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von der Welt.

      Fügen wir die beiden obigen Fusionen aneinander, können wir uns keine Welt ohne Wahrnehmung vorstellen und keine Wahrnehmung ohne Welt. Paradox ist das nur, solange wir darauf bestehen, die Welt als getrennt von uns selbst zu begreifen. Sind der Tänzer und der Tanz eins – der Wahrnehmende und das Wahrgenommene –, verschwindet das Paradox.

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      Ich denke, der spätere Bischof von Cloyne wollte auf ebendiesen Punkt hinaus, bis ihm Gott in die Quere kam. Aber er kam ganz nah ran. Berkeley sah klar die Absurdität und Leere der Vorstellung von Materie und der einer Existenz, die von Wahrnehmung getrennt ist – ihm zufolge handelt es sich um dieselbe Vorstellung. Er löste diese Absurdität mit einer Art universeller Wahrnehmung, die er Gott zuschrieb. Der Baum existiert fortwährend, weil Gott ihn fortwährend wahrnimmt, und esse est percipi.

      Es gibt noch eine andere Lösung für das Problem des Fortwährens, und obgleich Berkeley sie direkt vor der Nase hatte, sah er sie nicht.

      Esse est percipi (aut percipere) – Sein ist Wahrgenommenwerden (oder Wahrnehmen). Genau da steht’s, in der Klammer.

      Was wäre, wenn der Baum im Innenhof selbst wahrnähme? Was wäre, wenn der Baum, in Berkeleys Terminologie, ein Geist wäre?

      Bis vor nicht allzu langer Zeit wäre man für die Idee, Bäume nähmen wahr, auf dem universitären Innenhof ausgelacht worden – Gelehrte wollten nichts davon hören. Heute sehen Wissenschaftler das anders. Im Kapitel »Sein oder Nichtsein« schauen wir uns später an, was sie zu sagen haben. Fürs Erste reicht es, Folgendes anzumerken: Falls Bäume tatsächlich wahrnehmen, müsste es Berkeley nicht mehr »recht doof« finden, dass der Baum weiter im Raum stände, »selbst wenn niemand da wäre im Hof«. Schließlich wäre der Baum – ein Geist – dann selbst »im Hof«, und mehr brauchte es nicht.

      Wenn wir dächten, dass nicht nur Bäume, sondern auch Steine und Flüsse und Wolken Geister in Berkeleys Sinn seien – also wahrnehmend –, würden wir die Welt sehr anders empfinden. Es wäre eine Welt, wie sie der Homo sapiens während des Großteils seiner Vorgeschichte erfahren hat – also während weit über 90 Prozent der Zeit, die wir als Spezies existieren. Nach wie vor mit der Wildnis verbunden, erfahren viele indigene Völker diese Welt auch heute noch.

      Diese Sichtweise wird gemeinhin als Animismus bezeichnet. In der Regel nahm sie immer dann und dort ab, wenn Menschen sich vom Jagen und Sammeln ab- und der Landwirtschaft zuwandten, wo Pflanzen und Tiere von, in Yuval Hararis Worten33, »gleichberechtigten spirituellen Partnern« zu »stummen Besitzgütern« wurden. Systematisch verurteilt und ausgerottet wurde der Animismus in großen Teilen der Welt durch Berkeleys Religion, das Christentum, das der Natur innewohnende, nichtmenschliche Geister mit Heiligen ersetzte – Männer und Frauen, die nicht in Bäumen oder Flüssen lebten, sondern im Himmel. Oftmals ging die christliche Missionierung einher mit kolonialistischem Genozid und ökologischer Zerstörung durch einen Ressourcenabbau auf Land, das Europäer den ursprünglichen Bewohnern abgenommen hatten. So gibt es heute, anteilsmäßig zur Weltbevölkerung, nur noch sehr wenige Animisten.

      Den meisten von uns ist die Erfahrung des Animismus völlig fremd, und in den meisten europäisch geprägten Gesellschaften gilt sie einfach als falsch – ob es einem gefalle oder nicht, die westliche Wissenschaft habe bewiesen, dass die Dinge anders lägen, als Animisten glaubten. Nehmen wir allerdings im Sinne des Guten Bischofs ernst, dass die Welt nicht von uns getrennt ist und wir nicht getrennt von der Welt sind – dass wir uns keine Welt ohne Wahrnehmung vorstellen können und keine Wahrnehmung ohne Welt, dass esse est percipi (aut percipere) –, dann regen sich in uns vielleicht erste Zweifel an unserem »Wissen« und noch grundlegender daran, wie wir eigentlich zu diesem gekommen sein wollen.

      Wenn Berkeley recht hat und Materie ein unstimmiges Konzept ist, es stattdessen nur Wahrnehmen und Wahrgenommenwerden gibt, dann gerät die grundlegende Lehre des Kartesianismus – dass die physische Welt mühelos ohne jegliches Bewusstsein existieren kann – in arge Bedrängnis. Die grundlegende Lehre des Animismus – dass die physische Welt aus Erfahrenden besteht – würde dann einen eleganten Ausweg aus dem Dilemma bieten (wenngleich keinen im Sinne Berkeleys, dem ja die Vorstellung eines allwahrnehmenden Gottes lieber war).

      Berkeley zufolge können wir unterscheiden, was real ist und was nicht, ohne auf die Vorstellung von Materie zurückgreifen zu müssen, indem wir nach Gesetzmäßigkeiten in unserer Erfahrung Ausschau halten: Das Reale zeigt sich uns in Form verlässlicher Gesetzmäßigkeiten, während ein Traum oder eine Halluzination das nicht tun. Demgegenüber gilt nach einem der Lehrsätze des grundlegenden Animismus, dass Menschen mit anderen Erfahrenden, aus denen die physische Welt besteht, in Kontakt treten können – und dass dieser Kontakt oftmals ungeregelt, sporadisch, spontan und traumartig ist.

      Im Kapitel »Der Heilige David« untersuchen wir nun das Verhältnis zwischen dem Realen und dem Gesetzmäßigen.

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