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Energie und geistiges Potenzial hat, sich um seine Freiheit zu kümmern? Wichtige Aspekte der sozialen Absicherung, der Beschränkung von Arbeitszeiten und der Bildung traten in der öffentlichen Diskussion hinzu.

      Diese Abwägung verschiedener Freiheitsbegriffe und Freiheitsinteressen begleitet uns bis heute. Unsere Gesellschaft scheint sich nun nicht mehr wie in den letzten Jahrzehnten zwischen links und rechts aufzuspalten; vielmehr scheint die Bruchlinie zwischen einem althergebrachten Konservatismus, der auf „alte Werte“ verweist und diese – auch um den Preis einer Unterdrückung von Randgruppen – bewahren möchte, und einer optimistischen liberalen Strömung, der der Schutz einer intakten Umwelt, die Einhegung des ungezügelten Neoliberalismus und die maximale Entfaltung individueller Neigungen am Herzen liegt, zu verlaufen.

      Wie die Wahlergebnisse der letzten Jahre zeigen, lassen sich kaum stabile weltanschauliche Mehrheiten finden. In Österreich regiert seit Anfang 2020 ein mehr als instabiles konservativ-grünliberales Bündnis mit deutlich ersterem Übergewicht, das sich insgesamt eher in Richtung autoritativer Populismus wie aus Ungarn und Polen bekannt zu entwickeln scheint. Deutschland hat nach der letzten Bundestagswahl 2017 enorm darum gekämpft, überhaupt eine große Koalition zu bilden. Entwicklungen in Israel, Belgien, Frankreich untermauern diesen Trend (und haben teilweise abenteuerliche Koalitionen bedingt, wie gerade in Israel: Dort wollen extrem linke und rechte Gruppen, jüdische und arabische Glaubensbündnisse kooperieren).

      Diese politische Aufsplitterung einerseits und das doch austarierte Blockgleichgewicht andererseits scheinen auch auf absehbare Zeit das parlamentarische System zu bestimmen. Eine eindeutige Festlegung auf Prioritäten wird nicht zu erwarten sein. Mit anderen Worten: Man darf nicht davon ausgehen, dass in den nächsten Jahren eine klare weltanschauliche Festlegung der politischen Entscheidungsträger*innen erfolgen wird, welchen Aspekten der Vorzug vor anderen zu geben ist: Menschenleben, Freiheit, Eigentum, Wirtschaftssystem, Schutz der Umwelt. Ich bin davon überzeugt: Wir werden noch oft hören, dass all diese Momente wichtig sind. Gerade der Umweltschutz wird eine, wenn nicht die entscheidende Weichenstellung für unsere Zukunft dringend erfordern. Es wird jedoch wohl dabeibleiben: mehr Desselben, nur in hübsche Formeln verpackt. Der große Wurf? Warten wir skeptisch ab.

      Die zuvor gestellte Frage, unter welchem Gesichtspunkt das Verhalten von Mitmenschen beurteilt werden soll, die sich nicht gegen Covid-19 impfen lassen wollen, werden wir daher bis auf Weiters nach den bisherigen Maßstäben beantworten müssen. Gerade zwei Ebenen kommen dafür infrage: Die rechtliche gibt Regeln vor, an die wir uns alle halten müssen. Diese Regeln erlassen gesetzgebende und vollziehende Organe, die unmittelbar oder mittelbar von uns gewählt werden können. Wenn wir solche Regeln brechen, müssen wir mit Sanktionen rechnen. Diese können von verschiedensten Nachteilen wie etwa Verlust einer Anspruchsberechtigung, Strafzahlungen bis hin zu Gefängnisstrafen reichen.

      Die andere Ebene, die über unser Verhalten zu Gericht sitzt, ist die moralische. Das Wort Moral, abstammend vom lateinischen „mos“ (Vorschrift, Sitte), will dem Menschen einen Rahmen für als angemessen empfundenes Verhalten setzen. Anders als das Recht sind Normen der Moral in unseren modernen Gesellschaften nicht unmittelbar durch staatliche Behörden durchsetzbar. Verstößt man allerdings gegen solche, kann dies zu einer Ächtung durch andere Personen führen. Hierzulande ist etwa Geschlechtsverkehr zweier erwachsener Personen nicht mehr strafbar. Gerade auf dem Lande allerdings herrschen teilweise noch immer Moralvorstellungen vor, die derartiges ablehnen; von einem völligen Unverständnis Lebenspraxen der LGBTQI* gegenüber ganz zu schweigen.

      Ethik ist als Begriff der Moral eng verwandt. Beide Begriffe werden auch oft als Bezeichnung für ein und dasselbe verwendet. Tatsächlich bezeichnet Ethik die wissenschaftliche Betrachtung der Moral. Sie vergleicht etwa verschiedene moralische Modelle miteinander.

      Oft werden Ethik und Moral als Basis für das Recht angesehen. Die sogenannten Naturrechtslehren an der Schwelle zur Neuzeit gehen davon aus, dass gewisse Grundprinzipien existieren, die wir alle zu beachten haben. Das Recht soll diese allgemein verständlich fassen und umsetzen. Dieser Grundgedanke prägt unser Verständnis bis heute.

