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als Frau von Napoleon III., Kaiser von Frankreich. Nur kurz soll sie hier verweilt haben, die preziöse Dame, ihre Familie besass so viele Schlösser, dass sie alle paar Monate den Wohnsitz wechseln konnte. Hat trotzdem einiges umgebaut, wollte den letzten pariserischen Chic in Belmonte haben, prunkvolle Kamine, schön gearbeitete Fenster, zweistöckige Spitzbogengalerie. Die Burg ist gut im Stande, danke, heizbar, bewohnbar, aber nicht bewohnt. Der Dorfpolizist schliesst auf. Unendliche Zimmerfluchten, alles bezugsbereit. Eine Burgbesetzung müsste man anzetteln, Instandbesetzung ist nicht nötig. Nach dem letzten Krieg war hier eine staatliche Mütterschule einquartiert, Vorbereitung der christlichen Mütter auf ein christliches Familienleben, oder was sich Franco darunter vorstellte. Die sind jetzt in ein anderes Schloss umgezogen. Wie es der Zufall so bringt, ist unter den Besuchern von Belmonte ein Ehepaar aus Barcelona, Stickereifabrikanten auf der Durchreise nach Madrid, wo sie ihrer adeligen Kundschaft die letzten Kreationen unterbreiten und Mass nehmen für neue Kleider, und die kennen zufällig die Besitzerin von Belmonte, eine Gräfin von Penaranda, und die wohnt in Madrid und werde den Reisenden gern empfangen, sobald ihn seine Geschäfte dorthin führen würden. Übrigens sei hier ganz in der Nähe ein bewohntes Schloss, Guadamur, die Familie stünde als Sehenswürdigkeit den Gebäulichkeiten in nichts nach. In Guadamur öffnet sich jedoch, solange man auch mit dem Türklopfer klopfen mag, keine Tür. Es ist ja auch schon dunkel. Warum ist der Wassergraben nicht gefüllt? Sehr unordentlich! Muss dem Verein der Freunde der spanischen Burgen gemeldet werden. Auf dem Bergfried flattert ein langer Wimpel. Vielleicht hat der Stickereifabrikant Guadamur mit Layos verwechselt, paar Kilometer weiter Richtung Toledo.

      Und wirklich gibt’s in Layos ein Schloss mit pulsierendem Inhalt. Der jefe sei abwesend, sagt eine Magd am Dienstboteneingang hinter dem grossen Hoftor, aber die Herrin (jefa) würde sogleich eintreffen, der Reisende möge sich doch bitte von dem Jungvolk, das sich übers Wochenende im Schloss aufhalte, in den Salon geleiten lassen; was er denn auch tat. Durch den Innenhof, den geschmackvoll restaurierten, rechteckigen, die Stiegen hinauf in den ersten Stock, wo in einer Wandelhalle Jagdtrophäen ausgestellt sind, vorbei an Elefantenzähnen, Hirschgeweihen, Wildschweinköpfen, Antilopenhörnern in den Salon. Hölzerne Decke in Zeltform, reich geschnitzt, ca. 14. Jahrhundert, mudéjar: so nennt man den Stil, welchen arabische Künstler unter christlicher Herrschaft herausbildeten. Alte tableaux, die nur in Schlössern recht zur Geltung kommen, grossflächig, auf Distanz zu betrachten, dazu knappes, modernes Mobiliar, auch ältere Möbel. Doch, das hat Geschmack. Die Marquise, welche bald erscheint, in gut sitzenden Reitstiefeln; jung-dynamisch, Innenarchitektin. Das Jungvolk aus Madrid, Verwandte, welche hier, wie die Marquise selbst, das Wochenende zu verbringen pflegt, streicht sich die Gesichter mit schwarzer Farbe ein, um den Reiz der Mondscheinpartie zu erhöhen, gleich geht es hinaus auf die Latifundien, und der Reisende wird sich ungestört mit Carmen Icáza de Oriol, die ihm jetzt auch wirklich einen Wein kredenzt, unterhalten können.

