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Im Dialog mit dem Körper. Susanne Kersig
Читать онлайн.Название Im Dialog mit dem Körper
Год выпуска 0
isbn 9783867813600
Автор произведения Susanne Kersig
Издательство Bookwire
In einer Studie wurde PatientInnen Zuckerwasser verabreicht mit dem Hinweis, es handele sich um ein Brechmittel. 80 Prozent übergaben sich dennoch! Bernie Siegel zitiert in Prognose Hoffnung eine weitere Studie, bei der man KrebspatientInnen statt einer Chemotherapie eine Kochsalzlösung verabreichte. 30 Prozent der Versuchsteilnehmenden fielen daraufhin die Haare aus! (Rankin 2014)
Interessanterweise existiert der Placebo-Effekt sogar in der Chirurgie. Der Orthopäde Bruce Moseley teilte 180 PatientInnen mit Arthrose im Knie in drei Gruppen ein. Eine Gruppe erhielt nur einen oberflächlichen Einschnitt, bei der zweiten Gruppe wurde ins Gelenk eingedrungen und es wurde ausgewaschen, die dritte Gruppe erhielt die volle Operation inklusive Knorpelentfernung. Die PatientInnen und die nachuntersuchenden ÄrztInnen wussten nicht, welcher Gruppe sie jeweils zugehörten. Nach zwei Jahren stellte sich heraus, dass sich die PatientInnen in allen drei Gruppen im gleichen Maße besser fühlten. Das zeigt, dass allein die Vorstellung, operiert worden zu sein, bereits dazu führt, dass man sich besser fühlt und dass sie offenbar genauso wirksam ist wie die komplette Arthrose-Operation selbst (Moseley 2002).
Lissa Rankin zitiert den interessanten Fall einer Psychiatriepatientin mit multipler Persönlichkeit. Der eine Teil der Patientin war keine Diabetikerin und hatte ganz normale Blutzuckerwerte. Wenn sie aber in den anderen Teil ihrer Persönlichkeit schlüpfte, glaubte sie, Diabetikerin zu sein, und ihre Blutzuckerwerte schossen derartig in die Höhe, dass sie nach medizinischen Kriterien tatsächlich Diabetikerin war. Die Werte normalisierten sich wieder, wenn sie in den anderen Teil ihrer Persönlichkeit zurückkehrte (Rankin 2014).
Wie kann das sein? Wieso bekommt jemand Diabetes, nur weil sie glaubt, Diabetikerin zu sein? Wieso fallen Menschen nach der Einnahme einer Kochsalzlösung die Haare aus? Und wieso wirken Zuckerpillen gegen Schmerzen fast so gut wie Morphium?
Der Nocebo-Effekt wird von WissenschaftlerInnen damit begründet, dass eine Negativbotschaft Stressalarm, eine Erhöhung des Cortisolspiegels und damit eine Angst- und Fluchtreaktion auslöst. Umgedreht führt der Glaube an die Wirksamkeit eines Medikaments oder einer Therapie zu einer vermehrten Ausschüttung von Endorphinen und Dopaminen, die wiederum aufsteigende Schmerzreize hemmen. Indem wir uns entspannen, die Angst loslassen und die Besserung unserer Symptome antizipieren, nehmen wir ganz direkt Einfluss auf die Vorgänge in unserem Körper. Neben der Erwartungshaltung spielt aber auch ein Konditionierungseffekt eine Rolle. Wenn – laut Studien – eine Person regelmäßig ein Medikament einnimmt, von dem sie weiß, dass es wirksam ist, und das dann aber bei jeder zweiten oder dritten Dosis durch ein Placebo ersetzt wird, lässt die Wirkung des Medikaments keineswegs nach (Walach 2017).
Harald Walach kommt in seinem Buch Weg mit den Pillen nach der Auswertung vieler Studienergebnisse zu dem Ergebnis, der Placebo-Effekt sei der eigentliche Riese, auf dem der Zwerg der pharmakologischen oder chirurgischen Behandlung reite und nicht umgekehrt. Natürlich gibt es auch Fälle, in denen es nicht so ist, in denen die materielle Ebene der Behandlung Vorrang hat vor der des Glaubens und der Vorstellungskraft, wenn zum Beispiel einem Patienten, der im Koma liegt, blutdrucksenkende Mittel gegeben werden und diese wirksam sind. Dennoch illustriert das Bild des Riesen sehr gut, wie sehr wir bisher den Placebo-Effekt, also die Kraft unserer Vorstellung, unterschätzt haben. Walach schlägt vor, diesen Effekt, der mit der Kraft von Zuversicht, Hoffnung, Entspannung und Angstreduktion einhergeht, zukünftig als den Effekt der Selbstheilungskräfte zu bezeichnen. Dadurch wird die in jedem von uns existierende Heilkraft nicht zu einem unerwünschten Nebeneffekt medizinischer Forschung abgewertet, sondern als etwas für den Gesundungsprozess Wesentliches herausgestellt.
