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bestimmt, dann ist es offensichtlich keine korrekte Antwort, da die Vergangenheit nicht mehr existiert. Um die Frage wirklich beantworten zu können, müssen wir sehen, daß wir die Antwort nicht wissen, und auch, daß wir nicht wissen, wie wir sie finden können. Ist es möglich, euch selbst einzugestehen, daß ihr die Antwort nicht kennt und auch nicht wißt, wie ihr sie finden könnt, und dabei die Frage „Wer bin ich?“ doch in euch brennen zu lassen?

      „Wer bin ich?“

      Können wir es uns erlauben zu sehen, daß wir nicht wissen? Wenn wir annehmen, wir wüßten, dann beenden wir die Untersuchung. Wenn wir annehmen, wir wüßten, wie wir diese Frage anzugehen haben, dann nehmen wir an, daß wir die Antwort bereits kennen und wissen, wonach wir suchen. Vielleicht besteht das wirkliche Wissen darin, nicht zu wissen. Wenn ihr euch erlaubt zu sehen, daß ihr nicht wirklich wißt, und daß ihr nicht wißt, wie ihr wissen könnt, dann kann etwas geschehen. Vielleicht ist das eure erste Chance, wirklich etwas zu wissen. Die Annahmen, daß ihr wißt, und daß ihr wißt, was zu tun ist, sind Barrieren für wahres Wissen. Wenn ihr schließlich wißt, daß ihr nicht wißt, dann habt ihr endlich absolutes Wissen. Vollkommene Unwissenheit ist das, was zu wahrem Wissen führen wird.

      Ihr seht, der Verstand (mind) hat hier keine Funktion. Diese Untersuchung hat nichts mit eurem Verstand zu tun. Euer Verstand kann nur die Frage beantworten und feststellen, daß manche der Antworten nicht die Antworten sind. Das einzige, was wir tun können, ist zu eliminieren, was wir zu wissen glauben, und sehen, daß wir in Wirklichkeit nicht wissen. Das ist alles, was wir tun können. Wir können nichts Positives tun, um zu beginnen, etwas herauszufinden, weil wir in dem Moment, in dem wir das tun, bereits annehmen, daß wir wissen, wohin wir gehen. Woher wißt ihr, was geschehen sollte? Dieses Wissen ist aus der Erinnerung, aus vergangener Erfahrung abgeleitet.

      Wenn ihr seht, daß ihr nicht wißt und auch nicht wißt, wie ihr wissen könnt, dann könnt ihr mit all den Aktivitäten aufhören, durch die ihr zu wissen sucht, und dann wird vielleicht etwas geschehen. Vielleicht ist eine andere Art von Wissen möglich, ein Wissen, das vollkommen frisch ist. Es ist auch möglich, daß das Wissen nur im Nichtwissen besteht. Vielleicht werdet ihr nur wissen, daß ihr nicht durch etwas von dem definiert seid, wodurch ihr euch gewöhnlich definiert, und daß es keine andere Weise gibt, euch zu definieren. Ihr wißt vielleicht nur, daß ihr undefinierbar seid und das Wissen, daß ihr undefinierbar seid, Freiheit ist. Vielleicht ist das also die endgültige Definition von euch. Aber das ist eine Erfahrung, eine Einsicht, und nicht nur eine logische Schlußfolgerung.

      „Wer bin ich?“ ist eine sehr persönliche Frage. Sie ist auf ganz intime Weise eure Frage. Sie ist nicht theoretisch, und sie ist auch nicht etwas, das ihr nur durch Nachdenken beantworten könnt. Niemand anders kann sie für euch beantworten. Sie muß zu eurem eigenen persönlichen Problem werden. Und was immer geschieht, während ihr die Frage untersucht, ihr müßt ihrer nur gewahr sein. Ihr müßt nicht zu Schlußfolgerungen gelangen. Es ist ein Forschen mit offenem Ende. Und was immer ihr findet, braucht ihr nicht in Worte zu fassen.

      Gibt es Fragen?

      Schüler: Es klingt so, als wolltest du sagen, daß du das Gefühl hast, Freiheit sei umgekehrt proportional zur eigenen Selbstdefinition.

      A.H. Almaas: Ja. Wenn du dich definierst, dann schränkst du dich ein. Die Tatsache, daß du dich definierst, weist darauf hin, daß es etwas Größeres als die Definition gibt.

      S: Ich merke, daß ich alle paar Jahre den Wunsch verspüre, mit ganz wenig Gepäck in ein fremdes Land zu reisen. Es ist so, als nähme ich eine Pause von mir selbst, und das fühlt sich sehr frei an.

      AH: Das ist ein Versuch, einen gewissen Abstand von deiner persönlichen Geschichte zu bekommen. Viele Menschen haben das Gefühl, daß sie eine Pause von sich selbst brauchen. Viele Leute fahren deshalb in Urlaub. Aber du siehst, Veränderung des physischen Raums kann zwar ein wenig helfen, das Wichtige aber ist, aus der persönliche Geschichte herauszukommen, und die nimmst du in deinem Geist (mind) mit.

