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Elisabeth hielt sich mehrere Hunde und in einer Voliere bunte Papageien. Sie fühlte sich wie damals in ihrer Kindheit auf Schloss Possenhofen in Bayern.

      Mit Latour saß sie meistens im Freien und genoss die milde Seeluft Madeiras. Ihr Arzt meinte, sie würde eine heilende Wirkung auf Elisabeths angegriffene Lunge haben.

      Verschämt hatte Latour einmal erwähnt, dass die milde Wärme Madeiras für ihn in den Wintermonaten eine willkommene Abwechslung zur Kälte in Wien war. Er berichtete bei jedem Besuch von Neuigkeiten aus der Hauptstadt des Reiches. Die meiste Zeit redete er vom Kaiser und den Kindern. Obwohl er es nie aussprach, verstand Elisabeth, dass sie nicht nur ihr Mann, sondern auch der Hof und die Menschen des Landes vermissten.

      Im Laufe der Zeit besserte sich nicht nur ihre Gesundheit, vor allem fühlte sich Elisabeth sicherer und stärker.

      Aus dem Spiegel in ihrem Ankleidezimmer blickte ihr nicht länger Sisi entgegen, das süße Mädchen, in das der Kaiser so verliebt war, über das aber seine Mutter Sophie, sein Bruder Ludwig Viktor und viele andere bei Hof den Kopf schüttelten. Sie war kein Kind mehr, das sich von ihnen belehren oder erziehen ließ, wie es in den ersten Jahren ihrer Ehe mit Franz Joseph geschehen war.

      Aus Sisi war Kaiserin Elisabeth geworden, eine erwachsene Frau von einzigartiger Schönheit. Auf ihren Spaziergängen in der Hauptstadt Madeiras, Funchal, hatte sie die bewundernden Blicke der Menschen gespürt. Ihre Hofdamen berichteten, dass Elisabeths Anmut Gesprächsthema auf der ganzen Insel war.

      Die Unterhaltungen mit Josef Latour hatten zu Elisabeths neuem Selbstbewusstsein beigetragen. Sie redete mit ihm über Poesie, Philosophie und die Kunst der alten Griechen. Elisabeth spürte seinen Respekt für ihre Bildung.

      Sie begriff, dass er zwischen dem Kaiser, dem Hof und ihr vermitteln wollte. Er achtete dabei ihre Zurückhaltung und zeigte, wenn auch auf stille Weise, Verständnis. Besonders hoch rechnete sie ihm an, dass er sie mit keiner Silbe zur Rückkehr mahnte. Latour erwähnte höchstens die Spekulationen der Presse über ihre Abwesenheit, die zuerst Monate, nun aber schon zwei ganze Jahre andauerte.

      Das leise Bellen ihres Hundes holte Elisabeth in die Gegenwart zurück. Sie sah sich nach Houseguard um und bemerkte dabei fünfzig Schritte hinter sich den Mann im grauen Anzug. Er blickte zu Boden und schlenderte zur Seite hinter den Stamm einer hohen Kastanie. Elisabeth verdrehte die Augen.

      Für wie dumm hielten sie ihre Bewacher eigentlich?

      Der Wolfshund erschien hechelnd neben ihr. Nebeneinander schritten sie auf das Ziel von Elisabeths Spaziergang zu: die kleine Gloriette.

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      Ida hatte schon einige Male vom St. Marxer Friedhof gehört, den sie nun betrat. Der Bursche stapfte durch ein Gittertor. Ohne sich ein einziges Mal umzudrehen, lief er durch eine lange Allee. Die Bäume trugen das zartgrüne Laub des späten Frühlings. Flieder und andere blühende Büsche nahmen dem Ort etwas von der Traurigkeit, die hier zu fühlen war.

      Wege zweigten nach links und rechts ab. An beiden Seiten waren Gräber und Grüfte angelegt.

      Ida wollte dem Burschen schon zurufen, ein wenig langsamer zu gehen, als er von allein stehen blieb. Er deutete auf eine Grabstätte. Ein steinerner Engel lehnte an einem Sockel, auf dem eine Säule stand. Das obere Ende war bewusst so gestaltet, dass die Säule wirkte, als wäre sie in der Mitte abgebrochen.

      W. A. MOZART

      1756 - 1791

      »Mehr ist auch von ihm nicht übriggeblieben«, sagte der Bursche mit Spott in der Stimme.

      Ida wollte einwerfen, dass Mozarts Musik unsterblich war, kam aber nicht dazu. Der Bursche war schon weiter. Er bog nach links ab und Ida hörte eine Frau rufen.

