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Quere. Vielleicht verließen wir morgens früher das Haus und gingen am Abend eher schlafen? Es war ein gutes Nebeneinander. Bolzes hatten drei Kinder, mit ihrem Sohn Helmut freundeten wir uns an. Wunderbar war, dass diese Familie in späteren Jahren einen Fernseher besaß. Wir Kinder durften dann öfter mal in ihr Wohnzimmer zum Fernsehen.

      Unsere Wohnung lag in der Salzstraße, die zum Theater führte. Wie oft hingen Elke und ich am Fenster und bewunderten die festlich gekleideten Theatergänger! Manchmal hatten wir das Fenster weit geöffnet, und wenn die eleganten Besucher die Straße entlangkamen, begannen wir laut im Kauderwelsch zu reden: »Etabachterumsdadrumsda …« Wir sprachen ausländisch. Die sollten gucken, wir waren etwas ganz Besonderes!

      Unser Vormieter hatte ein Klavier in der Wohnung stehen lassen. Das gefiel mir: Mutti am Klavier, wenn wir feierlich zweistimmig Weihnachtslieder sangen. Das Klavier war nun mal da, also lag es auf der Hand, dass Elke und ich Klavierunterricht bekamen. Ich ging auf die Musikschule, da war der Unterricht kostenlos. Elke hatte eine Klavierlehrerin. Meine Schwester spielte längst bekannte Musikstücke, während ich monatelang endlos »Czerny-Fingerübungen« in die Tasten hämmerte. Das reichte mir irgendwann, ich weigerte mich, weiterzumachen. Leider gab die Mutti meinem Wunsch nach. Ich wollte eben richtig Musik machen – und kann genau das bis heute nicht.

      In unserem Schlafzimmer hatte ich eine Wäscheleine gespannt, an die ich Fotos von Schlagersängern klammerte. Auch Fotos von Schauspielern hingen dort. Das alles ertrug Elke ja noch. Aber als ich auf unserer »Goebbels Schnauze«, dem einzigen Radio in unserer Wohnung, Sender suchte, die Schlager spielten, gab es mächtigen Krach.

      Mutti schritt ein und jede von uns bekam bestimmte Zeiten, in denen sie ihre Musik hören durfte. Elke konnte ihre Opern und Operetten genießen und ich meine Cornelia Froboess und Peter Kraus: »Wenn Teenager träumen« und dergleichen mehr. Schlimm war nur, dass jede von uns beiden die Musik der anderen mithören musste.

      Wie das Leben so spielt: Elke wurde Opernregisseurin, ich moderierte die Sendung »Musikalisches Intermezzo« (Operette/Musical) – und konnte dank Elke fast jeden Titel mitsingen. Fantastisch! Meine Liebe zu Schlagern teile ich heute mit meinem Publikum beim Seniorenprogramm.

      Ich kam in die 5. Klasse und wurde sehr schnell in den Kreis meiner neuen Mitschüler aufgenommen. Mein großes Problem hieß Mathematik. Unser Mathelehrer Herr Hoffmann war ein Kriegsheimkehrer, der zwar von Hause aus kein Lehrer war, wohl aber ein kluger Mensch. Es mangelte an Lehrern. Mit Herrn Hoffmann machten wir uns gern den Spaß und stellten »Hoffmannstropfen« auf seinen Tisch. Diese kamen vornehmlich bei Übelkeit und Ohnmacht zum Einsatz, und wir waren stolz auf diesen grandiosen Einfall. Herr Hoffmann spielte mit.

      Nie vergessen werde ich meine Mathematikprüfung in der 8. Klasse. Herr Hoffmann gab mir einen Zettel, auf dem die Aufgabe stand. An der Tafel sollte ich deren Lösung finden. Die war so leicht, dass ich zunächst dachte, es sei eine Falle. So begann ich, mit Hilfe irgendeiner Formel auf dem umständlichsten Weg mit den Zahlen zu jonglieren. Zum Glück stimmte letzten Endes meine Lösung. Warum einfach, wenn’s auch umständlich geht?

      Heute weiß ich, dass mir dieser liebe, kluge Mensch ganz bewusst die leichteste aller möglichen Aufgaben zugedacht hatte. Ich denke, er wird während meiner Rechnerei noch mehr geschwitzt haben als ich. Übrigens stehe ich mit Mathe immer noch auf totalem Kriegsfuß. Ich bin nicht fähig, Mathematik logisch zu erfassen. Inzwischen hat das Ganze sogar einen Namen: Dyskalkulie, zu Deutsch: Rechenschwäche. Offenbar haben sich zwei Synapsen nicht getroffen in meinem Hirn. Und ich bin sicher, das ist erblich. Tut mir leid, meine Lieben.

      Ganz anders erging es mir in Religion, was damals noch ein normales Schulfach war. Ich liebte dieses Fach, der schönen Märchen wegen. Ziel jenes Unterrichts war die Konfirmation. Diese zu erreichen, hatten wir im Dom von Schwerin nachmittags zusätzlich Christenlehre. Es gab bunte Bilderchen und einen Stempel, wenn wir erschienen. Wer am Ende zu wenig Stempel vorwies, wurde nicht konfirmiert. Die Sammelbilder waren schön, bei den Stempeln schummelten wir oft. Wir stempelten einfach die Karte einer Freundin mit ab, die nicht anwesend war.

