cortex (LPFC), den ventrolateralen präfrontalen Cortex (VLPFC) und den orbitofrontalen Cortex (OFC) untergliedern.

      Sobald die sekundären sensorischen Areale wenigstens grundsätzlich funktionieren, nehmen als letzte Bereiche der GroßhirnrindeGroßhirnrinde die (multimodalen) AssoziationsarealeAssoziationsareale ihre Arbeit auf (vgl. Gogtay et al. 2004). Sie verbinden die Informationen aus mehreren Sinnessystemen, ordnen sie, speichern Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Sinneseindrücken2 und bilden so nach und nach Kategorien und Konzepte aus. Ihre Arbeit ist die Basis für höhere kognitive Funktionen, planvolles Handeln, strategische Vorgehensweisen und langfristige Planungen. Eines der Assoziationsareale liegt im ParietallappenParietallappen (vgl. Abb. 4) und grenzt an visuellevisuell, auditive und somatosensorische Areale. Hier findet die Integration dieser Sinnesinformationen vorrangig im Hinblick auf räumliche Aspekte statt. Ein weiteres Assoziationsareal liegt im TemporallappenTemporallappen und ist schwerpunktmäßig an der Erkennung und Kategorisierung von Objekten beteiligt. Das frontale Assoziationsareal, der präfrontale Cortexpräfrontaler Cortex, ist zentral für die Steuerung planvollen Handelns. Die Assoziationsareale reifen erst während der PubertätPubertät aus, einige Bereiche des Parietallappens und des präfrontalen CortexCortex sogar erst im frühen Erwachsenenalter (vgl. Gogtay et al. 2004; Huttenlocher 1979, 1990; Sowell et al. 2003). Ausgewählte Aspekte der Hirnreifung in der Pubertät und AdoleszenzAdoleszenz werden in Kap. 2.6 dargestellt.

      2.4 Vom Feldweg zur Schnellstraße: Myelinisierung von Nervenfasern

      Parallel zum Aufbau des Neuronennetzes hat bereits ein weiterer Prozess begonnen, der die Verarbeitungsgeschwindigkeit beeinflusst, aber auch die Intensität der neuronalen AktivierungAktivierung erhöht (vgl. Olesen, Nagy et al. 2003): Die Nervenfasern erhalten ihre Myelinschicht, die wie eine Art Isolierung die Leitfähigkeit der Nervenfasern verbessert. So können die elektrischen Impulse über die AxoneAxone schneller und verlässlicher weitergegeben werden. Auch hier sind die Gliazellen wieder von immenser Bedeutung. Spezielle Gliazellen, die OligodendrocytenOligodendrocyten, wickeln sich spiralförmig um die Axone, sodass ihre Zellmembran schließlich in vielen Schichten um das Axon herum liegt. Die Gliazellen lagern in ihren Zellmembranen einen sehr hohen Anteil an Lipiden ein, die die Isolierung gewährleisten. Da MyelinMyelin eine weißliche Farbe hat, spricht man von der weißen Substanzweiße Substanz des Gehirns. Durch die Myelinisierung steigt die Geschwindigkeit, mit der Nervenimpulse von einem NeuronNeuronen zum anderen weitergegeben werden, von 3 Metern pro Sekunde auf bis zu 115 Metern pro Sekunde. Damit werden Wahrnehmungs-, Denk- und Entscheidungsprozesse um ein Vielfaches schneller und effektiver.