      »Peter, na endlich.«

      Als Ida in den Nebenweg trat, blieb sie mit einem Ruck stehen und bekreuzigte sich hastig.

      Auf zwei einfachen Holzblöcken stand ein offener Sarg aus dunkler Eiche. Der Deckel lag daneben im Gras. Am Grab stützten sich zwei kräftige Männer in dreckigen Hosen auf ihre Schaufeln. Gelangweilt verfolgten sie, was die Frau tat. Es musste die Photographin Amalie Buback sein. Sie hatte ihr rotblondes Haar unter die gleiche Kappe gestopft, wie sie auch der Bursche trug. Ein paar Strähnen hingen schlampig bis zu ihren Schultern herab.

      »Sie sucht dich«, erklärte der Bursche und zeigte auf Ida.

      »Kommen Sie morgen wieder.«

      Nie zuvor war Ida so respektlos angesprochen worden. Was bildete sich diese Photographin ein? Die knielangen Hosen und ihre grüne Jacke waren Männerkleidung und passten weder zu einer Frau noch auf den Friedhof. Wo blieb die Ehre für die Verstorbenen? Idas Entrüstung wuchs.

      Peter stellte die Kamera neben dem Ende des Sarges auf, wo sich der Kopf des Toten befand.

      Es war nicht der erste Tote, den Ida sah. Auf dem Anwesen ihrer Eltern in Ungarn hatte es mehrere Todesfälle gegeben. Die Neugier hatte die kleine Ida damals in die Kammer schleichen lassen, in der die Toten aufgebahrt wurden. Der Anblick hatte seinen Schrecken verloren.

      Um zu beweisen, dass sie sich nicht einfach so fortschicken ließ, trat Ida zwei Schritte näher. Bisher war ihr der Blick auf den Toten nicht möglich gewesen. Was sie nun sah, ließ sie die Hand vor den Mund schlagen.

      Der Mann im Sarg musste ungefähr in ihrem Alter sein. An seiner Schläfe klaffte eine Wunde, die Ränder dunkel und von Blut verkrustet. Jemand hatte mit fleischfarbener Schminke darüber gemalt, was die schreckliche Tatsache nicht verbergen konnte, dass an dieser Stelle eine Revolverkugel eingedrungen war.

      Amalie fotografierte von der anderen Seite.

      »Der Mund… drück ihn ein wenig nach oben, Peter!«, verlangte Amalie. Ohne Zögern trat Peter zu der Leiche und bearbeitete die Mundwinkel mit den Fingern.

      »Das reicht.« Amalie verschwand unter dem schwarzen Tuch. »Abnehmen!«, rief sie.

      Peter zog den Deckel vom Objektiv. Laut zählte die Photographin bis zehn. Dann setzte Peter den Deckel wieder auf.

      Amalie kam unter dem Tuch hervor. »Noch zwei. Eines wird sicher gelungen sein.« Sie verschob die Kamera leicht zur Seite.

      Die Totengräber murrten.

      »Ihr könnt ihn gleich eingraben«, versprach Amalie. Sie zog etwas aus der Hose. Die Männer streckten sofort die Hände aus und sie ließ Münzen hineinfallen. Schnell verschwand das Geld in den Hosentaschen der Totengräber.

      Noch immer wartete Ida neben einem Fliederbusch. Der Duft der letzten Blüten hatte eine beruhigende Wirkung auf sie.

      »Fertig.« Amalie klatschte in die Hände. »Du bringst alles ins Atelier, Peter.« Sie ging los und blieb vor Ida stehen.

      »Wollen Sie ein Foto? Kind? Heirat? Oder geht es um einen Verstorbenen?«

      Amalie musste Idas Überraschung bemerkt haben, denn sie setzte hinzu: »Das sind die drei häufigsten Gründe, wieso sich Menschen fotografieren lassen.« Mit einem Blick auf Idas Kleidung fügte sie hinzu: »Einfache Leute, die nicht so viel Geld haben.«

      Ida sah über Amalies Schulter zum Sarg, dem die Totengräber den Deckel aufsetzten.

      »Schulden sollen der Grund gewesen sein. Spielschulden«, erklärte die Photographin. »Der junge Mann hat keinen anderen Ausweg gefunden. Der Vater ist nicht einmal zum Begräbnis erschienen. Die Mutter war allein. Der Priester hat sich geweigert, den Sohn einzusegnen, da er den Freitod gewählt hat. Von mir wünschte sie sich eine letzte Erinnerung an den Sohn. Ihr Mann darf davon nichts wissen.«

      »Sie machen das oft, nicht wahr? Fotos von Toten?«, sagte Ida.

      »Deshalb

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