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Kommunikationswissenschaft. Roland Burkart
Читать онлайн.Название Kommunikationswissenschaft
Год выпуска 0
isbn 9783846357132
Автор произведения Roland Burkart
Жанр Социология
Издательство Bookwire
Zur Erläuterung wieder das Beispiel, in dem Franz zu Fritz sagt: „Morgen komme ich.“ Im vorliegenden Zusammenhang soll daran einsehbar gemacht werden, dass der pragmatische Verwendungssinn dieser sprachlichen Äußerung von der Art der Beziehung zwischen Franz und Fritz abhängt:
–Angenommen, Franz und Fritz sind Freunde, die sich für den darauffolgenden Tag ein Rendezvous vereinbart haben, dann wird die Äußerung als ein Versprechen zu werten sein, den morgigen Termin auch einhalten zu wollen.
–Angenommen, Franz ist ein Steuerprüfer des Finanzamtes, der bei Fritz eine Betriebsprüfung durchführen soll. In diesem Fall kann die Äußerung eine Warnung sein, allfällige Dinge noch ins rechte Lot zu bringen.
–Angenommen, Franz ist Lehrer, der Fritz Nachhilfe gibt. Hier kann die Äußerung vielleicht als eine Aufforderung interpretiert werden, bis morgen noch die gestellten Übungsaufgaben zu erledigen.
Die Art der Beziehung stellt also in gewissem Sinn einen Rahmen für mögliche Sprechakte bereit. Von außen betrachtet, hat ja jede·r dieser Interaktionsteilnehmer·innen bereits eine bestimmte soziale Position, in der er·sie in Erscheinung tritt (Lehrer·in, Schüler·in, Steuerprüfer·in, Firmeninhaber·in, Freund·in usw.). Soziologisch gesprochen greifen in jeder Interaktion eigentlich soziale Positionen ineinander (vgl. Wunderlich 1976: 17): Es treten nicht „bloße“ Personen zueinander in Beziehung, sondern die Person (A) als Lehrer·in mit der Person (B) als Schüler·in, die Person (X) als Steuerprüfer·in mit der Person (Y) als Firmeninhaber·in usw. Von innen betrachtet bieten diese sozialen Positionen den Gesichtspunkt, von dem aus das Verhalten der jeweiligen Interaktionspartner·in gedeutet werden soll. Man kann sogar behaupten, dass dieser Gesichtspunkt, von dem aus man seine Interaktionspartner·in sieht, in gewisser Weise auch einen Rahmen für die Inhalte potentieller Aussagen bereitstellt. Dieser Auffassung ist auch Watzlawick: „Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und Beziehungsaspekt, derart, dass letzterer den ersteren bestimmt …“ (Watzlawick et al. 1969: 56, Hervorhebung im Original).
So wird man sich mit seinem·seiner Nachhilfelehrer·in eher über entsprechende Schulprobleme unterhalten als über das neueste Computerspiel; der·die Firmenchef·in wird mit dem·der Steuerprüfer·in eher Finanzfragen erörtern als familiäre Probleme … etc.
Mit dem bisher Gesagten wurde einsehbar gemacht, dass zum Verstehen einer sprachlichen Äußerung nicht bloß das Entziffern bedeutungstragender sprachlicher Zeichen genügt, sondern dass sprachliche Kommunikation stets auf zwei Ebenen verläuft.
Abb. 9: Dimensionen sprachlicher Kommunikation (eigene Darstellung)
Verständigung gelingt also nur dann, wenn beide Kommunikationspartner·innen sowohl die sprachlichen Zeichenkombinationen als auch die gesetzten sprachlichen Handlungen (wenigstens annäherungsweise) identisch interpretieren. Zweifellos ist aber – dazu bedarf es kaum empirischer Nachweise – ein derartiger Verständigungserfolg nicht unbedingt die Regel. Aber warum ist das so? Nachstehend ein kurzer Einblick in mögliche Ursachen in Form von Sprachbarrieren.
Sprachbarrieren (Badura 1971) sind sprachliche Gründe für nicht (oder ungenügend) erzielte Verständigung im Rahmen kommunikativer Prozesse. Sie bestehen entweder im Nichtverstehen oder im Missverstehen des Kommunikationspartners.
