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verarmte noch mehr. Fast alle jüdischen Bauern wurden zu Pächtern, die das Land gegen Pachtzins bearbeiteten. Das bisherige religiöse Leben, das seit Jahrhunderten auf den Jerusalemer Tempelkult ausgerichtet war, konnte nicht mehr weitergeführt werden. Die Juden mussten nicht nur ohne Staat, sondern auch ohne Tempel leben. Damit war auch das Ende des Hohepriesteramtes gekommen. Von den Religionsparteien vor 70 n.Chr. gingen die Zeloten, Sadduzäer und Essener unter; nur die gemäßigten Pharisäer/Schriftgelehrten blieben übrig, die dann als Rabbinen in die jüdische Geschichte eingingen. Das frühe Christentum wurde durch die Ereignisse des Jahres 70 ebenfalls schwer getroffen, denn die Jerusalemer Gemeinde ging in den Wirren des Krieges unter (s.u. 9.2). Damit hatte die Bewegung ihren Ausgangspunkt und bleibenden Orientierungspunkt verloren. Zugleich bewahrte aber die vor allem von Paulus betriebene Verlagerung der Missionsaktivitäten nach Kleinasien, Griechenland und Rom das Christentum vor dem Untergang.

      Für die Römer zählte der Sieg über die Juden keineswegs nur als einer unter vielen. Titus kehrte nach Rom zurück und feierte im Jahr 71 zusammen mit seinem Vater Vespasian einen Triumphzug164. Schon dies war außergewöhnlich, denn normalerweise wurde ein solcher Siegeszug nur bei der Eroberung einer neuen Provinz abgehalten, hier gelang aber lediglich die Befriedung eines Teils der bestehenden Provinz Syrien165. Zudem wurden im ganzen Reich Münzen geprägt mit der Aufschrift: „Judaea capta“ („Judäa besiegt“). Der Sieg Jupiters über Jahwe dokumentiert sich auch in der Einführung des ‚fiscus Judaicus‘, einer Steuer (s.u. 9.2), die von jedem Juden (auch in der Diaspora) erbracht werden musste und die faktisch an die Stelle der Tempelsteuer trat166. Der nach dem Tod des Titus (81 n.Chr.) errichtete Titusbogen in Rom zeigt schließlich, wie stark die Flavier den Sieg über die Juden propagandistisch nutzten.

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      Titusbogen in Rom (heute Forum Romanum); nach dem Sieg wird Kriegsbeute aus dem Tempel abtransportiert: Schaubrottisch, siebenarmiger Leuchter/Menora, zwei silberne Trompeten (Foto: Udo Schnelle).

      Bar Kochba-Aufstand

      Das Judentum lebte nach 70 in Palästina unter erschwerten Bedingungen weiter. Von den jüdischen Gruppen überlebten nur die Pharisäer und Schriftgelehrten, die nun die Transformation des allein an der Tora orientierten rabbinischen Judentums herbeiführten (s.u. 11.5). Die Diaspora blieb ein Zentrum des Judentums, wurde aber auch durch den Ausgang des Krieges in Mitleidenschaft gezogen. Vor allem in Syrien, Ägypten und der Kyrenaika schlug der Hass gegen die Juden in offene Freindschaft um, der durch dorthin geflohene radikale Zeloten noch gesteigert wurde. In Kyrene inszenierte um 73/74 n.Chr. Jonathan der Weber einen messianischen Aufstand, der von den Römern blutig niedergeschlagen wurde167. Zwischen 115–117 n.Chr. kam es unter der Herrschaft Trajans zu Aufständen auf Zypern, in Ägypten und der Kyrenaika, die wiederum allesamt blutig beendet wurden168. Das endgültige Ende jeder jüdischen Eigenstaatlichkeit bedeutete schließlich der Bar Kochba-Aufstand (132–135 n.Chr.)169. Wahrscheinlich befahl Kaiser Hadrian um 130 n.Chr. die Umformung Jerusalems in eine hellenistische Stadt mit dem Namen Aelia Capitolina170; er verschärfte das Beschneidungsverbot und errichtete in Jerusalem ein Jupiter-Heiligtum auf den Ruinen des alten Tempels. Daraufhin brach unter Führung eines Simon bar Kochba ein Aufstand aus, der von Rabbi Aquiba mit dem messianischen Prädikat aus Num 24,17 ‚Sternensohn‘ (= Bar Kochba) versehen wurde171. In einem Guerilla-Krieg (z.B. mit Überraschungsangriffen aus unterirdischen Höhlenkomplexen heraus) vornehmlich im Süden Judas hatten die Aufständischen zunächst große Erfolge, wurden dann aber von den Römern in verlustreichen Kämpfen aufgerieben und vernichtet. Danach verfügte der Kaiser in einem Erlass, dass kein Jude mehr Jerusalem und die benachbarten Gebiete betreten durfte. Der Provinzname wurde in Syria Palästina umgewandelt, so dass es kein Land der Juden mehr gab.