      Viele Menschen fühlen dieses Bedürfnis und versuchen auf vielerlei Weise, Abstand von ihrem persönlichen Leben zu gewinnen. Eine solche Möglichkeit ist ins Kino gehen oder in einen Roman eintauchen. Warum gehen Menschen ins Kino? Um zu fliehen, um einen Miniurlaub von sich selbst zu nehmen. Ihr geht in einen dramatischen Film, laßt euch ganz mitreißen und vergeßt euer Leben. Ihr seid ganz jemand anders. Das ist der Urlaub, und wenn der Film dann vorbei ist, kommt ihr gleich wieder zurück.

      Das, wovon wir hier sprechen, ist viel radikaler. Diese Frage wirklich zu beantworten, heißt vollkommen außerhalb eurer persönlichen Geschichte und unbeeinflußt von ihr zu sein. Das kann nur durch eine radikale Transformation im Inneren geschehen – dadurch, daß ihr wirklich unmittelbar seht, daß ihr nicht diese Geschichte seid, nicht dadurch, daß ihr versucht, aus ihr herauszukommen.

      S: Ich nehme an, das kleine Muster meiner Probleme ist eine andere Definition meiner selbst; also reise ich in ein fremdes Land, um eine Pause von ihnen zu machen, und bekomme stattdessen eine ganze Reihe neuer Probleme, mit denen ich umzugehen habe.

      AH: Richtig. Du definierst dich als ein Mensch, der Probleme hat und Urlaub von seinen Problemen machen muß. Du tauschst also eine persönliche Geschichte gegen eine andere aus. Das löst die Probleme nicht, führt aber im Moment zu einer gewisse Erleichterung.

      All diese Versuche, einschließlich der inneren Arbeit, sind einfach ein Neuordnen persönlicher Geschichte, damit wir sie als eine Totalität sehen können. Meistens ist unsere persönliche Geschichte so arrangiert, daß wir vollkommen in sie verwickelt sind. Wenn wir die innere Arbeit tun, ordnen wir die Teile neu, damit wir sie anschauen können. Wenn ihr sie anschaut, dann ist es möglich, über sie hinaus zu schauen.

      Die innere Arbeit hilft euch, die Teile zu sehen, und je mehr ihr das tut, desto größer werden die Teile, die ihr seht, desto größer ist das Bild, das ihr seht – bis ihr die ganze Sache sehen könnt. Wenn das geschieht, dann ist es möglich zu sehen, daß es etwas jenseits all dieser Dinge gibt.

      S: Ich denke, ich bin zu der inneren Arbeit gekommen, um meiner Klaustrophobie und meiner Festgefahrenheit zu entkommen.

      AH: Du möchtest wieder freikommen, oder? Aber wenn du freikommen willst, dann definierst du dich als Mensch, der festgefahren ist. Wenn du dich selbst als jemanden siehst, der feststeckt, dann bewirkt vielleicht gerade das, daß du feststeckst. Es ist Teil der persönlichen Geschichte - jemand zu sein, der feststeckt. Ich behaupte nicht, daß du dich nicht so fühlst. Ich sage nur, betrachte es anders.

      S: Meinst du, daß immer, wenn man eine Totalität sieht, diese zu einem weiteren Teil wird, und daß immer, wenn man diesen Teil sieht, er sich wieder ausdehnt?

      AH: Nein, nicht unbedingt. Ich sage, daß du immer, wenn du eine Totalität definierst, über sie hinausgehst. Wenn du das, was darüber hinaus ist, definierst, dann kannst darüber hinausgehen; aber „darüber hinaus“ bedeutet nicht definiert.

      S: Ich kann mir nicht vorstellen, „darüber hinauszugehen“, solange ich nicht sterbe. Für mich geschieht all das, wovon du sprichst, Menschen, wenn sie sterben und ihren Körper verlassen.

      AH: Das heißt, du identifizierst dich mit deinem Körper, oder? Weil du sagst: „... solange ich nicht sterbe.“ Aber was ist das, was stirbt? Verstehst du? Sieh also einfach, daß du dich mit deinem Körper identifizierst, und deshalb hast du das Gefühl, nicht darüber hinausgehen zu können. Ich behaupte, daß es möglich ist, die Identifizierung zu lösen, ohne zu sterben.

      Mit der Rede ist das so eine Sache. Ihr müßt auf eure Rede achten, weil sie eine Falle sein kann. Wenn ihr glaubt, was ihr sagt, dann sitzt ihr in der Falle. In dem Moment, in dem ihr sagt „... solange ich nicht sterbe“ und das glaubt, seid ihr gefangen. Ihr denkt vom Körper aus. Natürlich müßt ihr euren Namen, euer Geburtsdatum und so weiter benutzen – aus praktischen Gründen. Aber das ist der einzige Grund, aus dem ihr eine Identität braucht. Man braucht sie nicht psychologisch. Und ihr braucht sie nicht für eure Existenz.

      S: Wozu ist es gut, wenn ich herausfinde, wer ich bin? Warum auch nur den Versuch machen, das zu tun?

      AH: Das wirkliche Selbst hat nichts davon; es ändert

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