•Ein Nichtverstehen auf der gegenständlichen Ebene liegt dann vor, wenn Sprecher·innen und Hörer·innen über unterschiedliche sprachliche Zeichenvorräte verfügen. In diesem Fall verwenden die Sprecher·innen Wörter, die die Hörer·innen nicht kennen, weil sie aus einer Fachsprache (z. B. Medizin), einer ungewohnten Sondersprache (z. B. Dialekt) oder einer völlig fremden Sprache stammen.
•Ein Missverstehen auf der gegenständlichen Ebene liegt dagegen dann vor, wenn beide Kommunikationspartner·innen wohl mehr oder weniger gleiche Zeichenvorräte besitzen und den Hörer·innen daher auch die verwendeten Wörter bekannt sind, wenn beide Kommunikationspartner·innen aber dennoch unterschiedliche Bedeutungen mit den betreffenden Wörtern verbinden: Dabei kann es sich in der Regel um historisch gewachsene Differenzen im Bereich der semantischen Zeichendimension zwischen Sprecher·innen und Hörer·innen handeln, die v. a. unter Rekurs auf die individuelle Lebensgeschichte der jeweiligen Kommunikationspartner·innen begründet werden können. Darauf wird weiter unten noch näher einzugehen sein.
•Ein Nichtverstehen auf der intersubjektiven Ebene liegt dann vor, wenn sprachliche Äußerungen gar nicht als solche erkannt werden. Die Gründe dafür liegen entweder im (physischen oder psychischen) Unvermögen der Kommunikator·innen, sich angemessen zu artikulieren, oder im Unvermögen der Rezipierenden, die sprachlichen Manifestationen überhaupt als solche zu identifizieren – etwa weil Behinderungen der Sinneswahrnehmung (Blindheit oder Gehörlosigkeit) vorliegen.
•Ein Missverstehen auf der intersubjektiven Ebene liegt dagegen dann vor, wenn die beiden Kommunikationspartner·innen die gesetzten Sprechakte unterschiedlich interpretieren. Das bedeutet, dass der·die Hörer·in den vom·von der Sprecher·in intendierten pragmatischen Verwendungssinn der Aussage nicht erkennt – es handelt sich also um Differenzen im Bereich der pragmatischen Zeichendimension zwischen Sprecher·n und Hörer·in, wie vorhin erwähnt.
Versucht man nun, über die Ursachen derartiger Sprachbarrieren nachzudenken, so fällt dies für die beschriebenen Arten des Nichtverstehens leicht:
•Einerseits fehlt ein Mindestmaß an Deckungsgleichheit im Zeichenvorrat von Sprecher·in und Hörer·in (gegenständliche Ebene). Sprache kann ihre kommunikative Funktion schlicht nicht erfüllen, wenn der·die Sprecher·in Zeichen verwendet, über deren semantischen Gehalt der·die Hörer·in nicht verfügt. Dies gilt nicht nur interkulturell (Fremdsprache), sondern in gleicher Weise auch für den intrakulturellen Bereich (Fach- oder Sondersprache).
•Andererseits fehlen die Voraussetzungen, eine sprachliche Manifestation überhaupt als solche zu erkennen (intersubjektive Ebene), sei dies nun aus mangelndem Wissen heraus (anderer Kulturkreis) oder infolge einer physischen Behinderung (Störung des entsprechenden Rezeptionskanals).
•Weitaus weniger deutlich vor Augen liegen dagegen die Ursachen im Falle des Missverstehens: Hier gilt es einsehbar zu machen,
•warum trotz gleichem Zeichenvorrat zweier Kommunikationspartner·innen, Differenzen im Bereich der semantischen Zeichendimension auftreten und
•warum es trotz der Fähigkeit des·der Hörer·innen, Sprechakte zu identifizieren, zu keiner kommunikator·innengerechten Interpretation des pragmatischen Verwendungssinns der jeweiligen Aussage kommt.
Die Ursachen für Sprachbarrieren vom Typ Missverstehen werden erst dann einsehbar, wenn man bestimmte Besonderheiten der Sprache sowie des Spracherwerbes beim Menschen kennt. Solche Besonderheiten der menschlichen Sprache werden in der Folge grundsätzlich dargestellt und in ihrer Bedeutung für das zwischenmenschliche Kommunikationsgeschehen erläutert.