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      Makkaroni-Essen war für mich wie Schlauchschlucken. Alle Kinder spielten schon auf dem Hof, während ich noch immer vor meinem Teller saß. Die Makkaroni waren längst kalt. »Es wird aufgegessen, es wird nichts weggeschmissen!«, hieß es nämlich. Wieso eigentlich, fragte ich mich, wir hatten doch die Schweine! Aber gut, vielleicht mochten die ja auch keine Makkaroni.

      Irgendwann kam eine Erzieherin und wollte das böse Spiel beenden. »Jetzt nimm doch wenigstens einen Happs«, sprach sie zu mir. Ich nahm – und erbrach mich, direkt auf den Teller. Ich musste nie wieder Makkaroni essen.

      Blutwurst hingegen mochte ich sehr, zumindest damals. Fuhren wir zu Chor-Wettbewerben, bekamen wir jeder ein Futterpaket. Meistens war da auch Blutwurst drin, die die wenigsten Kinder mochten. Elke und ich schlugen uns damit den Bauch voll. Diese Blutwurstzeit reichte offenbar für mein ganzes Leben. Denke ich heute daran, schüttelt es mich.

      Überhaupt war der Chor das Wunderbare hier. Die Heimleiterin, Frau Heuer, formte aus dem gesamten Kinderheim einen Chor. Ihr Motto lautete: »Jedes Kind kann singen!« Na ja, das stimmte … fast. Irgendwie konnten wir es tatsächlich alle. Nur ein Mädchen nicht, das brummte immer nur vor sich hin. Dieses Mädchen hieß ausgerechnet Helga Lerche. Natürlich kam Helga mit, wenn wir zu Auftritten fuhren. Allerdings hatte sie strengstes Verbot, mitzusingen. Sie sollte nur den Mund bewegen und tonlos den Text mitsingen. Frühes Vollplayback eben.

      Helga stand natürlich immer ganz hinten. Noch weiter hinten stand bei einem Auftritt eine große Blumenvase. Kurz vor Beginn unserer Vorstellung nervte ich Elke:

      »Duuuu, ich muss mal!!!« Elke wandte sich an eine Erzieherin, doch die wusste auch keine Lösung. Nach vorn raus konnte ich nicht mehr, und hinter der Bühne war keine Toilette, also hieß es: »Geh auf die Blumenvase.« Das klappte prima, erleichtert konnte ich mitsingen.

      Apropos aufs Klo müssen und die Probleme damit: Ich hatte später das Glück, dass viele Frauen, die ich auf meinen Westtourneen kennenlernte, ihre Schränke für mich öffneten: »Du bist ja so dünn«, sagten sie zu mir, »ich habe so viele Klamotten, die mir zu klein sind. Würdest du die nehmen?« Und wie ich würde! So kam ich zu meinem ersten Overall. Kaum zurück zu Hause war ich schon wieder unterwegs zu einer Veranstaltung. Wir fuhren auf der Autobahn von Berlin nach Hohenstein-Ernstthal, als ich mal wieder ganz dringend musste! Raststätten: Null, Toi­letten: Null! Kein Problem, wir waren ja dran gewöhnt, in den Wald zu gehen. Also ging ich – und stellte mit Entsetzen fest, als ich den Overall runterzog: Ich saß, da ich keinen BH trug, völlig nackt inmitten der Bäume. FKK am Strand – logisch und kein Problem, aber im Wald, direkt neben der Autobahn? Fortan zog ich dieses schicke Teil nie wieder zu einer Mugge an.

      Ja, das ganze Kinderheim war ein einziger Chor, und mir jedenfalls machte das Singen riesigen Spaß. Elke wurde sofort als Sopran eingeteilt. Ich mit meinem kindlichen Alt stand hinten, sang die zweite oder dritte Stimme.

      Wir hatten täglich Proben. Unser Tag begann mit einem Morgenkreis. Da sangen wir ein Morgenlied, zum Beispiel: »Bald prangt, den Morgen zu verkünden, die Sonn auf gold’ner Bahn …« Erst viele Jahre später wurde mir klar, was ich da als Achtjährige mit Inbrunst trällerte: Das Lied der drei Knaben aus Mozarts Zauberflöte.

      So unendlich viele Lieder sind leider vergessen, die meisten werden nicht mehr gesungen. Wie oft rufen Elke und ich uns an, weil da plötzlich ein Lied im Kopf ist und die Frage steht: »Wie geht es weiter?« Gemeinsam packen wir das dann. Am Ende singen wir am Telefon ein Lied, das außer uns fast keiner mehr kennt.

      »Es ließ sich ein Bauer ein’ Paltrock schneid’n« – dieses Lied haben wir im Heim nicht nur gesungen. Wir stellten musikalisch dar, wie sich Bauer und Schneider stritten, weil besagter Rock verschnitten war. Oder das »Besenbinderlied«. An seinem Schluss sang ich voller Inbrunst: »Leute, wer kauft mir Besen ab!« Frau Heuer gab uns also nicht nur Gesangsunterricht, sondern vermittelte uns auch die Freude an der darstellenden Kunst.

