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Ihrer Steuerhinterziehung ist ein Entgegenkommen von mir, um es klar auszudrücken. Wenn eine Drittperson eingeschaltet wird, ist mein Vorschlag hinfällig. Ich werde Sie für das hinterzogene Einkommen samt Verzugszinsen veranlagen.»

      «Dann zeige ich Sie wegen Erpressung an!», rief der Arzt. Vor lauter Empörung hatte er Mühe mit dem Atmen, und sein Gesicht lief rot an.

      «Vergessen Sie’s», erwiderte Matter, jetzt wieder gefasst und ruhig. «Wenn Sie das tun, zeige ich Sie an wegen versuchter Beamtenbestechung. Sie haben mir vorgeschlagen, mir anderthalb Millionen zu zahlen, wenn ich Ihre Steuerhinterziehung unter den Tisch fallen lasse. Zeugen haben wir beide keine. Aber Ihr Dossier liegt sicher in meinem Büro am Fischmarkt.» Matter stand auf. «Ich glaube, ich gehe besser.»

      «Setzen Sie sich bitte», versuchte Huber einzulenken. «Wir sollten das in Ruhe besprechen. Ich habe nicht jeden Tag mit Steuerbeamten zu tun.»

      3

      Am Abend begab sich Herbert Matter nicht gleich nach Hause, sondern in die Eulerbar beim Bahnhof. Es gefiel ihm, im Halbdämmer zwischen Menschen zu sitzen, die englisch, französisch, russisch oder hochdeutsch sprachen, und ein Bier oder einen Whisky zu schlürfen. Er sah sich im Spiegel hinter dem Rücken des Barmannes, er sah links und rechts die Gesichter der anderen Trinker in ihren Anzügen, er fühlte sich dann unter Seinesgleichen und vergaß, dass er städtischer Beamter in einer mittleren Lohnklasse war. Der Barkellner kannte ihn mittlerweile und blinzelte ihm zu, wenn nebenan ein ältlicher Graukopf mit Pferdeschwanz besonders innig seine Begleiterin befummelte.

      Er besaß den Fachausweis als diplomierter Steuerexperte. Sein Unglück war, dass er damals, vor dreiundzwanzig Jahren, weder das Geld noch den Mut gehabt hatte, sich als Steuerberater selbständig zu machen; stattdessen war er in den Staatsdienst eingetreten. Hinzu kam, dass er sich – rückblickend – viel zu früh das Korsett und die Lasten einer bürgerlichen Ehe auferlegt hatte. So verbrachte er mit seiner Frau Sylvia die Sommerferien nicht an den Traumstränden der Malediven, sondern, jedes zweite Jahr, auf der Insel Mallorca für tausendachthundert Franken, zwei Wochen, alles inbegriffen.

      Die ehelichen Freuden nutzten sich mit der Zeit ab, verkamen zur Routine und dann zur Pflicht und schließlich zur Last. Daran trug eigentlich niemand Schuld, höchstens die Zeit, die alles gleichmachte, Höhepunkte wegrasierte, Abgründe mit Vergessen zuschüttete. Die Freundin, die er sich vor einiger Zeit zugelegt hatte, half ihm, seine Manneskraft gleichwohl auszuleben.

      «Noch ein Bier, Herr Matter?», fragte der Barmann.

      «Danke, nein. Heute nicht. Elternabend in der Schule meines Sohnes. Zahlen bitte.»

      «Gleich.»

      «Dann bis morgen.»

      «Ja, gerne.»

      Arnold war Matters zweites Unglück. Aufgrund eines Geburtsfehlers war sein linkes Bein vier Zentimeter kürzer als das rechte. Damit blieb es ihm versagt, in irgendeiner Sportart Spitzenleistungen zu erbringen. Und auch in der Schule vermochte er die hochgesteckten Erwartungen seines Vaters nicht zu erfüllen. Wenn nicht ein Wunder geschah – und Herbert Matter glaubte grundsätzlich nicht an Wunder –, würde Arnold allen Hoffnungen des Vaters zum Trotz den Namen Matter weder berühmt noch auch nur in irgendeinem Bereich bekannt machen.

      Auch im Fürstentum Liechtenstein war es nicht mehr so einfach, eine neue Bankbeziehung zu eröffnen wie noch vor ein paar Jahren. Das musste Kellenberger Herbert Matter klarmachen, als dieser ihn drei Tage nach dem zweiten Besuch in seiner Kanzlei aufsuchte. Matter war gut gelaunt und zwinkerte Tanja zu, als sie ihn ins Büro des Anwalts führte.

      «Heute komme ich gewissermaßen als Klient zu Ihnen», begann er und lachte dazu sein widerliches Lachen.

      «So, so», erwiderte der Anwalt. Mehr fiel ihm nicht ein.