Das Wort »Medikament« stammt aus dem Lateinischen medica mente, was so viel bedeutet wie: »Heile durch den Geist«. Mit der Vorstellung, dass ein bestimmtes Medikament, eine Operation oder andere Therapie wirksam sei, entwickeln wir ein inneres Bild von Heilung. Wir fühlen uns entspannter und hoffnungsvoller als zuvor. Alle dies hat tatsächlich messbaren Einfluss auf unseren Körper. Deshalb ist es so wichtig, dass wir herausfinden, an welche Behandlung wir wirklich glauben, und diese dann auch durchführen. Nur wenn uns eine Therapie auch innerlich überzeugt, kann sie ihre volle Wirkung entfalten.
Schon Paracelsus hielt vor 500 Jahren die Imagination für die eigentliche Kraft im Heilungsprozess. Er führte aus, wir besäßen als Menschen eine sichtbare Werkstatt, unseren Körper, und eine unsichtbare, die Vorstellungskraft. Diese sei die Sonne in der Seele des Menschen. Er fügte weiter hinzu, dass der Arzt oder die Ärztin in uns selbst vorhanden sei! (Faulstich 2010)
Der Hirnforscher Gerald Hüther spricht ebenfalls von der Macht der inneren Bildern, die unsere Wahrnehmung von der Welt bestimmen und ordnen. Es sind diese im Gehirn gespeicherten Muster, die wir benutzen, um uns in der Welt zu orientieren. Offenbar entscheiden diese Bilder auch darüber, wie und wofür wir unser Gehirn benutzen. Joachim Faulstich stellt in seinem Buch Das Geheimnis der Heilung die These auf, dass unsere inneren Bilder die eigentlichen Steuerinstanzen sind, die Intelligenz, die das psychosomatische Netzwerk aus der Tiefe im Gleichgewicht hält (Faulstich 2010).
Bei einer ganzheitlichen Krankheitsbehandlung geht es dementsprechend nicht nur um die Bekämpfung von Symptomen, sondern um eine grundsätzliche Neuorientierung: eine Veränderung unheilsamer, häufig unbewusster Vorstellungen und Überzeugungen in Richtung heilender und wohltuender innerer Bilder.
Mithilfe der achtsamen Körperdialoge wird es uns möglich, unsere verborgenen, krankmachenden Bilder aufzuspüren. Einmal ins Licht des Bewusstseins geführt und körperlich gefühlt, findet unser Organismus dann häufig von selbst neue, heilende Bilder, die wiederum zu einer Neuorganisation des psychosomatischen Netzwerks führen. Am Ende eines Körperdialoges fühlen wir uns deshalb in aller Regel entspannter, wohliger und mehr in Einklang mit uns selbst. Wir haben neue Bilder und Einsichten gefunden, die uns stärken, heilen oder zumindest die Kraft geben, mit der Symptomatik oder der Erkrankung besser umzugehen.
WissenschaftlerInnen haben die seltenen Spontan-Heilungen von KrebspatientInnen untersucht, das sind Fälle, in denen Menschen entgegen aller Erwartung und ohne jede Behandlung wieder gesund wurden. Eine Gemeinsamkeit war, dass alle PatientInnen ihren ganz individuellen Weg gingen (Faulstich 2010). Wenn wir dies auf unseren Genesungsprozess übertragen, macht es zutiefst Sinn, dass wir unsere ganz persönlichen Bilder kennenlernen und neue, maßgeschneiderte Bilder für das finden, was Heilung für uns bedeutet. Sie werden in den Beispielen dieses Buches etliche solcher individuellen Heilungsbilder finden.
Kapitel 4
Einstieg in die Körperdialoge
Im Folgenden möchte ich Ihnen konkrete Übungen vorschlagen, mit deren Hilfe Sie Ihre Selbstheilungskräfte aktivieren und einen heilsamen Umgang mit Ihrer Erkrankung finden können. Um die achtsamen Körperdialoge zu lernen, ist es hilfreich, diese Übungen systematisch durchzugehen. Bitte fühlen Sie sich aber frei, zunächst nur die Übungsvorschläge aufzugreifen, zu denen Sie sich momentan auch hingezogen fühlen.
Bei einem konkreten Körperdialog mit einer erfahrenen Focusing-Begleitung wird es oft so sein, dass verschiedene Übungen und Methoden innerhalb eines einzigen Prozesses zur Anwendung kommen. Man beginnt vielleicht mit der Zielformulierung, dabei könnten schon schwierige Gefühle auftauchen. Dann geht der Freiraum verloren und sollte wiederhergestellt werden oder es bietet sich eine Berührung an. Es ist ein organischer, von der körperlich gefühlten Resonanz auf ein Thema geleiteter Prozess, den wir nicht mit dem Verstand vorausplanen können und bei dem wir vorher nie wissen, wie er sich entwickelt.
Stellen Sie sich das wie beim Tanzen vor. Zunächst zeigt man Ihnen im Tanzkurs einzelne Schritte wie Kreuz- oder Wechselschritt, Drehung oder Chassé. Sie wiederholen diese Schritte immer wieder, bis sie sitzen. Dann gehen Sie mit ihrem Partner in eine Bar, der Disc-Jockey legt eine heiße Scheibe auf, etwas, das gleich in die Beine geht, und auf der Tanzfläche denken weder Sie noch Ihr Partner oder Ihre Partnerin über die einzelnen Schritte nach, sondern Sie lassen alles, was Sie gelernt haben, einfach organisch ineinanderfließen, so,