      Diese Freude verspürte ich schon immer. Ganz früh hatte ich in Wismar im Kino Schwarzwaldmädel mit Sonja Ziemann gesehen und auch jede Menge Heimatfilme mit ihr. In irgendeinem Film muss sie ein Reh mit der Flasche aufgezogen haben. Ich weiß jedenfalls ganz genau, dass Sonja Ziemann einen meiner Berufswünsche prägte: Förstersfrau!

      Meine zauberhafte Erzieherin hieß ebenfalls Fräulein Ziemann. Natürlich war sie für mich dem Film entstiegen und ich liebte sie als mein Schwarzwaldmädel.

      Mit meiner Freundin Romanda Keller sang ich nicht nur. Wir beide gingen gern in den Krämerladen, um uns für zehn Pfennig eine riesige saure Gurke zu kaufen. Ich weiß bis heute nicht, ob die Schönebecker auch diesen geringen Preis zahlen mussten, oder ob der Ladenbesitzer nur den Heimkindern eine Freude bereiten wollte. Romanda wurde als namenloses Baby in einem Keller in Rumänien gefunden und bekam vom Jugendamt ihren wunderschönen Namen.

      Ein anderes Mädchen beschäftigte mich am 17. Juni des Jahres 1953. Ihre Mutti arbeitete in Magdeburg als Polizistin. Das Mädchen weinte, und uns wurde gesagt: »Seid bitte lieb zu ihr, denn sie hat Angst um ihre Mutter.« In Magdeburg sei ganz viel los, hieß es. Ihre Mutti sei in Gefahr, sogar Schüsse sollen gefallen sein.

      Am Abend erfuhren wir, dass es ihrer Mutti gutgehe. Das war schön, wir freuten uns. Und eigentlich war das ja ein schöner Tag, wir hatten nämlich schulfrei. Seine wirkliche Bedeutung als Volksaufstand wurde mir, wie so vieles im Leben, erst sehr viel später klar.

      Sehr schöne Erinnerungen habe ich an die Saline, das Gradierwerk. Dorthinauf durften wir natürlich nur in Begleitung Erwachsener. Auf dem Gradierwerk stehen und überall von der riesigen Wand glitzernde salzige Tropfen auffangen, einfach wunderbar!

      Elke und ich auf dem Gradierwerkturm, Salzelmen, Anfang der 1950er Jahre

      Wir fuhren mit dem Kinderheim auch ins Ferienlager. Das heißt, wir fuhren in ein anderes großes Kinderheim in der Nähe und dessen Kinder wohnten in der Zeit in unserem Heim. Ein toller Tausch. Das war herrlich, denn wir schliefen auf einem Heuboden – Abenteuer pur! Dieses Vergnügen genoss ich später noch einmal, von Schwerin aus zusammen mit Freunden aus dem Arbeitertheater.

      1955 hatte meine Mutti ihr Studium beendet und eine Anstellung in Schwerin gefunden. Dort war alles fremd, sie musste sich ja erst noch eine neue Existenz aufbauen, eine Wohnung einrichten und dergleichen mehr. Deshalb sollte zuerst nur ich nach Hause kommen, während Elke noch ein Schuljahr länger im Heim blieb.

      Das bedeutete für mich: tränenreicher Abschied von meiner Schwester und den Freundinnen im Kinderheim. Eine Erzieherin setzte mich mit Sack und Pack in Magdeburg in den Zug. In meinem Brustbeutel befanden sich meine Papiere und die Fahrkarte. Ich war jetzt elf Jahre alt und freute mich auf die Mutti, die mich in Schwerin am Zug erwartete. Ganz allein saß ich im Abteil, bis die Schaffnerin kam. Sie sah sich meine Fahrkarte an und fragte nach irgendwas, was ich nicht verstand.

      »Ja, hast du das etwa nicht?«, hakte sie nach.

      Ich konnte darauf nur mit den Schultern zucken und sagte ängstlich: »Das ist alles, was ich bekommen habe.«

      Die Schaffnerin schüttelte den Kopf. »Also, so geht das nicht, da muss ich mich erst mal erkundigen gehen.«

      Ab dem Moment saß ich, sicherlich fälschlicherweise in der 1. Klasse, völlig verängstigt in dem Abteil. Bei jedem Halt dachte ich: Gleich kommen sie und schmeißen mich aus dem Zug.

      Die Schaffnerin sah ich nicht wieder, aber endlich die Mutti auf dem Bahnhof in Schwerin, der ich weinend von meiner Angst erzählte. Aber nun war ja alles gut …

      Arbeitertheater und meine zweite Schwester

      Unsere Schweriner Wohnung erstreckte sich wieder mal über zwei Stockwerke. Im ersten Stock befand sich das Wohnzimmer, im zweiten das Schlafzimmer von Elke und mir. In einem klitzekleinen Raum daneben schlief Mutti. Oben wohnte auf demselben Flur noch eine Familie, durch deren Küche wir gingen, um in unsere Küche zu gelangen. Zwischen beiden Küchen befand sich das Bad, das beide Familien nutzten.

      Glasermeister Bolze und seiner

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