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bzw. einsprachigem Hintergrund gibt – dafür wurde nach der Familiensprache gefragt –, ob Mädchen und Jungen unterschiedlich profitieren, und ob die kognitiven Grundfähigkeiten einen Einfluss auf die Wirkungsintensität der Förderung haben. Während diese Faktoren über Tests erhoben wurden, waren wir bei den Fragen nach dem soziokulturellen Status und nach der Wirkung der Förderungen auf die Lesemotivation und das lesebezogene Selbstkonzept auf Selbstauskünfte angewiesen.

      Als Lautleseverfahren haben wir eine Routine modelliert, die wir „Lesetandems“ genannt haben. Dafür lesen zwei Kinder miteinander chorisch mehrfach einen kurzen Text. Die Kinder haben dabei unterschiedliche Aufgaben: Das etwas lesestärkere Kind tutoriert das andere, indem es Lesefehler korrigiert und mit seiner Lesung ein Lesemodell für die Intonation bereitstellt. Das leseschwächere Kind überwindet Stockungen mithilfe seines Modells und wird auf diese Weise bei Fehllesungen und in seinem Leseengagement überwacht. Die vierte Lesung des gleichen Textes, so die Annahme, wird im Tandem von beiden flüssig vollzogen. Nach der Fortbildung der Lehrkräfte wurde das Tandemlesen klassenweise ein Schulhalbjahr hindurch dreimal 20 Minuten wöchentlich durchgeführt.

      Auch das Vielleseverfahren wurde mit diesem Zeitkontingent modelliert. Die Klassen bekamen jeweils etwa 100 mutmaßlich interessante und altersgemäße kinderliterarische Bücher; minimale Kontrollverfahren wurden entwickelt und eingesetzt. Auch hier wurden die Lehrkräfte zunächst fortgebildet und die korrekte Durchführung wurde in regelmäßigen Abständen überprüft. In den Deutschunterricht der Klassen, die als Kontrollgruppe dienten, wurde nicht eingegriffen.

      In die erste Studie dieser Art waren 527 Schüler/innen der 6. Klassenstufe an Hauptschulen in einem städtischen Gebiet einbezogen; sie lagen im Durchschnitt in ihren Lesekompetenzen erwartungsgemäß etwa eine Standardabweichung unter ihrer Altersgruppe, was etwa einem Schuljahr entspricht. Die Lesekompetenzen der Kinder und verschiedene Hintergrundvariablen wurden über Tests und Fragebögen vor, direkt nach und erneut 4 Monate nach Beendigung der Intervention erhoben. Etwa 63 % dieser Kinder hatten einen Zuwanderungshintergrund, wobei diese Zahl auf der Frage nach der Familiensprache beruhte und vermutlich eher zu niedrig liegt (vgl. detailliert Nix 2011; Rieckmann 2010). Die anschließenden Studien in Grundschulen wurden mit über tausend Kindern in ähnlicher Weise durchgeführt; die Lesekompetenzen der Grundschüler entsprachen dem Altersdurchschnitt (Gold/Behrendt/Lauer-Schmaltz/Rosebrock 2013). Die Durchführung dieser Studien und Details der Verfahren sind publiziert und sollen hier nicht erneut ausgebreitet werden. Auch die Ergebnisse werden im Folgenden nur pauschal dargestellt.

      Die Lautlesetandems hatten bei den schwach lesenden Hauptschüler/innen außerordentlich positive Wirkungen: Diese Gruppe hat in ihrer Leseflüssigkeit fast um eine halbe Standardabweichung gegenüber der Kontrollgruppe profitiert. Der durch die Förderung erreichte Vorsprung blieb auch in der Follow-Up-Testung vier Monate später im Wesentlichen erhalten, was bedeutet: Die Förderung hat die Leseflüssigkeit dieser Gruppe nachhaltig verbessern können. Getestet wurde auch das Textverstehen. Dass die Texte verstehend gelesen werden, wird in der Tandem-Routine nicht eigens angestrebt oder unterstützt, es wird nur gefordert, dass angemessen flüssig gelesen wird. Tatsächlich haben sich aber auch die Textverstehensleistungen der Tandem-Leser/innen nicht nur signifikant, sondern relativ stark verbessert, und auch hier war der Erfolg nachhaltig. Das bestätigt die theoretische Annahme vom Voraussetzungscharakter der Flüssigkeit für das Textverstehen. Durch eine lineare Regressionsanalyse konnte errechnet werden, dass die Verbesserung der Leseflüssigkeit an der Verbesserung des Textverstehens mit dem Wert von .54 (p <.01) beteiligt war – das ist ein außerordentlich hoher Wert. Die Bedeutsamkeit von Leseflüssigkeit für das Textverstehen stellt den Einfluss des Wortschatzes auf das Textverstehen (.22 bei p<01) bei der Gruppe leseschwacher 12- bis 13-Jähriger deutlich in den Schatten (a.a.O.). Dieser Befund ist im Blick auf die Förderung mehrsprachiger Schüler/innen mit Flüssigkeitsproblemen von hoher Bedeutung: Zumindest bei den kinderliterarischen Sach- und Erzähltexten, die wir in der Studie zugrunde gelegt haben, steht die erwartbare Hürde eines kleineren Wortschatzes bei den Mehrsprachigen nicht an erster Stelle. Es ist primär fehlende Flüssigkeit, die das Textverstehen behindert. Sie kann erfolgreich durch Lautleseverfahren verbessert werden. Ein weiterer positiver Aspekt der Lautlesetandems ist ihre gute Implementierbarkeit in den Regelunterricht: Trotz anfänglicher Skepsis einiger Lehrkräfte zeigte die begleitende und nachträgliche Evaluation, dass sowohl die Kinder als auch die Lehrkräfte das Verfahren rundherum positiv bewertet haben.

