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jeden Tag im Fitnesszentrum trainieren würde. So ähnlich war das ja auch, nur spielte er eben tagein-tagaus auf seinem Schlagzeug. Ein Freund von mir, der Elvin kurz vor seinem Tod noch spielen sah, berichtete, wie traurig es doch war, ihn so kraftlos zu sehen.

      Die Vorstellung, wie Elvin Jones da oben auf der Bühne praktisch das Bewusstsein verlor, während er darauf bestand, das zu tun, was er am besten konnte, tut mir in meinem Innersten weh. Andererseits müssen wir alle einen Preis dafür bezahlen, um das tun zu können, was wir eben so tun. Egal, ob es sich dabei um Geige spielen, Malerei, Arbeit auf einem Computer oder mit einem Presslufthammer handelt. Niemand entkommt den Risiken seines Berufes. Doch was ist, wenn gerade diese Tätigkeit dir ein Gefühl der Alterslosigkeit vermittelt? So hatte ich unlängst Probleme mit meinem Rücken, was darauf zurückzuführen ist, dass ich seit 50 Jahren krumm über mein Schlagzeug gebeugt bin. Aber wenn ich das anders gemacht hätte, hätte ich mich wohl anders angehört. Und ich spielte, wie es mir mein Ohr befahl. Also keine Reue meinerseits.

      John Coltranes Beschäftigung mit indischer und afrikanischer Musik trug dazu bei, dass sich in seinem Ensemble die Auffassung breitmachte, Musik wäre nicht nur ein Mittel zum Zweck, sondern vielmehr eine Methode, die eigene spirituelle Reise voranzutreiben. Kritiker verschmähten diese neue Ausrichtung als „grotesk“, „gewollt hässlich“ und „verschwurbelt“. Ironischerweise wurde Coltranes Publikum aber immer größer. Und ich war mittendrin. Er versetzte die Hörer in Trance, bevor er sie auf eine meditative Expedition entführte. Es war so, als würde man eine „akustische“ Droge verabreicht bekommen, um sich mit einer musikalischen Eisenbahn auf eine Rundfahrt zu begeben. Manche Hörer bevorzugten es, sich im Speisewagen aufzuhalten, wo JC wunderschöne Balladen wie „After the Rain“ servierte, während andere wiederum die Nähe zum Antrieb suchten, wo es das intensive „Chasin’ the Trane“ zu hören gab. Ein paar der Mitreisenden verschlug es aber auch dorthin, wo wir Schlagzeuger die Reise verbringen, in den Dienstwagen. Dort hinten kann es ganz schön lebhaft zur Sache gehen.

      Wenn man sich der Musik ganz hingab, ähnelte ihr Effekt jener Art von „Besessenheit“, die auch in manchen Kirchen eine Rolle spielt. Auch traten dadurch die Wut und der Zorn über die politischen Zustände und vor allem auch den Rassismus jener Tage zum Vorschein. Die Bürgerrechtsbewegung befand sich im vollen Schwung und JC hatte seinen Finger am Puls der Nation. Nachdem der Ku-Klux-Klan in einer Kirche in Alabama einen Sprengstoffanschlag verübt hatte, schrieb Coltrane das so eindringliche „Alabama“. Er ließ sich für diesen Song von Martin Luther Kings Trauerrede inspirieren, die der für die vier afroamerikanischen Mädchen, die bei der Explosion ums Leben gekommen waren, gehalten hatte.

      Coltrane beeinflusste damals auch minimalistisch angehauchte klassische Komponisten wie La Monte Young und Philip Glass. Vom musikalischen Standpunkt aus gibt es einige Parallelen zwischen minimaler und modaler Herangehensweise. Beide Ansätze lassen jede Menge Freiraum für die Hörer, damit sie sich darin unbegrenzt bewegen können.

      Es ergab durchaus einen Sinn für mich, als ich später erfuhr, dass Coltrane, der ein unersättlicher Musikliebhaber war, sich in den 1950ern mit dem Sitar-Meister Ravi Shankar angefreundet hatte. So viel zu Musik, die jede Menge Raum schafft. Ravis Musik, auf die ich noch ausführlicher zurückkommen werde, hatte die Zeit überstanden, da sie die Vorstellung vermittelt, zeitlos zu sein. Ihre Diskussionen und Jam-Sessions unterwiesen JC in der Wissenschaft des Sounds und zeigten ihm, dass musikalische Riffs spezifische Bewusstseinszustände reflektieren. Seine Frau Alice brachte es ganz eloquent auf den Punkt: „Er fragte sich, ob es nicht möglich wäre, mithilfe von Sound zur Wahrheit durchzudringen.“

      Sein Schlagzeuger war ihm da einen Schritt voraus. Elvins komplexes Spiel dokumentierte die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Eine von Coltranes LPs trug den Titel OM, was im Sanskrit „klingen“ bedeutet. Auch bestimmt diese Silbe, dass alles unabhängig von den drei Zeitebenen (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft) existiert und sich in einem einzigen Klang zusammenfassen lässt. Elvin deutete dies von Moment zu Moment aufs Neue an. Während sich John Coltrane unleugbar auf der Suche nach der Wahrheit befand, hatte Elvin Jones diese bereits mittels der Kraft des Rhythmus gefunden.