      Er war schlecht aufgestanden an diesem Morgen. Im Traum hatte ihn jemand aus Versehen in der Waschküche eines Wohnblocks eingeschlossen; Wasser überschwemmte den Raum, er klopfte und rief, bis er aufwachte, ohne dass man ihn befreit hätte. Beim Rasieren störte ihn sein Gesicht: Die Furchen zwischen den Nasenflügeln und den Mundwinkeln wurden immer tiefer, das Fleisch am Kinn fing an schlaff zu werden, und in seinem Haar trat Grau zunehmend in den Vordergrund. Als er aus der Garage fuhr, regnete es; der Himmel war so verhangen, als hätte ihn die Sonne für immer verlassen. Und jetzt noch Matter.

      «Ich hätte gerne, dass Sie mich bei einer Bank in Liechtenstein einführen», sagte Matter. «Sie wissen am besten, wie das geht, haha!»

      «Liechtenstein? Lesen Sie eigentlich keine Zeitungen?»

      Matter grinste. «Sie meinen die Steueraffäre?»

      «Ja, die meine ich.» Kellenberger seufzte. Die ganze Welt blickte auf das Fürstentum, seit vor einiger Zeit ein Angestellter einer großen Bank in Vaduz dem deutschen Fiskus über tausend vertrauliche Kundendaten verkauft hatte. «Das Steuerparadies Vaduz hat böse Lackschäden erlitten. Ich würde heute dort kein Geld mehr anlegen. Wie Heuschreckenschwärme fallen dieser Tage die deutschen Steuerfahnder über echte und vermeintliche Steuersünder her. Alles wegen dieser Indiskretion.»

      «Die erst noch mit einem Millionenbetrag honoriert worden ist», sinnierte Matter. «Nimmt mich wunder, wie viel wir hier in Basel aufwerfen würden, wenn man uns die Hinterzieher so auf dem Silbertablett servieren würde, haha!»

      «Nichts, will ich doch sehr hoffen», erklärte der Anwalt. «Das wäre die reine Hehlerei.»

      «Ach wo!» Matter verwarf die Hände. «Ich begreife die deutschen Kollegen. Da muss man doch zugreifen.»

      «So, so», sagte Kellenberger zum zweiten Mal.

      Herbert Matter wurde ungeduldig. «Wie dem auch sei! Ich habe keine Angst. Wählen Sie irgendeine kleine Bank, für die sich niemand interessiert.»

      Seine blauen Kulleraugen blickten am Anwalt vorbei in unbestimmte Fernen. Für ihn war Vaduz kein Problem. Kellenberger sagte: «Ich muss von Ihnen wissen, wer der Kontoinhaber sein soll. Sie selber oder Sie und Ihre Frau gemeinsam? Dann brauche ich eine beglaubigte Kopie Ihres Passes. Und schließlich benötige ich eine genaue Schilderung, woher die Mittel stammen, die Sie bei der Bank anlegen wollen.»

      Matter antwortete in fröhlichster Laune. «Um hinten anzufangen: Über die Herkunft der Mittel müssen Sie sich etwas einfallen lassen. Eine Erbschaft vielleicht, erfolgreiche Geschäfte im Ausland, eine Schenkung, was weiß ich. Die Passkopie schicke ich Ihnen, und das Konto soll zunächst auf mich persönlich lauten.»

      «Die Bank kann Belege für die Herkunft der Mittel verlangen.»

      «Sie sind der Anwalt, Herr Doktor.»

      «Aber Sie werden Geschäftspartner der Bank, nicht ich. – Und ich denke, wir sollten einen Darlehensvertrag abschließen.»

      «Nein, das werden wir nicht», erwiderte Matter. «Es ist nicht nötig. Wir haben gemeinsame Interessen.»

      «Und welche Garantie habe ich, dass die ominöse Meldung der Steuerverwaltung von Vaduz aus Ihren Akten verschwindet?»

      «Keine, Herr Kellenberger, keine.» Matter lachte wieder. «Sie werden mir wohl oder übel vertrauen müssen.»

      Der Anwalt wusste, dass er ihm vertrauen musste. Als Matter gegangen war, überprüfte Kellenberger seine eigenen Alternativen. Er konnte den Wohnsitz kurzfristig ins Ausland verlegen und seine Guthaben – vor der Zahlung an Matter – ebenfalls woanders hin übertragen, nach Mauritius, Dubai, Singapur, auf die Bahamas oder ganz einfach nach London. In Krakau kannte er eine Verlagslektorin, die perfekt Deutsch sprach, in Perpignan einen Transportunternehmer, und in Vilnius saßen seine Klienten aus dem internationalen Finanzbereich. Sie alle würden ihm gerne helfen. Sein Haus in Basel war – als Spätfolge seiner Scheidung – so hoch mit Hypotheken belastet, dass er es ohne Bedauern verlassen und dem Zugriff der

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