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vernahm Matter bloß ein Klicken in der Leitung. Es passte ihm nicht, dass Huber ihn im Amt angerufen hatte. Es bestand immer die Möglichkeit, dass jemand mithörte. Er ergriff die Finanzzeitung, die er über das lange Wochenende zu studieren gedachte, und verließ sein Büro.

      Mit dem Lift fuhr er in die Tiefgarage zu den Parkplätzen, die für Beamte der Steuerverwaltung reserviert waren. Jahrelang hatte er darum gekämpft, bis man ihm einen Platz zugestand. Sein Opel Astra stand unscheinbar zwischen dem bmw-Coupé des Amtsvorstehers und einem bulligen blauen Landrover, dessen Besitzer Matter nicht kannte. Noch ein paar Wochen, dachte er, höchstens zwei Monate, dann ist Schluss mit «Guten Tag, Herr Doktor» und «Natürlich, sofort, Konrad». Dann ist endlich Schluss mit Sylvia, mit Steuerveranlagungen und all dem elenden Kram.

      Inzwischen verfolgte ihn der Gedanke an Paul Regenass. Schickte er ihm eine Steuerrechnung ins Haus, kam es zur Katastrophe. Tat er nichts, drohte Ärger mit Konrad Nägeli. Matter war ratlos. Aber er vertraute darauf, dass ihm über Ostern eine Lösung einfallen würde.

      Das alte Jugendstilhaus, in dem Dr. Huber praktizierte, schien auf ihn gewartet zu haben. Kaum ließ er den Klingelknopf los, ging die Haustür aus Eichenholz auf. Der Arzt stand persönlich im Eingang, im weißen Ordinationsmantel, ohne Krawatte.

      «Kommen Sie herein, wir sind allein.»

      Herbert Matter trat ein. Ein schwerer Teppich im Vorraum, der seit Jahrzehnten hier zu liegen schien, dämpfte seine Schritte. Er kam nicht dazu, die alten Stiche an den Wänden zu bewundern. Huber dirigierte ihn am Wartezimmer vorbei gleich in sein Behandlungszimmer.

      «Nehmen Sie Platz», sagte er und wies auf den Patientenstuhl.

      «Was ist geschehen?», fragte Matter erneut, während er sich setzte. Er registrierte Hubers unsteten Blick und eine lose Haarsträhne, die ihm in die Stirne hing. Von der kühlen Gefasstheit des Arztes war nichts zu spüren.

      «Ich will mein Geld zurück.»

      Matter beugte sich vor und musterte Huber aufmerksam. Ärger stieg in ihm hoch; er begriff, dass Ungemach drohte, und er wusste nicht, wie darauf zu reagieren war.

      «Was soll das, Herr Dr. Huber?», erwiderte er endlich. «Wir haben eine Abmachung getroffen. Sie haben Ihren Teil erfüllt, ich habe meinen Teil erfüllt. Was wollen Sie eigentlich?»

      «Mein Geld zurück», wiederholte der Arzt. «Auf unsere Abmachung pfeife ich. Mein Schwiegervater hat das Darlehen für das Haus im Burgund gekündigt, auf Ende des nächsten Monats. Meine Frau beansprucht eine Abfindung von über einer Million. Und mein eigener Anwalt erklärt mir, dass diese Forderung berechtigt sei. Damit ist meine Praxis ruiniert.»

      Während Hubers Ausbruch dachte Matter an Sylvia. Sie hoffte auf Aussöhnung, er auf eine schnelle Scheidung ohne viel Ärger. Aber auch sie würde Forderungen stellen, sobald sie feststellte, dass sein Entschluss unabänderlich war. Von seinem Guthaben in Vaduz ahnte sie nichts. Früher hatte er ihr gerne Überraschungsgeschenke gemacht, einen Blumenstrauß, ein zartes Seidenfoulard; sie hatte es ihm mit Liebe und Fürsorge gedankt. Manchmal wunderte er sich, wo all das geblieben war. Sylvia war älter geworden, fester im Auftritt; unbemerkt hatte sie ein Eigenleben entwickelt. Und ebenso unbemerkt war sein Interesse an ihr erkaltet, ihre Spuren des Alters störten ihn jetzt ebenso wie sein eigenes Aussehen, mit dem er seit seiner Jugend haderte. An beidem ließ sich heute nichts mehr ändern.

      Matter sah, wie der Arzt ihn herausfordernd anblickte. Er sagte: «Ihr Privatleben tut hier nichts zur Sache. Unsere Vereinbarung ist klar: In fünf Jahren erhalten Sie Ihr Darlehen zurück, nicht früher.»

      Huber stand auf und ging hinter seinem Schreibtisch hin und her, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Bei der afrikanischen Kriegerstatue aus Holz blieb er stehen. Er nimmt ihm gleich den Speer aus der Hand und geht auf mich los, dachte Matter.