      Swami Satchidananda, jener indische Guru, der zu Beginn des Woodstock-Festivals 1969 gesprochen hatte, bestätigte Elvin und Coltrane auf ihrer Suche:

      Es gibt gewisse mystische Klänge (OM), die der Sanskrit-Terminologie zufolge als Bijakshara bezeichnet werden. Musik ist ein astrales Geräusch und es ist der Klang, der das ganze Universum kontrolliert, nicht etwa atomare Schwingungen. Die Energie des Klangs ist viel, viel größer als irgendeine andere Kraft auf dieser Welt.

      In einem Interview sagte Coltrane einmal, dass es finstere Mächte gäbe, die Leiden verursachten. Er wollte hingegen eine Kraft des Guten sein.

      Mein Instrument, die Trommel, versetzte einst Menschen in patriotische Verzückung und brachte Soldaten dazu, ihre Mitmenschen umzubringen. Ein anderer meisterhafter Schlagzeuger mit Nachnamen Jones, Jo Jones, riet einst einem jungen Kollegen: „Schlag nicht auf die Trommel ein, sondern spiele auf ihr … Die Trommel ist eine Frau.“ Selbstverständlich lehrte uns John Coltranes Schlagzeuger aber auch, dass Trommeln mehr sind als nur der Soundtrack zum Krieg, sie mehr zu bieten haben als nur einen Beat, zu dem sich prima tanzen lässt. Elvin pushte das Konzept auf die höchstmögliche Ebene. Hinsichtlich der Jahre mit Coltrane kommentierte er: „Wir artikulierten unser bis dahin erlangtes kollektives Gewissen und formten es innerhalb dieses Kontexts zu einem kohäsiven Sound. So brachten wir zum Ausdruck, wie wir uns fühlten – spirituell, emotional und intellektuell. Wir mussten uns gar nicht großartig unterhalten …

      alles lief telepathisch ab.“

      Nach der Darbietung an der UCLA durften die Leute auf die Bühne kommen, weshalb sich auch meine Wenigkeit auf den Weg machte, um ganz schüchtern in die Rolle des Groupies zu schlüpfen. Hier handelte es sich nicht um eine Rockshow, weshalb Fans nicht erst – zumindest gefühlt – die Berliner Mauer überwinden mussten, um an einen Bühnenkünstler heranzukommen. Mir fehlte immer noch der Mut, meinen Lehrmeister anzusprechen, weshalb ich Elvin einfach nur dabei beobachtete, wie er mit einem Hammer Nägel aus dem Boden zog, die er eingeschlagen hatte, um seine Bassdrum daran zu hindern, auf der Bühne nach vorn zu rutschen. Manchmal spielte der Mann schon ziemlich hart! Ich hielt mich in der Nähe seines Schlagzeugs auf und warf verstohlene Blicke auf mein Idol. Irgendwann sollten wir noch Freunde werden. Bis heute erscheint mir sein Stil besonders nacheifernswert.

      Mein nächster persönlicher Kontakt mit Elvin Jones fand erst viele Jahre später statt. In den 1980ern war Coltrane längst tot und Elvins Jazz Machine bot vielen jungen Musikern eine Plattform. Ich war gerade in New York und begab mich ins Slugs auf der Lower East Side. (Slugs war jener Jazz-Club, in dem der Trompeter Lee Morgan von seiner Frau erschossen worden war.) Die Rückseite der Bühne wurde durch eine rote Ziegelmauer begrenzt, die Elvins Sound lauter als je zuvor ins Publikum zurückwarf. Anders als viele Jazzmusiker verzichtete er zumeist auf ein Sakko, da seine muskulösen Arme die Nähte hätten platzen lassen. Mir fiel auf, dass seine Musik vielen der Besuchern zu intensiv war. Ich hingegen kam voll auf meine Kosten und mein Verlangen nach seinen Rhythmen wurde mehr als gestillt.

      Ich erinnerte mich an die frühen Proben mit den Doors, als wir die Solo-Parts für „Light My Fire“ an ein paar Akkordwechseln von „My Favorite Things“ orientierten. Coltrane hatte sich dafür bei einer abgeschmackten Broadway-Nummer aus The Sound of Music bedient und sein ganz eigenes Ding daraus gemacht. Elvins Einfluss auf mich war wohl unleugbar, was auch dem renommierten Musikkritiker Greil Marcus auffiel, der über mein Spiel bei „Light My Fire“ schrieb:

      Quer über Manzareks Solo hinweg erhebt sich diese wilde Bestie namens John Densmore, der mit unablässiger, dringlicher Hartnäckigkeit seiner donnernden Drums die Musik glatt verschlingen könnte, sie aber stattdessen wieder ausspuckt. In unerwarteten Augenblicken zieht er sich ein wenig zurück und zieht dabei auch Manzarek mit. Sein Sound bietet plötzlich jede Menge Freiraum und man nimmt den Schlag auf die Snare als Einzelereignis wahr. Bei Kriegers Solo gibt er sich vorsichtiger, als ob sich die Bestie nicht ganz sicher ist, mit welcher Tiergattung sie sich nun konfrontiert sieht. Als ob sie noch abwarten möchte, um es herauszufinden. Während diese Passage sich fortsetzt, so flüssig gespielt von Krieger, wiederholt Densmore noch einmal

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