      Ähnlich, aber deutlich schwächer waren die positiven Wirkungen der Lautlesetandems auf Flüssigkeit und Textverstehen bei den Grundschulkindern. Auch hier ließ sich das Verfahren problemlos in den Unterricht implementieren. Es gab allerdings auf der Prozessebene des Lesens Deckeneffekte, was heißt: Viele der Kinder lasen die von uns zusammengestellten Texte ohnehin flüssig, sodass keine weiteren Zugewinne bei der Flüssigkeit erzielt werden konnten. Sie beurteilten das Training in der Nachbefragung entsprechend eher als langweilig. Allerdings gab es auch eine große Gruppe innerhalb der Grundschüler/innen, die die Texte als zu schwierig wahrgenommen hat und für die das Tandem-Lesen laut Selbstauskünften zu anspruchsvoll war (Lauer-Schmalz/Rosebrock/Gold 2014, Gold/Rosebrock 2017).

      Auch von den Vielleseverfahren waren die Lehrkräfte und die Schülerschaft in der Hauptschul-Studie durchaus begeistert – allerdings: Wenn interessierte Fremde große Kisten mit Buchgeschenken bringen und die Klasse ein Halbjahr lang mit Tests und Unterrichtsbeobachtungen begleiten, liegt Begeisterung unabhängig von der Qualität der Förderung nahe. Und doch zeigten die stillen Lesezeiten keine signifikant werdenden Wirkungen im Vergleich zur Kontrollgruppe: Die Leseflüssigkeit hat sich nicht bedeutend verbessert, und auch das Textverstehen hat nicht profitiert. Am Rande sei hier eine Beobachtung angefügt, die sich wegen der zu kleinen Anzahl an Klassen in unserer Studie nicht empirisch belegen lässt: Die (zu wenigen) Klassen in eher ländlichem Umfeld zeigten Verbesserungen in beiden Dimensionen, Flüssigkeit und Textverstehen, durch die Vielleseverfahren; sie wurden durch die weniger erfolgreichen Klassen im städtischen Umfeld gewissermaßen neutralisiert. Auch Manning, Lewis und Lewis (2010) weisen für den amerikanischen Raum moderate Fördererfolge bei stillen Lesezeiten nach. Nicht verschwiegen werden soll allerdings, dass zahlreiche Us-amerikanische Studien keine Erfolge bei Vielleseverfahren in unterschiedlichen Varianten nachweisen konnten (NICHD 2000).

      Wie lässt sich der fehlende Erfolg der Vielleseverfahren für Leseflüssigkeit und Textverstehen erklären? Oben wurde bereits die Vermutung formuliert, dass Vielleseverfahren in der Tendenz zu anspruchsvoll für solche Leser/innen sein könnten, die Probleme bei der Flüssigkeit haben. Denn sie verlangen über die Wort- und Satzerkennung hinaus eine ganze Anzahl weiterer Fähigkeiten auf verschiedenen Ebenen von Lesekompetenz. In diesem Zusammenhang ist eine US-amerikanische Studie aufschlussreich (Kelley/Clausen-Grace 2010; vgl. auch Rieckmann 2015): In ihr wurde das sichtbare Verhalten von Schüler/innen beim sustained silent reading, bei Vielleseverfahren, über einen längeren Zeitraum beobachtet und anschließend in acht Typen unterteilt. Die Spitzengruppen innerhalb der acht Typen interessieren in unserem Zusammenhang weniger und seien doch kurz erwähnt: Das sind z.B. die sogenannten „Bücherwürmer“, die auch bei konkurrierenden Beschäftigungsangeboten weiterlesen, oder die „Genre-Leser“, die begeistert solche Serienliteratur lesen, von der sie schon Exemplare kennen. Am schwachen Ende der Typen-Skala modellierten die Autorinnen den Typ des „Fake-Readers“. Diese „Als-ob-Leser“ umgehen faktisch das Lesen – sie lassen z.B. den Blick über die Seiten schweifen oder blättern nach Bildern, und sie finden zahlreiche alternative Handlungen (Hände waschen gehen, Bleistift spitzen, Mäppchen verstauen …), um das Lesen zu vermeiden. Vielleseverfahren laufen bei ihnen offensichtlich ins Leere, denn sie lassen sich auf eigenständige Lektüre nicht ein. Von besonderem Interesse im vorliegenden Kontext ist der Typ des „Überforderten Lesers“ ebenfalls am unteren Ende der Skala. Dieser Typ ist im Grunde engagiert, aber er hat aufgrund zahlreicher einschlägiger Misserfolgserfahrungen innerlich weitgehend aufgegeben. Die Lektüre bricht immer wieder ab. Diesem Typ „Überforderter Leser“ lassen sich besonders viele mehrsprachige Schüler/innen zuordnen, aber auch solche aus wenig unterstützenden familiären Kontexten oder mit kognitiven Beeinträchtigungen. Dieser Typ braucht eine genaue Passung der Lesematerialien zu seinen Fähigkeiten, so Kelley und Clausen, um endlich Erfolgserfahrungen bei der Lektüre zu erleben. Wenn diese Kinder die gleichen Texte wie die guten Leser/innen bekommen,

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