      Das ganze Dorf Layos, so beginnt die Marquise von O. ihre Erzählung, habe vor dem Bürgerkrieg einem gewissen Conde de Mora gehört. Illustre Familie! Der erste seines Geschlechts sei Botschafter des Ferdinand von Aragón in Rom gewesen, später habe eine Tochter des Suezkanal-Erbauers Lesseps einen Mora geheiratet, auch Eugénie von Montijo habe zur Sippe gehört, und die Herrlichkeit habe eigentlich erst 1936 ein Ende gefunden, als die Familie fluchtartig Dorf und Schloss verliess, sonst wären sie von den aufgebrachten Bauern, wohl nicht ganz zu Unrecht, sagt die Marquise, umgebracht worden, wie viele ihrer Gattung. Die Bauern hatten nämlich genug von den Grundherren, damals, und wollten sich dieselben definitiv vom Halse schaffen. Das Schloss oder Schlösschen, wie sie es nennt, eine Burg sei das nicht, weil zu wenig wehrhaft, sei dann von der republikanischen Armee besetzt gewesen, die leider etwas übel gehaust und alles brennbare Material verfeuert habe, rücksichtslos den kunsthistorischen Wert des Holzes einem krassen Materialismus opfernd, nur die hölzernen Mudéjar-Decken hätten den Vandalismus überdauert, wie, sei ihr schleierhaft. Später seien dann auch Teile der Internationalen Brigaden hier einquartiert gewesen, welche ebensowenig Sinn für die Schönheit der Gebäulichkeiten entwickelt hätten wie die Soldaten der Republik. Die Bauern aus dem Dorf hätten sich ausserdem verschiedentlich am Mobiliar schadlos gehalten. In einem der Zimmer des Schlösschens habe sie eine Wandzeichnung (Kreide, 20. Jahrhundert) obszönen Inhalts gefunden, zwei nackte, ineinander verschlungene Körper, signiert: John Cunningham, Chicago, diese sei höchstwahrscheinlich von einem internationalen Brigadisten hinterlassen worden; und sie habe den Dorfgipser von Layos ausdrücklich gebeten, weil sie nämlich den Originalitätswert des Gekritzels und auch seinen historischen Erinnerungswert schätzte, die Zeichnung bei der Renovation nicht zu zerstören. Der Dorfgipser jedoch, ein etwas kruder Mann, habe in der Annahme, ihr einen Gefallen zu tun, die Obszönität weggekratzt; bedauerlicher Mangel an Einfühlungsvermögen. Überhaupt seien die Leute hier auf dem Land etwas prosaisch und utilitaristisch eingestellt, an schönen Hunden sei ihnen nichts gelegen, man sehe fast nur Köter im Dorf, es würden nur Bäume gepflanzt, aus denen die Bauern unmittelbaren Nutzen zögen, vor allem Olivenbäume. Pferde gebe es auch kaum, nur Nutzesel, und an der Natur werde Raubbau getrieben; wenig ökologisches Bewusstsein, wenig Schönheitssinn. 1965 habe ihr Mann, der Architekt, welcher in Madrid gut und gerne vierzig Angestellte in seinem Büro beschäftige und internationales Ansehen geniesse und auf der ganzen Welt baue, aber auch jage, kürzlich wieder in der Äusseren Mongolei (Büffeljagd) – habe er also das heruntergekommene Schlösschen gekauft und fachgerecht restauriert, im gleichen Zug auch sozusagen alles Land im Dorf erworben, das ja traditionellerweise zum Schlösschen gehört habe, alles zu einem Preis, den man noch christlich werde nennen können; und habe den Dörflern dann, weil er nicht alle 1500 Hektaren selbst bewirtschaften möchte, 900 Hektaren zum Kauf angeboten, wodurch die Bauern zum erstenmal in den Besitz eigenen Landes gekommen wären. Die seien jedoch finanziell nicht in der Lage gewesen, das dergestalt angebotene Land zu erwerben, also habe die Regierung Geld lockergemacht und an Stelle der Bauern dem Marquis von O. eine gewisse Anzahlungssumme entrichtet; die Abstotterung des ganzen Betrags ziehe sich allerdings über Jahre hin, und die Bauern könnten dann ihrerseits wieder der Regierung den vorgeschossenen Betrag zurückzahlen. So sei es nun gekommen, dass die Familie Oriol nur noch 600, die Bauern aber 900 Hektaren besässen, und habe man ihnen auch grosszügig die Gründung einer Genossenschaft offeriert, an welcher der Marquis, der sich, wie sie selbst, in die agrarischen Belange überraschend gut eingearbeitet habe, sich auch beteiligen wollte. Die Bauern jedoch, misstrauisch gegenüber Neuerungen, wie sie nun einmal seien, hätten nicht mitmachen wollen in der Genossenschaft, deren Gründung dann unterblieben sei; leider. Der Marquis habe auf seinen Ländereien, welche nach den allermodernsten Methoden bewirtschaftet würden – 9500 Schafe, 200 Kühe und allerhand Kleinvieh obendrein –, grosse Bewässerungsprojekte realisiert, in deren Genuss auch die Dörfler gekommen seien, ausserdem habe er 30 Personen aus dem Dorf, die auf den Oriolschen Latifundien beschäftigt seien, Arbeit verschafft. Diese seien sehr gut gehalten und würden so mehr verdienen als auf dem eigenen Gütchen. In ihrer Abwesenheit, denn die Oriols seien nur über das Wochenende und einige Sommermonate auf den Ländereien, würden diese von einem tüchtigen Verwalter beaufsichtigt.

      Erwähnenswert sei noch die Jagd (Rebhuhn), von der exklusiven Art, welche jährlich nur an zwei Wochenenden stattfinde, dafür aber stets mit netten Jagdgästen bestückt sei. Man müsse immer wieder Rebhühner züchten und aussetzen, damit die edlen Vögel nicht ausstürben. Die pauschalen Jagdarrangements über ein verlängertes Weekend – die Gäste wohnen und essen im Schlösschen, die Pflege der Geselligkeit ist inbegriffen – brächten einen weiteren Batzen in die Familienkasse, und auch den als Treibern angestellten Bauern ein Zubrot. Hansi sei auch schon hier gewesen, ein Hohenzollernprinz, auch Nando (von Hohenlohe) und der liebenswürdige Moritz (von Hessen), während Franzl (Burda) ihr eher etwas sauertöpfisch vorgekommen sei, er mache immer so ein Senatorengesicht. Aber Sven (Simon), der Sohn des Verlegers Springer, sei äusserst nett gewesen; schade, dass er sich entleibt habe.

      Gleich hinter der Marquise hängen zwei Bilder, schön im Gesichtsfeld des Reisenden. Ein gemaltes; welches die Marquise vor ca. 20 Jahren darstellt, im Stil der spanischen Granden, und ein fotografisches aus neuerer Zeit (Porträt, farbig). Auf der Fotografie ist unten mit Filzstift eine längere Widmung hingemalt, am Schluss steht deutlich abgehoben ein R. Auf die Frage, was die Inschrift bedeute, sagt die Marquise, indem sie nochmals Wein nachgiesst, der König von Spanien habe das Bild geknipst und darunter geschrieben: «Meiner lieben Carmen,

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