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      CÉDRIC GRAS

       STALINS ALPINISTEN

      Der Fall Abalakow

       Aus dem Französischen von Manon Hopf

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      INHALT

       Abalakow

       ERSTER TEIL: PICKEL UND SICHEL

       Aus bürgerlichem Hause

       Das Fontainebleau von Sibirien

       Erbauer der strahlenden Zukunft

       Die Gesellschaft für proletarischen Tourismus

       Die 29. Einheit

       Pik Stalin

       Pik Lenin

       Eroberung des Nützlichen

       Schiffbruch am Khan Tengri

       ZWEITER TEIL: DIE ORGANISATION DER KONTERREVOLUTIONÄREN ALPINISTEN

       Frohes Jahr 1937!

       Ein Bruder unter Arrest

       Der große Zusammenbruch

       Artikel 58

       Die Kaukasische Front

       Auf zum Himalaya!

       Verbrechen oder Unfall?

       DRITTER TEIL: WITALI ABALAKOW

       Spartak Moskau

       Tauwetter

       Gipfel des Sieges

       Everest-Nordwand

       Das Scheitern des Kommunism

       Patriarch

       Acht sowjetische Frauen

       Everest 1982

       Epilog

       Dank

       Quellen

       Bildnachweis

       Doch nichts Besseres als eine Wahrheit, die unwahrscheinlich wirkt!

      Stefan Zweig, Magellan

      ABALAKOW

      Lange habe ich mich gesträubt. Ich habe schon immer nach der Geschichte hinter der Geschichte gesucht: Stalin, den Gulags und allem, was im Westen als exotisch dargestellt wird. Ich bin kreuz und quer durch Russland gereist, um es heute klarer zu sehen. Ich wollte nie, wie es gegenwärtig allzu üblich ist, mich der berühmten Namen Verstorbener bedienen, um eine fade Reise in der heutigen Zeit aufzuwerten. Ich weigerte mich, die Geschichte heranzuziehen, um eine Gegenwart, die manchmal nicht an die Vergangenheit heranreicht, interessanter zu machen. Doch man interessiert sich nicht ungestraft für Eurasien. Das rote Jahrhundert lauert überall. Die Sowjetunion hat eine gewaltige Dramaturgie entwickelt, erschütternde Schicksale und launische Fügungen. Das wird immer ihr größter Erfolg bleiben. Aus ihr werden die Schriftsteller nach wie vor ausgiebig schöpfen.

      Wenn ich heute der Versuchung erliege, Schwarzweißbilder heranzuziehen, dann nicht wegen der erstbesten Anekdote. Diese Geschichte lässt mich nicht mehr los, weil sie jede meiner Leidenschaften anspricht. All die Jahre im Osten, die Berge, die mich als Heranwachsenden stets begleiteten, meine Reisen durch Zentralasien. Sie kam zu mir wie eine Katharsis, wie eine Selbstverständlichkeit. Und mir wurde bewusst, wenn nicht ich, würde sich niemand sonst dieser unglaublichen Geschichte annehmen. Ich wollte nicht, dass sie im Dunkeln verschwindet. Schließlich fühlte ich mich verpflichtet, sie ans Licht zu bringen. Daraufhin versank ich jeden Tag tiefer in fiebrige Recherchen, gefesselt von diesen verrückten Lebensgeschichten aus jenen Jahrzehnten, die nicht weniger verrückt waren, in einem Land, das es schon immer war.

      So kam es, dass ich eines Tages im Herbst in der ohrenbetäubenden Metro der Hauptstadt aller russischen Staaten saß. An der Station Frunsenskaja, die in der Moskwa-Schleife liegt, komme ich wieder an die frische Luft. Ich blicke auf Beton und große Bäume, die ihr welkes Laub abwerfen. Ich frage nach der Bolschaja Pirogowskaja. Dort befindet sich heute das Staatsarchiv. Zügigen Schrittes versuche ich mir nochmal klarzumachen, warum ich hier bin. Warum beschäftige ich mich seit so vielen Monaten mit diesen beiden in Vergessenheit geratenen Alpinisten? Was bringt einen dazu, im Leben Unbekannter herumzuschnüffeln? Und mit welchem Recht übrigens, wenn nicht dem, der wahren Geschichte auf den Grund zu gehen?

      Die Akademiker in meinem Bekanntenkreis prophezeiten mir Schwierigkeiten auf allen Ebenen. „Du wirst sehen“, sagten sie voraus, „die Akten über die Säuberungen sind unter Verschluss. Russland unter Putin kehrt die Opfer des Stalinismus unter den Teppich. Man wird dir nicht das Geringste zeigen.“ Ich hatte mich also auf die Willkür der Beamten eingestellt, darauf, dass ich alle möglichen Stempel sammeln müsste, dass ich meine gesammelten Russischkenntnisse und mein gesamtes Wissen über die internationale Bürokratie für diese außergewöhnliche Spurensuche brauchen würde. Ich konnte mir nicht vorstellen, über diese beiden Kerle zu schreiben, ohne das Kafkaeske ihrer Prozesse gelesen, ohne den Geruch des Papiers eingeatmet zu haben, das man zu lügen und zu töten nötigte.

      Zuvor hatte es mich einige Mühe gekostet, die Akte P-8594 ausfindig zu machen, in ihr befand sich der Schlüssel. In der Lubjanka, dem historischen Hauptquartier des KGB, war sie nicht mehr. Sie war ins Staatsarchiv verlegt worden, und ich hatte gleich einen detaillierten

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