ТОП просматриваемых книг сайта:
Wackernells Visionen. Leo Hillebrand
Читать онлайн.Название Wackernells Visionen
Год выпуска 0
isbn 9788872838266
Автор произведения Leo Hillebrand
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Издательство Bookwire
Aufbruch zu neuen Ufern
Das Frühjahr 1945 bedeutete auch für Norbert Wackernell einen Neuanfang. Er hatte den Krieg zwar äußerlich unversehrt überlebt, das Ereignis prägte ihn jedoch ein Leben lang. Vor allem wirkte die Angst nach, gegen Kriegsende doch noch zum aktiven Militär eingezogen zu werden. Wie schmal die Grenze zwischen Leben und Tod war, erfuhr er in den letzten Kriegsmonaten wiederholt. Als Beispiel führte er eine Episode um seinen späteren Schwager Florian Putzer aus St. Pauls an. Putzer stand in enger Verbindung zu SS-Sturmbannführer Karl Nicolussi-Leck, der ihn, so vermutete Wackernell, wohl auch vor dem Kriegsdienst bewahrt habe. Dafür verpflichtete sich der junge Paulser, „Freiwillige“ zu rekrutieren. So tauchte er auch bei Wackernell mit einem Formular auf, das dieser unterfertigen sollte: die Beitrittserklärung zur SS. Wohl nicht zuletzt das in der Familie vorhandene Misstrauen gegenüber politischen Organisationen bewahrte Wackernell vor einem fatalen Fehltritt. Obwohl er eigenen Aussagen zufolge damals nicht in der Lage war, die SS als Organisation klar zu verorten, lehnte er ab. Die Richtigkeit seiner Entscheidung wurde ihm bald drastisch vor Augen geführt: Zwei Buben vom nahen Stemmerhof unterschrieben – und kehrten beide nicht mehr aus dem Krieg zurück. Aufgrund solcher Erfahrungen sah der junge Wackernell nach Kriegsende nicht frohen Mutes einer friedlichen, harmonischen Zukunft entgegen, sondern er blieb von tiefer Skepsis geprägt. Diese kam vor allem in seiner Einstellung zum Ausdruck, es sei nur eine Frage der Zeit, bis es zum nächsten bewaffneten Konflikt käme. Der bald folgende Kalte Krieg schien diese Haltung zu bestätigen. Erst mit der zunehmenden politischen Entspannung zwischen Ost und West Anfang der 1970er-Jahre blickte auch Wackernell optimistischer in die Zukunft. Seine anfängliche Zukunftsskepsis wurde freilich überlagert von den unmittelbar drängenden Fragen des Lebens wie der Fortsetzung seines Bildungsweges. Weil er die Kriegsmatura nicht mehr absolvieren konnte, schrieb er sich ins Wissenschaftliche Lyzeum ein, um die Abschlussprüfung nachzuholen. Zuvor galt es, im Herbst 1945 eine Aufnahmeprüfung zu schaffen, die es in sich hatte. Obwohl Wackernell den ganzen Sommer hindurch lernte, bestand er nur knapp. In der Folge lief dann alles wie geplant: Er absolvierte das Schuljahr und bestand im Sommer 1946 die Matura. Auch der Weg danach war vorgezeichnet. Obwohl sich die Eltern nie in Schul- und Studienfragen einmischten und allenfalls der Großvater ihm öfters eine Zukunft als Ingenieur prophezeit hatte, war die Entscheidung klar: Er schrieb sich am Mailänder Politecnico in das Fach Hoch- und Tiefbau ein. Doch ein Studium nach dem Krieg – das war leichter gesagt als finanziert. Auch für eine Familie des gehobenen Mittelstandes stellte es in der Nachkriegszeit eine materielle Herausforderung dar. Ein Ereignis drohte Wackernells Studienpläne abrupt zunichtezumachen. 1947 ging der Meraner Banco di Roma pleite, eben jene Bank, bei der die Familie ihr gesamtes Barvermögen deponiert hatte. Nur ein Glücksfall rettete die Situation. Der Direktor der Meraner Filiale war ein Jagdfreund des Vaters. Er präsentierte sich eines Nachts an der Haustür und teilte den verdutzten Eltern mit, im mitgebrachten Koffer befinde sich deren gesamte Einlage. Morgen melde die Bank nämlich Konkurs an. Es war eine illegale Handlung. Norbert Wackernell aber rettete sie das Studium.
