Скачать книгу

größtes Vergnügen besteht darin, das Geld in Projekte zu stecken, die den innersten Interessen meiner Bank möglichst diametral entgegenstehen. Und meine Chefs merken es nicht einmal, solange ich zur Verschleierung dieser Politik immer genügend konventionelle Projekte unterstütze. Mäzenatentum ist wie eine Art modernes Ablassgeschäft. Mit so und so viel Geld, das sie in die Kultur stecken, also in etwas, das aus dem Blickwinkel ihrer Geschäfts- und Geldwelt völlig nutzlos ist, dürfen sie dann wieder eine bestimmte Menge an Dreckgeschäften machen. Die Kunst besteht darin, das alles immer schön in einer gewissen Balance zu halten. Du musst ihnen nur mit allen Mitteln suggerieren, dass es sich um hohe und wichtige, ja besser noch, um unbequeme Kultur handelt, dann erhöht das den Ablasswert, verstehst du?

      Die drei Kellner brachten die unverzichtbare pasta, einen neu gefüllten Brotkorb und den köstlichen montepulciano. Bruckner hatte sich heute für Spaghetti alla puttanesca entschieden, eine Spezialität aus den Abruzzen, mit schwarzen Oliven, Sardellen, viel Knoblauch und mindestens noch einem Geheimnis. Eine brisante Mischung, die ihrem Namen mehr als gerecht wird. Nach den ersten Bissen stößt nämlich der Italienliebhaber einen Satz aus, in dem mindestens dreimal das Wort putta vorkommt und ebenso oft madre, und das Ganze mit Vorliebe gen Himmel, während die Hände verzweifelt nach dem Brotkorb tasten. Und wehe, der Brotkorb ist leer …

      Die Mahlzeit zum Thema, grinste Bruckner und verschluckte sich fast vor diebischer Freude an seiner These, dass die einen das Geld immer schön am Rande der Legalität entlangscheffeln und die anderen ihnen Absolution verschaffen, indem sie ihnen zeigen, wie sie es sinnvoll ausgeben können. Huren sind wir alle … oh, ist das scharf … madre di …

      Seine Worte endeten in einem regelrechten suffocato, und nur das Stück Brot, das Tanner ihm reichte, konnte ihn vor dem sicheren Erstickungstod erretten. Nachdem Bruckner sich erholte hatte und die Tränen getrocknet waren, die ihm die Schärfe des Essens in die Augen getrieben hatte – oder war’s das Vergnügen am Thema? –, meinte er ernsthaft, dass ihm sein Beruf große Freude mache. Da er schon immer gewusst habe, dass er selber über keinerlei künstlerische Fähigkeiten verfüge, sich aber immer leidenschaftlich zur Kunst hingezogen fühlte, sei das für ihn genau die richtige Beschäftigung. Er vermittle zwischen teilweise ignoranten, aber reichen Kulturbanausen und Künstlern, die er, Bruckner, für unterstützungswürdig befinde.

      Dann meinte Bruckner unvermittelt, er habe fürs Erste genug erzählt. Jetzt sei Tanner an der Reihe. Bruckner legte prophylaktisch ein Stück Brot neben seinen Teller und drehte sich geschickt eine nächste Portion Spaghetti auf die Gabel. Er tat dies sehr kunstvoll und brauchte dazu auch keinen Löffel. Tanner schwieg, trotz der Aufforderung zu erzählen. Bis Bruckner ihn verwundert ansah.

      Ja, Richard, eh … bei mir ist das leider nicht so einfach. Einen Beruf habe ich im Augenblick keinen mehr. Oder sagen wir, ich habe keine Stelle. Will auch keine mehr. Oder wenigstens im Moment nicht. Du siehst, ich stottere. Mh … also, ich war ja lange im Ausland, in Marokko, und das endete leider äußerst … sagen wir mal unglücklich. Nein, unglücklich stimmt nicht, es endete desaströs. Ich kam auf Umwegen in die Schweiz, verfolgte den Fall, um dessentwillen ich aus Marokko geschmissen worden war, in der Schweiz. Ich fand sogar den Mörder. Aber um welchen Preis … verfluchte Schei …

      Tanner brach abrupt seinen wirren Bericht ab und legte beide Hände auf sein Gesicht. Bruckner legte seine Gabel behutsam auf den Teller. Erzähl mir das alles später, wenn du magst. Jetzt sag mir doch einmal, was dich in unsere schöne Stadt treibt, die du vor dreißig Jahren fluchtartig verlassen hast und seither gemieden hast, als drohte sich das Erdbeben vom Jahre 1356 zu wiederholen. Sollen wir übrigens auf den nächsten Gang verzichten? Es ist einfach zu heiß, oder? Ich gehe schnell in die Küche und kläre das.

      Er warf die Serviette auf den Tisch, sprang auf und verschwand in Richtung Küche.

      Diskretion und Takt waren schon immer die großen Stärken von Bruckner gewesen. Auch darin haben sie sich ergänzt, wenn man das ergänzen nennen kann. Das waren ja nun noch nie Tanners Stärken. Im Gegenteil: Bitte, wo geht’s zum nächsten Fettnäpfchen?

