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bis ich es schaffte. Dann konnte ich endlich in das Land der Träume eintauchen. Ich lag im Bett, schaute in die Nacht hinaus und bestaunte die vielen hellen Sterne, manchmal auch den Mond. Ich wurde immer trauriger, und vor lauter Trauer verschlug es mir allmählich die Sprache.

      Das Aufstehen am Morgen war das Schwierigste. Ich hatte Angst, aus dem Schlafsaal zu gehen und in den Tag hinein. Die Buben, zu denen auch mein Bruder Arabat gehörte, hatten ihren Schlafsaal unter uns. Wir Mädchen mussten immer zuerst an den Buben vorbei in den Speisesaal gehen. Hatte einer von ihnen ins Bett gemacht, mussten wir zu ihm sagen: «Du hast ins Bett gemacht. Pfui, du bist ein böses Kind!» Die Tage, an denen sich das auch Arabat von uns Mädchen bieten lassen musste, wurden immer zahlreicher. Seine tieftraurigen Augen versetzten meinem Herzen jedes Mal einen schmerzhaften Stich. Ich konnte ihm kein Lächeln schenken, was ich zu Hause oft gemacht hatte. Arabat war sehr einsam, wie ich. Ein einziges Mal nahm ich seine Hände, als ich vor ihm stand, aber eine Schwester trennte uns heftig und gab uns eine Ohrfeige. Zum Glück hatte Arabat das Weinen nicht verlernt. Ich hatte es zu Hause auf dem Tisch verloren, doch innerlich weinte ich Tag und Nacht. Arabat lernte nicht, das Bett bis zum Morgen trocken zu halten.

      Ich zog mich in eine Welt zurück, die niemand kannte. Jeden Abend schlüpfte ich aus meinem kleinen Körper hinaus, aber nicht mehr zur Decke hinauf, um mich selbst zu beobachten. Nein, ich hatte gelernt, auf diese Weise meine Geschwister zu besuchen, um ihnen nahe zu sein und mit ihnen zu kuscheln. Doch dieses Kuscheln genügte mir nicht, und die Reisen zu meinen Geschwistern waren anstrengend. Ich wurde davon immer trauriger und blasser.

      Wenn ich konnte, klebte ich in dem grossen Essraum mit der Fensterfront stundenlang an der Scheibe und schaute in den grossen Garten. Bis eines Tages ein Kopf vor diesem Fenster hin und her spazierte. Es war ein weisser Kopf ohne Augen, Ohren, Nase und Mund, der immer nur hin und her ging. Ich schloss die Augen und dachte: «Jetzt ist er weg!» Doch als ich die Augen öffnete, war er wieder da. Meine Angst wurde immer grösser, bis ich vor allen Kindern, die still dasassen, zu schreien begann. Mein Schreien schlug in die Stille ein wie ein gewaltiger Blitz. Die Schwestern kamen angerannt, als jagte ein Bienenschwarm hinter ihnen her. Ich hatte schreiend meine Sprache wiedergefunden und zeigte auf den weissen Kopf, der immer noch ganz gemütlich vor der Fensterfront hin und her spazierte. Aber ich begriff schnell, dass niemand ausser mir ihn sehen konnte. Eine Schwester führte mich hinaus und steckte mich ins Bett. Ich zog die Bettdecke über den Kopf, denn ich wollte nichts mehr hören und sehen. Ich hatte genug gesehen.

      Der weisse Kopf erschien immer wieder, wenn ich im Esssaal war. Mit der Zeit wurde er zu meinem ständigen Begleiter und bald freute ich mich sogar, ihn da zu sehen. Dann konnte ich in die Welt hinauslachen, zum Erstaunen der anderen, die nicht wussten, weshalb ich lachte. Im Garten war auch immer ein Mann zu sehen, der Einzige im Heim. Er machte sich dort an den Bäumen und Sträuchern zu schaffen. Manchmal kämpfte er mit einem grossen Schwert gegen die langen Gräser, die dann auf dem Boden liegen blieben, bis er sie mit einer grossen, schweren Gabel zusammenschob, als müsse er das Gras aufessen.

      Seit meiner ersten Begegnung mit dem Geist durfte ich nicht mehr beim grossen Fenster sitzen. Aber wir wurden in den Garten geschickt zum Spielen. Die Buben durften immer zuerst nach draussen. Erst wenn sie wieder im Haus waren, durften wir Mädchen hinaus. Die Schwestern sprachen oft mit dem Mann im Garten, und so waren ihre Augen nicht immer auf uns gerichtet. Es gelang mir, zu entwischen und im Garten mein eigenes Abenteuer zu suchen. Es gab dort so vieles zu entdecken und zu bestaunen. Für mich war es ein Paradies. Mehrere kleine Häuschen standen verstreut zwischen Sträuchern, als wollten sie sich verstecken. Wenn man nicht genau hinschaute, sah man sie kaum. Ich wollte natürlich wissen, was in diesen Häuschen drin war, ob vielleicht jemand darin wohnte, vielleicht sogar Kinder. Aber ich war noch zu klein, um an den Türriegel zu gelangen, auch wenn ich die Zehen spitzte. Ich musste etwas zum Hinaufsteigen finden, das ich aus eigener Kraft schieben oder tragen konnte, einen Stuhl vielleicht. Nach langem Suchen fand ich einen Kübel voller Gartengeräte.