      In diesem Buch will ich mich der Frage widmen, ob Menschen zu Impfungen verpflichtet werden können – oder sind wir nicht schon aus moralischen Erwägungen dazu verpflichtet? Ich werde nach einer Darstellung der derzeitigen Ausgangssituation, die auf wissenschaftlich anerkannten Fakten beruht, zunächst einen kurzen Überblick über die Geschichte des Impfens bieten. Diese als Erfolgsgeschichte zu bezeichnen, griffe tatsächlich noch zu kurz. Erst durch Impfung ist es der Menschheit gelungen, ein annähernd stabiles Leben zu führen – wenn auch gerade Gefährdungen durch uns selbst zu allen Zeiten bestanden haben und noch immer bestehen. Diese können durch eine Impfung leider nicht beseitigt werden. Alleine aber die Pockenimpfung war es, die Hunderttausende sinnlose Tode und Abermillionen entstellter Körper verhindert hat! Und dies auch nur, weil man sich in einer entscheidenden Phase dieser Impfung teilweise unterziehen musste. Freiwillig wäre niemals jene Impfquote erreicht worden, die notwendig war, um zu einer faktischen Ausrottung dieser Seuche zu führen.

      Daran anschließend will ich die rechtliche Situation ausleuchten. Deutschland und Österreich sind moderne Verfassungsstaaten. Alles Recht geht daher auf die jeweiligen Verfassungsordnungen zurück, in Deutschland auf das Grundgesetz, in Österreich auf das Bundesverfassungsgesetz. Wir sind jedoch darüber hinaus Teil der Europäischen Union. Wir haben den europäischen Rechtsrahmen zu achten. Auch dieser kann Richtlinien vorgeben, die durch staatliches Recht nicht beeinträchtigt werden dürfen. Unsere Staaten haben sich dazu verpflichtet, das Rechtsregime nach der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und der Europäischen Menschenrechtskonvention zu beachten.

      Sämtliche dieser übergeordneten Rechtsordnungen gebieten einerseits den Schutz menschlichen Lebens, untersagen jedoch staatliche Eingriffe in dieses Recht, sofern solche nicht unmittelbar durch extreme Gefährdungen höherwertiger Rechtsgüter gefährdet werden. Steht die staatliche Ordnung auf dem Spiel, sind derartige Eingriffe zulässig. Fraglich ist im Zusammenhang mit Covid-19, ob dieses Pandemiegeschehen eine Durchbrechung individuellen Willens einer Person in Form einer Pflichtimpfung erlaubt. Eine Impfung durch Injektion ist zweifelsfrei ein Eingriff in die physische Integrität eines Menschen. Stimmt dieser nicht zu, braucht es schon eine sehr gute Begründung, um diese Integrität zu verletzen.

      Ich werde zeigen, dass die Verhängung einer Impfpflicht während eines fortgesetzten und unkontrollierten pandemischen Geschehens bei stagnierender Impfbereitschaft grundsätzlich zulässig ist. Der Schutz des Lebens verpflichtet den Staat, in dramatischen Gefährdungslagen Schutzmaßnahmen zu treffen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat schon deutlich gemacht, dass Umweltgefahren solche Eingriffe rechtfertigen, ja erforderlich machen können. Die derzeitige Phase der Pandemie ist ein Paradebeispiel für Gefahr in Verzug – handeln wir nicht, werden wir weitere Tausende Todesopfer erleben, die wir verhindern könnten. Sie erlaubt keine vernünftige Alternative: Abermalige konsequente Maßnahmen des Lockdowns, der Maskenpflicht und von Testungen würden unser alle Rechte erheblich beeinträchtigen – und letztlich ohne relevante Auswirkung bleiben. Mit einer hohen Durchimpfungsrate im Rücken, die nur durch Impfpflicht in absehbarer Zeit erreicht werden kann, besteht jedoch eine realistische Chance auf Herdenimmunität. Dann wäre das Infektionsgeschehen nachhaltig, hoffentlich endgültig eingedämmt.

      Diese Interessensabwägung hat individuelle und allgemeine Interessen zu berücksichtigen. Die Letzteren überwiegen hier die möglichen der Einzelperson deutlich. Der Schutz schutzbedürftiger Personen (Risikogruppen und solche, für die keine Impfempfehlung oder -zulassung gilt) wiegt schwerer. Eine Impfpflicht ist daher rechtlich nicht nur möglich, sondern in der vorliegenden Ausnahmesituation sogar notwendig.

      Aber wie verhält es sich auf moralisch-ethischer Ebene? In die Beurteilung auch dieser Fragestellung fließen Elemente mit ein, die deutlich über bloß individuelle Interessen hinausreichen. Wir alle haben unsere persönliche Meinung, ob wir grundsätzlich Impfungen an uns zulassen wollen oder nicht. Manche sind dazu sofort bereit, wenn ihnen der Nutzen plausibel erscheint. Early adopters gibt es auch im Impfbereich, wie die teilweise stürmische Nachfrage nach den neuartigen mRNA-Vakzinen zeigt. Andere wollen sich auf gar keinen Fall impfen lassen und befürchten nachteilige Auswirkungen auf den eigenen Körper. Wieder andere – ein Phänomen, das uns

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