      Die Myelinisierung beginnt im motorischen und somatosensorischen System (vgl. Abb. 4), also in den Bereichen, in denen auch die SynaptogeneseSynaptogenese begonnen hat. Das ist nur folgerichtig, denn schließlich sind hier die AxoneAxone, die umhüllt werden sollen, bereits ausgebildet. Im Kernspinbild ist die beginnende Myelinisierung in diesen beiden Regionen schon bei der Geburt sichtbar (vgl. Staudt, Krägeloh-Mann & Grodd 2000). Darauf folgt die Myelinisierung der Axone des primären auditorischenauditorisch und visuellenvisuell CortexCortex (im Alter von 5 Monaten, vgl. Dubois et al. 2014; Staudt et al. 2000). Die Myelinisierung der AssoziationsarealeAssoziationsareale verläuft tendenziell von hinten nach vorne. Die Myelinisierung des parietalen, hinteren Assoziationscortex beginnt also vor der des frontalen Assoziationscortex. Der frontale Cortexfrontaler Cortex reift als Letztes aus. Anders als bei der Reifung der Neurone, ist die Myelinisierung nicht an einzelne Areale der GroßhirnrindeGroßhirnrinde gebunden, sondern betrifft vielmehr das „Innere“ des Großhirns, das sogenannte Mark. Hier verlaufen die großen Nervenbahnen aus vielen langen Axonen, die die Informationen von einem Hirngebiet zum anderen übertragen. Diese Bahnen ermöglichen die Kommunikation zwischen den Hirnarealen und bilden so die Grundlage für eine ganzheitliche Wahrnehmung, die Berücksichtigung unterschiedlicher Informationen, etwa bei Entscheidungsprozessen, die Verbindung von EmotionenEmotion und Vernunft usw. Darüber hinaus erlauben sie auch Rückkopplungen von den Assoziationsarealen zu den sekundären und primären Arealeprimäre Arealen. Auf diese Weise werden Wahrnehmungen verfeinert, aber auch bestimmte Aufgaben effektiver erledigt. Wer schon einmal in einem vollen Regal vergeblich ein Buch gesucht hat, von dem er glaubte, es habe z.B. einen roten Rücken, obwohl dieser tatsächlich grün oder blau war, versteht leicht, welchen Effekt die – in diesem Fall falsche – Information haben kann, die von präfrontalen Planungsarealen an das Sehzentrum gegeben wird.

      Die Myelinisierung der großen Verbindung zwischen der linken und rechten Hälfte des Großhirns, des Corpus callosumCorpus callosum mit ca. 200 Millionen Nervenfasern, beginnt früh, zeitgleich mit der Myelinisierung der primären sensorischen Areale und endet erst im Jugendalter. Das Corpus callosum ist u.a. an der Integration von Wahrnehmungsprozessen, an Speicherung und Abruf von Informationen aus dem Gedächtnis und an Aufmerksamkeitsprozessen beteiligt. Im Gegensatz zu kortikalen NervenzellenNervenzellen, die einem Aufbau und einem anschließenden, gezielten Abbau unterliegen, lässt sich bei der weißen Substanzweiße Substanz ein Anstieg bis ins junge Erwachsenenalter ohne nachfolgenden Abbau feststellen (vgl. Lenroot & Giedd 2006).1

      2.5 Die Verschränkung neuronaler und kognitiver Entwicklungkognitive Entwicklung

      Zusammenfassend lässt sich an diesem Punkt festhalten, dass bei der Entwicklung des Gehirns bis ins frühe Erwachsenenalter hinein zwei Prozesse leicht zeitlich versetzt, aber in ihrer Abfolge mehr oder weniger parallel ablaufen, nämlich die Entwicklung der Gehirngebiete mit den NervenzellenNervenzellen einerseits – das Wachstum unserer „grauen Zellen“ – und die Myelinisierung der Verbindungen zwischen den Nervenzellen andererseits – die Ausbildung der weißen Substanzweiße Substanz des Gehirns. Während des Wachstums ist die Entwicklungsgeschwindigkeit nicht gleichbleibend hoch. Zu Beginn der Entwicklung wächst das Gehirn – so wie die anderen Körperteile auch – besonders schnell. Bis zum Alter von 9 bis 10 Jahren hat es ca. 95 % der Größe des erwachsenen Gehirns erreicht (vgl. Huttenlocher 1979), die Anzahl der Neurone im Gehirn und die Dichte der weißen Substanz ändern sich aber weiterhin. Zudem haben bereits frühe Untersuchungen mittels EEGEEG und einfache Messungen des Kopfumfangs auf Entwicklungsschübe

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