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vorausgesetzt, sie gelangt zu Ordnung und Harmonie. Um dies zu erreichen, glaubte man im Wesentlichen an vier Bildungswege: 1. Beschäftigung mit Mathematik und Astronomie („Theorie“), 2. Befassung mit Kunst und Musik, 3. Askese (Mäßigkeit im Triebleben) und 4. die Pflege von Freundschaften (gemeinsame Verantwortung, Gemeinschaftseigentum). Je nach Qualität der Lebensführung im Sinne der angegebenen Regeln sollte der Mensch in unterschiedlichem Ausmaß Zugang zum Göttlichen und zur absoluten Harmonie erreichen, mit der Chance auf eine (hochwertige) Wiedergeburt (Capelle, 1953, zit. nach Schönpflug, 2000).

      In weiterer Folge kam es im antiken Griechenland zu einer philosophischen Blüte, in der bereits viele Erkenntnisse seelischer Prozesse (z.B. Logik, Ethik) und etliche wissenschaftliche Grundfragen (z.B. nach dem „Erkenntnisursprung“ und der „Erkenntnisgültigkeit“) vorweggenommen wurden. Die in psychologischer Hinsicht bedeutendsten Philosophen des Altertums waren Sokrates, Platon und Aristoteles, von denen bis in die Neuzeit wichtige Denkanregungen für die Analyse geistiger und emotionaler Prozesse ausgingen.

      Jahrhunderte später haben unter religiösem Vorzeichen Augustinus und Thomas von Aquin die antike Philosophietradition weitergeführt, allerdings mit jeweils unterschiedlichem Ausgangspunkt im neoplatonistischen bzw. neoaristotelischen Ansatz. Für den ursprünglich in Rhetorik geschulten, skeptizistisch eingestellten Augustinus war nach seiner christlichen Bekehrung die innere Erfahrung die letzte Gewissheit, während Thomas von Aquin – etwa 900 Jahre später – als wahrscheinlich bedeutendster Kirchenlehrer („doctor ecclesiae“) stärker empiristisch und rationalistisch (intellektuell) orientiert war.

      Die Neuzeit ist im Wesentlichen durch die Gegensätzlichkeit zwischen rationalistischer und empiristischer Erkenntnisorientierung geprägt, wobei Rene Descartes und Christian Wolff der ersteren und David Hume der zweiten Richtung zuzuordnen sind. Kant hat mit seiner Vermittlungsposition eine „kopernikanische Wende“ in der Erkenntnistheorie eingeleitet, indem er nicht nur das, was erkannt werden soll, zu analysieren vorschlägt, sondern auch die Anschauungs- und Denkformen als die Voraussetzungen für Erkenntnisse. Der Verstand könne nichts begreifen, was nicht bereits zuvor in der sinnlichen Erfahrung gegeben gewesen sei. Doch die Sinne allein könnten ohne Verstand ebenfalls keine Erkenntnisse liefern.

      Die Phase vor der Institutionalisierung der Psychologie in den Labors und an den Universitäten war durch die allgemeine Begeisterung der Wissenschaftler für die Fortschritte der Naturwissenschaften charakterisiert.

      Merksatz

      Seit etwa 2500 Jahren erfährt die Seele in der abendländischen Kultur eine religiöse Interpretation und wurde zunehmend auch als Gegenstand der philosophischen und wissenschaftlichen Analyse gesehen.

      Die Mathematik als Grundlagendisziplin naturwissenschaftlicher Fächer wurde immer stärker auch für die empirisch-wissenschaftliche Aufklärung psychischer Prozesse eingefordert, was sich klar in Herbarts und Fechners Lehrbüchern manifestiert. Ebenso bedeutend war in dieser Zeit der Aufschwung der Physiologie und der Medizin, sodass auch von dort wichtige Beiträge für eine Neukonzeption der bisher philosophisch dominierten Psychologie kamen. Wesentlich war schließlich Darwins „Evolutionstheorie“ als denkrevolutionärer Ansatz zur Erklärung der Menschheitsentwicklung, welche bis zu diesem Zeitpunkt nur religiös begründet werden konnte („Schöpfungsgeschichte“). Der bei Wissenschaftlern vor dem 19. Jahrhundert noch stark verbreitete Widerstand, die Entstehung des Menschen und seine seelische Existenz (in Widerspruch zur Kirche) unabhängig von religiösen Glaubenspostulaten zu diskutieren („Gottesbeweise“), wurde mit Darwin zunehmend aufgebrochen.

1.4 |Die Entwicklung der akademischen Psychologie

      Dem Enthusiasmus über die neue Idee einer naturwissenschaftlichen Aufklärung psychischer Strukturen und Abläufe (Helmholtz, Fechner, Wundt) folgten Gegenreaktionen sowohl von geisteswissenschaftlicher Seite (z.B. Dilthey) als auch im Sinne einer stärkeren Betonung des dynamischen und intentionalen Charakters psychischer Prozesse (z.B. James, Freud).