      WILHELM BOUSSET, Die Religion des Judentums, hg. v. Hugo Gressmann, HNT 21, Tübingen 41966 (= 1925). – OTTO PLÖGER, Theokratie und Eschatologie, WMANT 2, Neukirchen 31968. – MEINRAD LIMBECK, Die Ordnung des Heils, Düsseldorf 1971. – JOHANN MAIER/JOSEF SCHREINER, Literatur und Religion des Frühjudentums, Würzburg/Gütersloh 1973. – ANDREAS NISSEN, Gott und der Nächste im antiken Judentum, WUNT 15, Tübingen 1974. – MAX KÜCHLER, Frühjüdische Weisheitstraditionen, Freiburg(H)/Göttingen 1979. – DAVID HELLHOLM (Hg.), Apocalypticism in the Mediterranean World and the Near East, Tübingen 1983. – JOHN J. COLLINS, The Apocalyptik Imagination, New York 1984. – RUDOLF MEYER, Zur Geschichte und Theologie des Judentums in hellenistisch-römischer Zeit, Berlin 1989. – KARLHEINZ MÜLLER, Studien zur frühjüdischen Apokalyptik, SBAB 11, Stuttgart 1991. – MEINRAD LIMBECK, Das Gesetz im Alten und Neuen Testament, Darmstadt 1997. – JOHN J. COLLINS, Jewish Wisdom in the Hellenistic Age, Louisville 1997. – GEORGE W. E. NICKELSBURG, Jewish Literature between the Bible and the Mishna, Minneapolis 22005. – ULRIKE MITTMANN-RICHERT, Einführung zu den historischen und legendarischen Erzählungen, JSHRZ VI, Gütersloh 2000. – GERBERN S. OEGEMA, Apokalypsen, JSHRZ VI, Gütersloh 2001. – HERMANN LICHTENBERGER/ GERBERN S. OEGEMA (Hg.), Jüdische Schriften in ihrem antik-jüdischen und urchristlichen Kontext, Gütersloh 2001. – GERBERN S. OEGEMA, Unterweisung in erzählender Form, JSHRZ VI, Gütersloh 2005.

      Das theologische Denken des Judentums ist von einer tiefgreifenden Transformation im Gefolge des babylonischen Exils (598/587–537 v.Chr.) geprägt, denn das Zusammenbrechen der vorexilischen Ordnungen musste theologisch bewältigt werden. In das Zentrum der Religion treten der exklusive Monotheismus, das Erwählungsbewusstsein, die Tora und das Land als Heilsgaben Gottes sowie der Tempel als Ort der Gegenwart Gottes. Man hofft auf Gottes anhaltende Treue trotz der Bedrängnisse der Gegenwart und unternimmt den Versuch, sich durch rituelle Abgrenzung von den anderen Völkern neu zu definieren172.

      Monotheismus

      Die Einzigkeit und Einzigartigkeit Gottes ist die Basis des jüdischen Glaubens173; es gibt nur einen Gott, außer dem kein Gott ist (Dtn 6,4b: „Höre Israel, der Herr, unser Gott, ist einer!“; vgl. ferner Jes 44,6; Jer 10,10; 2Kön 5,15; 19,19 u.ö.). In Arist 132 beginnt eine Belehrung über das Wesen Gottes mit der Feststellung, „dass nur ein Gott ist und seine Kraft durch alle Dinge offenbar wird, da jeder Platz voll seiner Macht ist“. In scharfem Kontrast zur antiken Vielgötterei betont Philo: „So wollen wir denn das erste und heiligste Gebot in uns befestigen; Einen für den höchsten Gott zu halten und zu verehren; die Lehre der Vielgötterei darf nicht einmal das Ohr des in Reinheit und ohne Falsch die Wahrheit suchenden Mannes berühren.“174 Der Monotheismus begründete die Besonderheit, aber auch Faszination des Judentums in der Antike175.

      Erwählung

      Mit dem einen wahren Gott verbindet sich die Erwählungsvorstellung. In Dtn 7,6–8 („… Dich hat der Herr, dein Gott, aus allen Völkern der Erde für sich erwählt als sein Volk …“) und Dtn 14,2 („Denn du bist das Volk, das dem Herrn, deinem Gott, geweiht ist, und dich hat der Herr aus allen Völkern auf der Erde für sich erwählt als sein eigenes Volk“) wird der Grundgedanke der Erwählungslehre klassisch formuliert: Gott erwählte Israel aus freier Entscheidung und grundloser Zuneigung aus allen Völkern und begründet damit dessen Sonderstellung. Dabei wird der Exodus aus Ägypten als bleibende Verpflichtung und als Grundmodell des rettenden Handelns Gottes angesehen (vgl. Dtn 7,8: „Weil der Herr euch liebte und weil er den Eid hielt, den er euren Vätern geschworen hatte, darum führte euch der Herr heraus mit starker Hand und befreite dich aus dem Sklavenhaus, aus der Hand des Pharaos, des Königs von Ägypten“). Diese frühexilische Erwählungsvorstellung wurde vor allem in der deuteronomisch-deuteronomistischen Theologie mit der Bundesvorstellung kombiniert (vgl. Ex 19,4–8) und bestimmte das Denken des gesamten Judentums. Vor allem in Qumran dominiert die Erwählungsvorstellung, so heißt es z.B. in 1QS 4,22 über die ‚Söhne des Lichts‘: „Denn sie hat Gott erwählt zum ewigen Bund.“ Ebenso ist die jüdische Apokalyptik von einem Erwählungsbewusstsein geprägt (vgl. z.B. 4Esra 5,27: „Aus all den vielen Völkern hast du dir das eine Volk erwählt, und das von allen als gut anerkannte Gesetz hast du diesem Volk gegeben, das du geliebt hast“).

      Gesetz/Tora

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