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und Medizingeschichte. In: Paul, Norbert/Schlich, Thomas (Hg.): Medizingeschichte: Aufgaben, Probleme, Perspektiven. Frankfurt am Main, New York 1998, S. 292–310.

      Weindling, Paul: Nazi medicine and the Nuremberg Trials: from medical war crimes to informed consent. New York 2004.

      Wolff, Eberhard: Perspektiven der Patientengeschichtsschreibung. In: Paul, Norbert/Schlich, Thomas (Hg.): Medizingeschichte: Aufgaben, Probleme, Perspektiven. Frankfurt am Main, New York 1998, S. 311–334.

      1.2 Exkurs: Geschichte der Medizingeschichtsschreibung

      Die Medizingeschichtsschreibung hat lange am Fortschrittsbegriff festgehalten (Button, 1988). Im Einzelnen sind drei Strömungen oder Richtungen zu unterscheiden: Am Anfang steht die konkrete und nachhaltige Erfahrung der Fortschritte, die in der naturwissenschaftlich ausgerichteten Medizin vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erzielt wurden. Die Wahrnehmung dieser Errungenschaft führte dazu, dass die Medizingeschichtsschreibung sich lange Zeit auf der „Siegerstraße“ bewegte und die Geschichte der Medizin als einen langen Weg aus dem Dunkeln des Nicht-Wissens in das helle Licht wissenschaftlicher Erkenntnis beschrieb. Diese Richtung hat immer noch Anhänger, wie ein Blick in ein auch heute noch gerne benutztes Lehrbuch zeigt (Ackerknecht, 1989, S. VII). Erst die „Professionalisierung“ der Medizingeschichte (Burnham, 1998) und das stetig wachsende Interesse von Medizinsoziologen und Sozialhistorikern an Krankheit und Gesundheit in der Geschichte (Sozialgeschichte, S. 173) seit den 1960er Jahren leiteten eine zweite Phase ein. Fortan wurde der Fortschritt zu einem theoretischen Konzept und damit zu einem medizinhistorischen Perspektivbegriff. Die Kritik an der Apparatemedizin und an den Strukturen des modernen Gesundheitssystems in den 1970er Jahren fand ihren Widerhall nicht zuletzt in der Medizingeschichtsschreibung. Das bis dahin vorherrschende, wenn auch theoretisch unterschiedlich fundierte Fortschrittsparadigma wurde in dieser dritten und bis heute andauernden Phase mehr und mehr in Frage gestellt. Das Augenmerk galt nicht mehr so sehr dem Fortschritt, sondern seinen Folgen und Bedingungen (Mayr, 1990). [<<24]

      1.2.1 Medizingeschichte im Banne des Fortschritts

      Die Anfänge der Medizingeschichtsschreibung reichen bis in die Antike zurück (Heischkel, 1938; Edelstein, 1967). Allerdings fragten die meisten dieser Autoren nicht explizit nach der „Geschichte“. Es ging also nicht um Geschichtsschreibung im eigentlichen Sinne, sondern eher darum, den Nachweis zu führen, wer diese oder jene Anschauung in der Medizin vertreten oder erfunden hat. Charakteristisch für diese Herangehensweise ist, dass das Moment der zeitlichen Abfolge oder die Einordnung in den chronologischen Zusammenhang zurücktritt und die in der älteren medizinischen Literatur vertretenen Ansichten als durchaus aktuell und relevant angesehen werden. Das erinnert an den Ratschlag, der sich in der Schrift Von der alten Medizin im Corpus Hippocraticum findet, dass nämlich ein Arzt wissen müsse, was andere vor ihm gefunden haben, damit er davon ausgehen könne (Hippokrates, 1895, I, S. 19). An dieser Einstellung und Betrachtungsweise ändert sich bis weit in die Frühe Neuzeit hinein kaum etwas. Meist sind es Einleitungen zu medizinischen Werken, in denen zwar nicht die für die Idee des Fortschritts entscheidende Frage nach der Entwicklung der Medizin bis zur jeweiligen Gegenwart gestellt wird, dafür aber von den Anfängen der Medizin und den ersten Ärzten die Rede ist (Diepgen, 1924). Der Rückblick auf die Vergangenheit der Heilkunde blieb somit meist diffus. Gleichwohl findet man in dieser frühen Zeit schon gelegentlich Werke, in denen die Errungenschaften der Vergangenheit mit dem zeitgenössischen Wissens- und Erkenntnisstand durchaus kritisch verglichen werden (Heischkel-Artelt, 1949).