      Der wissenschaftliche Aufbruch der Psychologie hatte in den USA und in Europa die Gründung von psychologischen Zeitschriften (z.B. „American Journal of Psychology“, 1887; „Zeitschrift für Psychologie“, 1890), von psychologischen Vereinigungen („American Psychological Association“, 1892; „Gesellschaft für Experimentelle Psychologie“, 1904) und von mehr als 40 Forschungs- und Lehreinrichtungen (Laboratorien, Institute, Seminare) zur Folge (Schönpflug, 2000).

      Die frühen Dekaden des 20. Jahrhunderts (Box 1.6) waren durch gegensätzliche Forschungsansätze gekennzeichnet (Experimentalpsychologie, Psychoanalyse, Gestaltpsychologie, Behaviorismus), deren Vertreter sich in den 1920er- und 1930er-Jahren heftige Streitigkeiten lieferten. Dieser Wettbewerb verschiedener theoretischer Richtungen wurde von Karl Bühler (1927) in Wien als „Aufbaukrise“ interpretiert, der er sein methodenpluralistisches Integrationskonzept entgegensetzte. Psychologische Forschung sollte sowohl kontrollierte Selbstbeobachtung, systematische Verhaltensbeobachtung als auch die hermeneutische Interpretation einbeziehen (Benetka & Guttmann, 2001, 129–131). In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg (Box 1.7) setzte sich auch im deutschsprachigen Raum der angloamerikanische Trend zu einer naturwissenschaftlich orientierten, empirisch-statistischen Psychologie weiter fort (Haggbloom et al., 2002), welcher sich bis heute an den meisten europäischen, amerikanischen und asiatischen Universitätsinstituten erhalten hat.

      Erste Hälfte des 20. Jahrhunderts | Box 1.6

      ŸŸ• Freud, Sigmund (1856–1939): „Traumdeutung“ (1900), Aufzeigen des Einflusses psychodynamischer Vorgänge (unbewusste Triebe, Konflikte) auf das menschliche Verhalten und psychische Störungen („Neurosen“), Begründung der Psychoanalyse

      ŸŸ• Watson, John (1878–1958): „Psychology as a behaviorist views it“ (1913), Ablehnung von Introspektion und allen damit verbundenen Begriffen (Bewusstsein, Wahrnehmung, Vorstellung, Wille etc.), ausschließliche Konzentration auf objektiv fassbare Reize und Verhaltensweisen sowie auf deren Zusammenhangsbeschreibung

      ŸŸ• Stern, William (1871–1938): „Psychologie der frühen Kindheit“ (Stern & Pawlik, 1911/1994), Entwicklung der Grundidee einer Messung von Intelligenz (IQ, Anfänge der Differentiellen Psychologie)

      ŸŸ• Bühler, Karl (1879–1963): „Die Krise der Psychologie“ (1927), Interpretation des Widerstreites der Schulen als „Aufbaukrise“ und Vorschlag eines Methodenpluralismus in der Psychologie: 1. Beobachtung (Verhalten) – 2. Introspektion (Erleben) – 3. Interpretation (Deutung von Texten)

      ŸŸ• Skinner, Borrhus (1904–1990): Seit Anfang der Dreißigerjahre grundlegende Publikationen über (operante) Konditionierung (Verstärkung, Löschung, Shaping), Begründer der Verhaltenstherapie und Verfechter eines konsequenten Einsatzes von Lerntheorien in der Pädagogik

      ŸŸ• Maslow, Abraham (1908–1970): „A theory of human motivation“ (1943), Motivationstheorie mit Bezügen zum Funktionalismus, zur Gestaltpsychologie und zur Tiefenpsychologie; Interpretation des Menschen als zielstrebiges Wesen, das sich an einer Hierarchie von Bedürfnissen orientiert

      ŸŸ• Rohracher, Hubert (1903–1973): „Einführung in die Psychologie“ (1946), Betonung des Experiments als psychologisch-wissenschaftliche Methode, Rückführung psychischer Prozesse auf spezifische neuronale „Erregungskonstellationen“ im Gehirn

      Box 1.7 | Zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts

      ŸŸ• Rogers, Carl (1902–1987): „Client-centered Therapy“ (1951), Betonung der Einzigartigkeit, Autonomie und Eigenverantwortlichkeit des Menschen, humanistische Gegenposition zu Behaviorismus und Psychoanalyse

      ŸŸ• Lorenz, Konrad (1903–1989): „Das sogenannte Böse“ (1963), Interpretation auch der menschlichen Psyche als Produkt ihrer umweltbezogenen Anpassungsleistungen im evolutionären Entwicklungsprozess

      ŸŸ• Holzkamp, Klaus (1927–1995): „Kritische Psychologie“ (1972), neomarxistisch fundierte psychologische Forschung und Praxis; Hauptkritik: Die „bürgerliche“ Psychologie betrachte das Individuum abgelöst von seinen gesellschaftlichen Bedingungen und ignoriere die bestehenden, bewusstseinsbestimmenden „Produktions- und Herrschaftsinteressen“

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