      Schließlich kam der große Tag der Konfirmation: Ich in einem schwarzen Taftkleid, meine Locken gebändigt im Pferdeschwanz, im Dom von Schwerin. Alle Familienangehörigen waren da, die Orgel spielte, es war sehr feierlich.

      Meine Konfirmation, in schwarzem Taft und mit Pferdeschwanz

      Religionsunterricht und Christenlehre gehörten damit der Vergangenheit an. Deutsch, Geschichte, und Staatsbürgerkunde waren Fächer, in denen ich meiner Phantasie freien Lauf lassen konnte. Unser Klassenlehrer Herr Klosa, genau wie Herr Hoffmann ein älterer Herr, unterrichtete uns darin. Er forderte und förderte mich. Meine Aufsätze musste ich immer vor versammelter Mannschaft vorlesen, besonders in Staatsbürgerkunde erfand ich die tollsten Geschichten.

      Diese erfundenen Storys habe ich leider allesamt vergessen. Ich weiß aber noch, dass ich zu aller Erheiterung Berichte vom letzten Ernteeinsatz schrieb, vom Kartoffelkäfersammeln oder vom Rübenverziehen. Darin vermeldete ich, dass Rosi sich vor den Käfern ekelte und wir das nutzten, um sie in die Flucht zu schlagen. Wer am meisten Kartoffelkäfer gesammelt hatte, war der Käferkönig und wurde gekrönt und überraschend getauft, indem er einen Topf Wasser über den Kopf gegossen bekam.

      Wer beim Kartoffeleinsatz die meisten Körbe am Lkw ablieferte, durfte auf dem Lkw mitfahren. Letztlich fuhren fast alle mit. Unvergessen die Fahrten auf dem Pferdewagen, einer von uns durfte die Zügel halten. Der größte Anreiz war aber, dass wir am Abend auf dem Ackergaul reiten durften.

      Ich malte alle Pannen, aber auch die erstaunlichen Begebenheiten in den buntesten Farben, und unter Lachen erkannten sich die jeweiligen Akteure wieder. Wenn ich die Figuren beschrieb, die wir, mich inbegriffen, auf dem dicken Gaul abgaben, erklang beim Vorlesen jeweils großes Gelächter.

      Wunderschön waren die Abschlussabende am Lagerfeuer, mit Kartoffeln am Stock und Würstchen. Erzähle ich heute, dass wir im Ernteeinsatz waren, sagen die Leute oft entrüstet: »Ihr musstet bei der Ernte helfen? Das darf ja wohl nicht wahr sein!« Aber wir Zeitzeugen sind ja noch da, um kundzutun, wie viel Spaß wir bei dieser »Arbeit« hatten.

      Mit der Unterstützung von Herrn Klosa schrieb ich auch Sketche, die dann unter meiner Regie einstudiert und von Mitschülern aufgeführt wurden. Darin ging es um den Schulalltag, um Freundschaften, ums Verliebtsein …

      Meine Mutti setzte sich jedes Mal an die Schreibmaschine und tippte etliche Durchschläge für die Darsteller. Ich fand neulich einige dieser Manuskripte … o nein, wie grausig!

      Letztes Jahr allerdings, beim Klassentreffen in Schwerin, erzählten Mitschüler von genau diesen Aufführungen und wie viel Spaß es ihnen gemacht hatte, meine Sketche zu spielen. Eine Klassenkameradin sagte sogar, dass sie sich damals von mir ein Autogramm geben ließ. Für den Fall, dass ich mal berühmt werde.

      Anfang der achtziger Jahre war ich mit meinem Kinderprogramm in Schwerin. Wir traten im Alten Garten auf den Museumstreppen auf. Die halbe Klasse – alle, die noch in Schwerin lebten, saßen im Publikum. Eine mir unbekannte Frau ließ mich wissen: »Robert kommt auch gleich.«

      Ich lächelte, ohne die geringste Ahnung, wer sie oder Robert waren. Dann stand er vor mir, ihr Mann Robert. Herr Klosa war es, der mich an jenem Tag mit großer Freude agieren sah. Ich umarmte ihn anschließend und bestätigte ihm, dass er einen großen Anteil an meinem Tun hat. Spielte ich in Schwerin, veranstaltete er fortan ein kleines Klassentreffen in seiner Wohnung.

      Wenn Mutti nicht gerade einen meiner Sketche abtippte, arbeitete sie als Tbc- und Krebs-Fürsorgerin. Sie fuhr auf die Dörfer, setzte Spritzen und kümmerte sich um die Angelegenheiten der Kranken. Manchmal erzählte sie, dass es in einigen Haushalten so viele Kinder gibt. Da war zum Beispiel eine Familie mit sage und schreibe acht Kindern! Auf meine Frage hin, warum das gerade in den Dörfern so sei, meinte sie nur: »Da ist ja sonst nichts, kein Kino, kein Theater, manche haben nicht mal ein Radio – was sollen sie denn anderes machen?«

      Mutti erlebte noch während ihrer Tätigkeit, dass in der DDR der Kampf gegen die Tuberkulose siegreich endete.

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