      Aber Huber wandte sich bloß um und sagte: «Unsere Vereinbarung ist ungesetzlich, das wissen Sie so gut wie ich. Wenn Sie mir nicht entgegenkommen, reiche ich eine Selbstanzeige ein und lege unsere sogenannte Vereinbarung offen. Dann sind Sie dran, Herr Matter. Mit versuchter Beamtenbestechung können Sie mich heute nicht mehr erschrecken. Sie haben die Bestechung, wenn es denn eine war, angenommen. Wenn die Behörden Ihr Konto in Vaduz beschlagnahmen, bleibt Ihnen nichts, verstehen Sie. Es würde mich nicht wundern, wenn sich herausstellen sollte, dass Sie sich noch an weiteren Opfern finanziell vergriffen haben.»

      Herbert Matter spürte, wie ihm warm wurde. Jetzt nur kein Schweißausbruch, hoffte er. Es würde schlecht aussehen, wenn er ein Taschentuch zücken und sich die Stirne abwischen müsste. Er realisierte staunend, wie Dr. Huber immer ruhiger wurde, während er ihm seine Vorwürfe entgegenschleuderte. Er sah die schlanke Figur des Arztes in Weiß, in fast derselben Pose wie hinter ihm die Kriegerstatue, und hinter beiden ein breites Glasfenster, das den Blick in einen kleinen Garten freigab. Er fragte sich, ob Huber nicht tatsächlich einen Anwalt konsultiert hatte, wie er es schon bei ihrem ersten Gespräch in Aussicht gestellt hatte. Es war ein Fehler gewesen, sich mit dem Arzt einzulassen. Was, wenn der Kerl in einer Schublade ein Aufnahmegerät eingeschaltet hatte?

      «So einfach ist das alles nicht, Herr Huber», erwiderte Matter und fixierte die grauen Augen des Arztes. «Eine Selbstanzeige kostet in erster Linie Sie eine Menge Geld …»

      «Das ich nicht habe», warf Huber ein, «und deshalb ist es mir egal, ob ich von meiner Frau, von der Steuerbehörde oder von beiden in den Ruin getrieben werde. Aber Sie kommen nicht ungeschoren davon, Herr Matter, lassen Sie sich das gesagt sein!»

      «Dann kann ich ja gehen», erklärte Matter und erhob sich. Langsam knöpfte er seine gelbe Tweedjacke zu, die er eigentlich schon für die Fahrt ins Tessin angezogen hatte, und wandte sich zur Tür. «Ihre Selbstanzeige können Sie ohne mich vorbereiten.»

      «Ich will mein Geld zurück, Herr Matter», rief der Arzt aus. Seine Stimme bewegte sich wieder am Rand der Hysterie. «Ich brauche es, verstehen Sie das denn nicht? Geben Sie es mir zurück, dann ist allen geholfen, Ihnen, mir, meiner Frau …»

      «Sie hören nächste Woche von mir, Herr Huber.» Matter verließ das Ordinationszimmer, durchquerte mit strammem Schrittden reich ausgestatteten Vorraum, zog die schwere Eichentür auf und trat auf die Straße.

      Seinen Astra hatte er in der nächsten Querstraße abgestellt. Er ließ sich hinters Steuer sinken und zog die Tür zu. Er lehnte den Kopf an die Nackenstütze und schloss die Augen, ohne zu denken. Schweiß tropfte ihm jetzt von der Stirne auf den Kragen. Unter der Jacke war ihm warm geworden; er spürte die dunklen Ringe, die unter seinen Achselhöhlen wuchsen. Herbert Matter hasste seinen Schweiß, dem er machtlos ausgeliefert war. Mit der Rechten fischte er sein Taschentuch aus der Hosentasche und fing an, seine Stirne abzutrocknen. Er würde sich umziehen müssen, bevor er mit Tanja ins Osterwochenende aufbrach.

      7

      Der Aufenthalt Matters im Nobelhotel Giardino im Tessin über Ostern war kein uneingeschränktes Vergnügen. Hubers hysterischer Auftritt und die Anweisung seines Chefs Konrad Nägeli, die drei Dossiers in Ordnung zu bringen, bedrückten ihn. Eingewickelt in eine Wolldecke lag er im Hotelgarten in einem Liegestuhl, die bleiche Sonne blendete ihn, und auch der Blick auf den See weit unten brachte keine Erleuchtung. Neben ihm lag Tanja und las. Der Gedanke an den Arzt Huber endete stets mit der grimmigen Entschlossenheit, nichts herauszurücken. Und die Vorstellung, dem sympathischen Jungunternehmer Regenass eine Nach- und Strafsteuerveranlagung ins Haus zu schicken, löste kalte Schauer aus. Matter informierte Tanja in epischer Breite über seine Ärgernisse, und sie gab sich alle Mühe, ihn abzulenken. Aber beim Essen blieb er einsilbig. Und auf ihre Verführungskünste am Morgen und am Nachmittag während der Siesta reagierte er nur halbherzig.

      Am Sonntag schließlich, während eines Frühstücks mit Champagner, Kaviar und einem reichen Büfett, in dessen Mitte ein Osterlamm aus Butter thronte, entwickelten sie den Plan: Am nächsten Dienstag würde Herbert in Vaduz eine Stiftung gründen und sein Vermögen auf die Stiftung übertragen lassen. Die Erkundungsreise – vielleicht wurde mehr daraus – über London nach Neuseeland würde auf den kommenden Sonntag vorverlegt. Damit entging er weiteren Diskussionen mit seinem Chef. Am Samstagnachmittag davor hatten sich Huber,

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