      Ich leerte den Kübel und trug ihn zu dem Häuschen, das ich auskundschaften wollte. Ich stellte mich darauf und versuchte, die Tür zu öffnen, aber meine Kraft reichte nicht aus. So ging ich rund um das Häuschen und entdeckte ein kleines Fenster, das mit kräftigen, grünen Blättern und vielen kleinen Wurzeln überwachsen war. Ich war auch zu klein, um durch das Fenster zu schauen. Aber auch hier half mir der Eimer, der vor der Tür nur darauf wartete, mit mir eine neue Herausforderung zu bewältigen. Trotzdem gelangte ich nicht ganz an das Fenster heran. Da es nach aussen gekippt war, konnte ich mich aber mit beiden Händen daran hinaufziehen, und meine Füsse halfen mir, ganz nach oben zu klettern. Ich zwängte mich durch die Öffnung hindurch, klammerte mich am Fensterrahmen fest und fand mit den Füssen einen festen Untergrund. Meine Hände schmerzten und bluteten ein wenig.

      Ich stand hoch oben auf einem Gestell mit lauter Flaschen, Büchsen und Schläuchen, alles fein säuberlich nebeneinander, aber staubig. Der kleine Raum war voll mit Gestellen. An einem blieben meine Augen hängen: Darauf lagen ganz viele bunte Bälle, und sie sahen aus, als hätte sie noch nie jemand angerührt. Ich kletterte vorsichtig hinunter, sodass nichts in die Brüche gehen oder herunterfallen konnte. Endlich bei den bunten Bällen angelangt, traute ich meinen Augen nicht: Die Bälle dufteten wie neu erfunden, es gab kleine und grosse in allen Farben, prall gefüllt mit Luft! Sie luden mich ein, mit ihnen zu spielen, denn bis jetzt war es ihnen langweilig gewesen in diesem Verliess. Ich vergass die grosse Welt draussen und rollte die Bälle, spielte sie an die Decke, fing sie wieder auf, schnupperte an ihnen. Ich räumte auch die Gestelle auf, in denen sie lagen. Danach waren viele Sachen am Boden verstreut, die im Gestell hätten bleiben sollen. In den Ecken und an den Wänden hingen kleine Netze, an denen Fliegen und andere kleine Lebewesen hingen. Die Bälle und ich, wir holten sie herunter. Es stob, und ich musste immer wieder niesen, da es mich in der Nase kitzelte. Unser Spiel hörte erst auf, als plötzlich verschiedene Stimmen die Luft mit meinem Namen füllten.

      Ich wusste, dass ich schnell wieder hinausmusste. Auf den Zehenspitzen versuchte ich, die Tür von innen zu öffnen. Doch es war dasselbe schwierige Unterfangen, wie von aussen nach innen zu gelangen. So blieb mir nichts anderes übrig, als auf das Gestell hochzuklettern und mich wieder durch die schmale Fensteröffnung hindurchzuzwängen. Doch der Rückweg stellte sich als einiges schwieriger heraus. Mein Körper sass fest und kam auch mit aller Kraft nicht weiter. Die Stimmen, die meinen Namen riefen, klangen immer unfreundlicher, sie machten mir Angst. Ich gab auf und kroch rückwärts wieder hinun­ter. Erschöpft setzte ich mich auf den kühlen Holzboden neben die vielen, bunten Bälle, die mich freundlich anstrahlten. Bald konnten sich meine müden Augen nicht mehr offen halten, und ich reiste für eine ganze Weile in die Welt der Träume. So lange, bis ich ausgeträumt hatte und die Kälte mich zurückholte. Es waren keine Stimmen mehr zu hören, nur die Dunkelheit hielt mich in ihren Armen. Es war so dunkel, dass ich gar nichts erkennen konnte. Auch die bunten Bälle hatten sich in der Dunkelheit versteckt.

      In die Stille horchend hörte ich, wie es um das Häuschen herum ganz leise raschelte. Das Geräusch erschreckte mich, und ich wünschte mir plötzlich, im grossen Haus bei den anderen zu sein. Das Geraschel näherte sich dem Fenster, ich versuchte, etwas zu erkennen. Ich konnte nur einen Schatten ausmachen, der sich langsam und behutsam bewegte. Das waren keine Menschen. Aber was sonst bewegte sich so leicht geschmeidig an diesem Fenster? Angst und Neugierde hielten sich in mir fest umschlungen. Sie waren wie Verwandte, die auf meinen abenteuerlichen Reisen immer dann aufeinandertrafen, wenn ich grossen Mut beweisen musste. Plötzlich sprang der Schatten hoch, weich und geräuschlos. Dann hörte ich ein leises Schnurren, wie ein Motörchen, das die Stille füllen wollte. Es war eine Katze, und ich war nicht mehr allein.

      Die Katze näherte sich mir mit weichen Bewegungen, und mit einem ebenso weichen Miauen erzählte sie mir eine Geschichte aus ihrem Katzentag. Sie hatte viel zu erzählen und liess sich lange von mir streicheln, lag auf meinem Schoss und wärmte mir den Bauch, die Hände und die Beine. Vom Streicheln und Schnurren wurde ich müde und schlief wieder ein. Als mich die Kälte weckte, war die Katze weg. Von draussen konnte ich das frühmorgendliche Konzert der Vögel hören, es kam mir vor, als feierten sie ein grosses Fest. Ein bisschen Licht spähte durch das Fenster, es wollte wohl schauen, wie es mir ging. Und ich konnte schwach die Farben der Bälle wiederer­kennen.

      Fröstelnd zog ich mich nochmals

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