Student in Mailand
Das Studium in Mailand begann Wackernell zusammen mit seinem Spezi aus Schul- und Kriegszeiten, Bernhard Höllrigl. Die beiden Jungen bezogen eine Privatwohnung. Bereits im ersten Studienjahr legte sich Wackernell dermaßen ins Zeug, dass er Anrecht auf ein Begabtenstipendium erhielt. Das inkludierte einen kostenlosen Heimplatz in der Casa dello Studente, wo der junge Meraner den Rest der Studienzeit zubrachte. Die Auswirkungen des Krieges waren noch überall sichtbar und spürbar. Wackernell erinnerte sich etwa an das eigenartige Fleisch, das in der Heimmensa ausgegeben worden sei: die, wie es im despektierlichen Studentenjargon hieß, „tette delle vacche“. Aus Spargründen kaufte die Mensa vornehmlich Euterfleisch, das sich beim Drücken mit der Gabel als noch deutlich milchhaltig erwies. Getreu seinem Credo trat Wackernell keiner Studentenorganisation bei, auch nicht dem bereits bestehenden „Bund der Südtiroler Hochschüler.“ Ansonsten hielt er durchaus Kontakt mit anderen Studenten aus Südtirol. So erinnerte er sich an den gleichaltrigen Roland Riz sowie an etliche Pusterer. Besonders ausgelassen war die Studentenzeit damals freilich nicht. Speziell das Studium am Politecnico war Knochenarbeit, die Paukerei Normalzustand. Viele Studienanfänger, so Wackernell, seien gescheitert, andere hätten sieben, acht Jahre zum Abschluss benötigt. Er absolvierte das Studium in der Mindestdauer, nicht zuletzt aus finanziellen Erwägungen. Die Benachteiligung deutschsprachiger Studenten war zwar keineswegs die Norm, kam aber durchaus vor. Als Wackernell zu einer Prüfung antrat, kam es zu folgender Situation: „Ich meldete mich zur Prüfung im Fach Brückenbau an, diese galt als eine der härtesten des gesamten Studiums. Der prüfende Professor war ein Ingenieur mit internationalem Renommee. Ich trat also in den Raum, er würdigte mich keines Blickes, las nur laut meinen Namen und meinte: ‚Ma lei è tedesco?‘ Ich sofort: ‚No, no, vengo dall‘Alto Adige, lì i nomi tedeschi sono frequenti.‘ Meine Äußerung verfehlte freilich den gewünschten Effekt. ‚Ma lei, come tedesco, ha il coraggio di venire da me a fare l’interrogazione?‘ Darauf ich: ‚Professore, non capisco!‘ Er: ‚Ma lei non sa, che i tedeschi hanno buttato giù tutti i miei ponti sul Po [am Ende des Zweiten Weltkrieges – Anm. d. Verf.] E la nostra amministrazione non mi ha fatto ricostruire uno, hanno dato tutti gli ordini a bravi socialisti.‘ Ich dachte nur daran, mich schnell aus der Affäre zu ziehen und sagte: ‚Non c‘entro, professore, mi ritiro.‘ Das ging dem Professor dann doch zu weit: ‚No, no, stia!‘ Die folgende Prüfung hatte es allerdings in sich. Unter anderem stellte er mir eine Fangfrage, wie man die statische Belastbarkeit eines Geländers auf einer Steinbrücke berechnet. Aber ich war gut vorbereitet und hatte die korrekte Antwort parat. Schließlich entließ er mich mit 28 Punkten [höchste Bewertung: 30 Punkte – Anm. d. Verf.].“ Mit seinem Einsatz und einwandfreien Leistungen empfahl sich Wackernell für höhere Weihen: Man signalisierte ihm, dass man ihn nach Beendigung des Studiums an der Uni behalten wolle. Obwohl eine Assistenzstelle damals deutlich bessere Perspektiven bot als heute, lehnte er ab. Ungeachtet aller Offenheit gegenüber der italienischen Lebensweise und Kultur kam Mailand für ihn als künftiger Lebensmittelpunkt nicht in Frage. Ihn zog es wieder zurück nach Südtirol. Bevor Wackernell