      Auch die eigentliche Medizingeschichtsschreibung, die im 17. und 18. Jahrhundert mit Namen wie Daniel Le Clerc (1652–1728), John Freind (1675–1728) und Johann Heinrich Schulze (1687–1744) verbunden ist (Bickel, 2007; Rüttgen/Metzger, 2009), beschreibt noch nicht die Entwicklung der medizinischen Theorie, sondern zeichnet sich eher durch sorgfältige Quellenforschung und bio- und bibliographische Angaben in streng chronologischer Reihenfolge aus. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts spürt man, dass geistige Strömungen dieser Zeit (Stichwort ‚Aufklärung‘) und politische Ereignisse von großer Tragweite (Stichwort ‚Französische Revolution‘) ihre Spuren auch im historischen Bewusstsein von Verfassern medizinhistorischer Medizinhistorische Gesamtdarstellungen (S. 85) hinterlassen haben (Lammel, 2005). Damals tauchte erstmals der Begriff „Fortschritt“ auf, und zwar zu genau derselben Zeit, als ‚Fortschritt‘ als spezifisch geschichtlicher Begriff, nicht zuletzt unter dem Einfluss Kants, Eingang in die politisch-soziale Sprache des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts fand. So heißt es beispielsweise in einer sich als „pragmatisch“ verstehenden Literaturgeschichte der Medizin jener Zeit: „[…] die Geschichte ihrer Entstehung, Bildung, Fortschritte [<<25] und allmähliger Vervollkommnung zeigt unwidersprechlich, dass die Arzneywissenschaft, mehr als irgendeine der menschlichen Wissenschaften auf den Bedürfnissen des Menschengeschlechts gegründet, nebst der Philosophie den ersten Rang unter den Wissenschaften behauptet“ (Metzger, 1792, S. 1). Bezeichnenderweise wird hier der Begriff ‚Fortschritt‘ noch im Plural verwendet. Erst im beginnenden 19. Jahrhundert wird aus der historiographischen Darstellung einzelner Fortschritte auf dem Gebiet der Heilkunde und der medizinischen Wissenschaft der ‚Fortschritt‘ schlechthin in der Medizingeschichte.

      Mit dem Gebrauch dieses Kollektivsingulars hat sich ein historisches Bewusstsein durchgesetzt, dass die Geschichte sich nicht mehr wiederhole, dass die Gegenwart der Vergangenheit überlegen sei und dass die kommende Geschichte anders, und zwar besser, sein werde. Dieser Wandel manifestiert sich sowohl in den maßgeblichen medizinhistorischen Gesamtdarstellungen des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts (Sprengel, 1792–1803) als auch in den Untersuchungen zur Geschichte einzelner medizinischer Disziplinen, die im Zeitalter der romantischen Medizin verfasst worden sind (Engelhardt, 1979, 1984). Einer der bedeutendsten Vertreter dieser Richtung ist Heinrich Damerow, der von 1798 bis 1866 lebte (Risse, 1969). In seinem bekannten Werk Die Elemente der nächsten Zukunft der Medicin, entwickelt aus der Vergangenheit und Gegenwart (Berlin 1829) beschreibt er die Geschichte der Medizin als einen mehr oder weniger geradlinig verlaufenden Entwicklungsprozess in Analogie zur Stufenlehre, wie man sie beispielsweise in der damaligen Embryologie antrifft. Auch bei seinem Zeitgenossen Ernst Anton Quitzmann (1809–1879) ist die Geschichte der Heilkunde gleichbedeutend mit dem „Weg zur Wahrheit der Heilkunde“ (Quitzmann, 1843, S. 4). Anknüpfend an Damerow findet sich bei ihm ein Entwicklungsschema der Medizingeschichte, das vom Keim über die Gestaltwerdung und Blüte bis zur Reife reicht (Quitzmann, 1837). Die Funktion des Fortschrittsbegriffs ist hier ganz offenkundig. Quitzmann ging es darum, mit seiner philosophisch an Hegel und Schelling orientierten medizinhistorischen Überblicksdarstellung „einen festen, vollkommen durchsichtigen Anhaltspunkt für die Bestrebungen des Fortschrittes dar[zu]bieten“ und auf diese Weise „die chaotische Masse nach ihren beseelenden Grundideen zu konzentrieren“ (Quitzmann, 1843, S. XII). Im Gegensatz zu reinen Bewegungsausdrücken wie ‚Fortgang‘, ‚Entfaltung‘ oder ‚Entwicklung‘ manifestiert sich hier in der Verwendung des Begriffs ‚Fortschritt‘ eindeutig eine für die Zukunft offengehaltene Möglichkeit der Steigerung und Verbesserung.

      Das neue und geschärfte historische Bewusstsein zeigt sich aber nicht nur in der Medizingeschichtsschreibung jener Zeit, sondern auch in den programmatischen Äußerungen von Ärzten und Naturforschern, die sich als Motoren oder zumindest als [<<26] Mentoren des Fortschritts verstanden. Eine sehr ergiebige Quelle sind die Eröffnungsreden zu den Versammlungen deutscher Naturforscher und Ärzte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Auf der Heidelberger Versammlung des Jahres 1829 erklärte der Physiologe Friedrich Tiedemann (1781–1861) im vollen Brustton der Überzeugung: „Die Natur-Wissenschaften und die Heilkunde, deren glänzende Fortschritte ich in der Kürze anzudeuten gewagt habe, liefern den Beweis, wie ihn keine andere Wissenschaft zu geben imstande ist, dass der menschliche Forschungs-Geist in einem unaufhaltsamen Weiterschreiten begriffen ist, keine hemmenden Schranken seiner Wirksamkeit kennend“ (zitiert nach Schipperges, 1976, S. 15). Auf der Versammlung, die 1854 in Göttingen stattfand, hielt der Chirurg Wilhelm Baum (1799–1883) die Eröffnungsansprache und verstieg sich

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