      Tanner war Bruckner dankbar, dass er ihn alleine am Tisch ließ. Er war von seinem eigenen Gefühlsausbruch völlig überrumpelt. Vielleicht war es die Hitze. Oder weil er den ganzen Tag unterwegs gewesen war. Oder die unvermittelte Begegnung mit seiner Jugendzeit.

      Sein Körper zitterte, als ob er fröre. Er spürte aber keine Kälte. Eigentlich spürte er überhaupt nichts. Er hatte nur das Gefühl, unvermittelt in ein großes Loch gefallen zu sein, in dem es keine Geräusche mehr gab. Obwohl er doch mitten in einem Restaurant saß und Menschen um ihn herum waren. Er sah ihre Münder. Sie bewegten sich. Aber er konnte nichts hören. Als ob sich über ihn ein akustisch toter Raum gestülpt hätte. In seinem Innersten zog sich etwas zusammen, wurde immer kleiner, bis es ganz klein war. Etwas, das gleichzeitig sehr schwer, sehr heiß und äußerst schmerzhaft war.

      Wenn das jetzt nicht aufhört, schreie ich, hämmerte es in seinem Schädel. Im Moment, wo Tanner glaubte, er würde es nicht mehr ertragen, gab es in seinem Innersten plötzlich ein Geräusch. Eine Art plop. Ein ganz und gar banales Geräusch, für das sich Tanner insgeheim schämte, obwohl er nicht wusste, weshalb. Aber immerhin löste sich Tanners innerer Krampf so schnell, wie er gekommen war. Er holte tief Atem.

      So viel zum Thema, ob die vergangene Zeit real gewesen ist. Und zur Frage, was denn der Unterschied zwischen Leben und Traum sei …!

      Ach gut, du lachst ja wieder, Tanner. Eh … ich meine, Simon.

      Er hatte gar nicht bemerkt, dass Bruckner zurückgekommen war. Tatsächlich lachte er. Auch das bemerkte er erst, als Bruckner ihn darauf ansprach. Warum er lachte, war ihm nicht bewusst.

      Tut mir Leid, Richard. Ich hoffe, ich habe dir unser gemeinsames Essen nicht verdorben.

      Bruckner winkte ab und lächelte ihn aufmunternd zu.

      Ich bin in dieser Stadt, weil ich auf der Suche nach der Geschichte meines Großvaters bin. Ich weiß nicht, ob ich dir früher mal von ihm erzählt habe? Ich habe ihn natürlich nicht gekannt. Es hieß in unserer Familie, dass er verschollen sei. Einfach verschwunden. Er hat sich irgendwie in Luft aufgelöst. Es wurde früher kaum darüber gesprochen.

      Das Wort verschollen besaß für mich lange Zeit eine gewisse Magie, wie du dir sicher vorstellen kannst. Bis meine Mutter – übrigens bei der Beerdigung meines Vaters – eine merkwürdige Bemerkung über ihren Vater machte, also über meinen verschollenen Großvater Land. Da begann ich zu ahnen, dass sich hinter dem Wort wahrscheinlich nichts Magisches und auch nichts Poetisches versteckt.

      Tanner berichtete von den mageren Resultaten seiner bisherigen Recherche. Bruckner anerbot sich sofort, Tanner zu helfen. Er kenne in dieser Stadt schließlich Gott und die Welt. Beim Stichwort Gott erschien das Kellnertrio und zelebrierte die Ankunft, besser gesagt, die Niederkunft der göttlichen Nachspeise. Dann stellten sich die drei zum Gruppenfoto in taktvollem Abstand zum Tisch und warteten auf die Reaktion ihrer Gäste, ganz wie Mütter sehnsuchtsvoll auf das Bäuerchen ihres Babys warten. Bruckner vollzog mit seinem Löffel, stellvertretend für beide, den ersten Spatenstich ins tiramisù. Schon die Konsistenz, spürbar beim Einstechen mit dem silbernen Löffel in die Masse, verführte Bruckner zu einem leisen Seufzer, den die drei mit einem wissenden Lächeln quittierten. Bruckner führte den vollen Löffel zu seinem Mund, roch plötzlich kritisch an der Ladung und – verzog das Gesicht. Die Kellner schlugen voller Entsetzen die Hände vors Gesicht. Daraufhin lachte Bruckner, steckte sich den Löffel in den Mund und stöhnte voll demonstrativem Entzücken. Die zwei Klügeren vom Trio begriffen sofort, dass sie hereingelegt worden waren, und lachten erleichtert auf, obwohl sie es trotzdem für ein Sakrileg hielten. Man spielt nicht mit dem Essen, und schon gar nicht mit den sensiblen Seelen von Kellnern. Dem dritten mussten sie die Sache auf dem Weg in die Küche erklären.

      Jetzt essen sie beide schweigend von der köstlichen Nachspeise. Dann endlich erlaubt sich Tanner seinem Schulfreund von der Begegnung mit ihrer gemeinsamen Schulkollegin Martha Vogel zu berichten. Und Bruckner lächelt sein Lächeln. Nachdem Tanner seine Eindrücke ausführlich geschildert hat, lächelt Bruckner noch immer. Früher

Скачать книгу