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Einführung in die philosophische Ethik. Dietmar Hübner
Читать онлайн.Название Einführung in die philosophische Ethik
Год выпуска 0
isbn 9783846349915
Автор произведения Dietmar Hübner
Жанр Философия
Издательство Bookwire
Gemeinsam ist beiden Formen der Ansatz, zunächst ein systematisches Gerüst an Zentralbegriffen und Theorietypen zu erarbeiten und von dort aus historische Vertiefungen anhand einzelner Philosophen und ihrer jeweiligen Texte vorzunehmen. Auf diese Weise kann dem doppelten Anspruch eines modernen Studiums, aber auch dem verständlichen Wunsch vieler Leser entsprochen werden, einerseits eine klare Orientierung über den konzeptuellen Gesamtzusammenhang der Ethik und ihrer unterschiedlichen Positionen, andererseits solide Einblicke in die wesentlichen Ausgestaltungen dieser Standpunkte in ihren wichtigsten Entwürfen zu erhalten. Systematische Strukturierungen und historische Ausführungen sind in der Philosophie im Allgemeinen und in der Ethik im Besonderen keine einander ausschließenden Alternativen. Vielmehr bilden sie wechselseitig unentbehrliche Ergänzungen, die erst gemeinsam philosophisches Wissen, auch auf elementarer Ebene, entstehen lassen können. Entsprechend werden in dieser Einführung grundlegende Klassifikationsschemata, wesentliche Moralbegriffe und unterschiedliche Ethiktypen zunächst in allgemeiner Hinsicht erläutert, um dann in den Werken von Aristoteles, Kant oder Mill eingehend nachgezeichnet und mit Gespür für ihre besonderen Erscheinungsweisen erschlossen zu werden.
Im Einzelnen stellt sich der Aufbau dieses Buches wie folgt dar: Kapitel 1 befasst sich mit den modernen Begriffsbedeutungen von ›Moral‹ und ›Ethik‹ und erläutert insbesondere die drei Hauptebenen der Ethik, nämlich deskriptive Ethik, normative Ethik und Metaethik. Kapitel 2 stellt beispielhaft drei Konzeptionen deskriptiver Ethik vor, die innerhalb der Philosophie, aber auch in Psychologie und Soziologie von großer Bedeutung sind. Kapitel 3 diskutiert wesentliche Eckpunkte der Metaethik, darunter die fundamentale Einteilung normativer Ethiken in Tugendethiken, Deontologien und Teleologien.
Letztere Einteilung ist für den weiteren Aufbau des Buches maßgeblich: Kapitel 4, 5 und 6 widmen sich jeweils einem dieser drei Ethiktypen und verdeutlichen ihn mit starkem Fokus auf seine wichtigsten historischen Vertreter. Insbesondere die Tugendethiken von Platon, Aristoteles und Thomas von Aquin, der deontologische Ansatz von Kant sowie die teleologischen Entwürfe von Bentham, Mill und Sidgwick werden dabei eingehend in ihren zentralen Theoriebestandteilen und ihren wesentlichen Argumenten dargestellt. Zeitgenössische Versionen der genannten Ethiktypen werden jeweils zum Ende des Kapitels skizziert. Schließlich finden sich Fragen und Aufgaben, die zur Rekapitulation und Anwendung des Stoffes dienen und deren Lösungen auf der Internetseite von UTB eingesehen werden können (www.utb-shop.de/9783825249915).
Zwei weitere Einheiten der Vorlesung, nämlich zur Unterscheidung von Zwecken, Mitteln und Nebeneffekten sowie zu Kategorien und Abwägungsregeln der Rechtsphilosophie, sind nicht in diese Buchversion mit aufgenommen worden. Grund hierfür sind zum einen der begrenzte Umfang, auf den hin ein Lehrbuch vernünftigerweise zu konzipieren ist, zum anderen der inhaltliche Umstand, dass die genannten Themenbereiche eher spezieller Natur sind und daher innerhalb einer allgemeinen Einführung als entbehrlich gelten dürfen. Statt also an anderen Stellen knapper zu werden und hierdurch die dort gewünschte Vertiefung zu gefährden, schien es angebracht, auf diese beiden Einheiten vollständig zu verzichten. Wer dennoch in sie Einblick nehmen will, findet sie an anderer Stelle veröffentlicht, nämlich in dem Lehrbuch Forschungsethik: Eine Einführung von Michael Fuchs et al. (Metzler 2010), zu dem ich zwei entsprechende Theoriekapitel beigesteuert habe (»Aspekte von Handlungen«, S. 22–31, sowie »Stufen der Verbindlichkeit«, S. 32–39).
Mein Dank geht zunächst an die Institution, die es mir ermöglicht hat, dieses Buch zu verfassen, nämlich an die Leibniz Universität Hannover, an der ich seit 2010 tätig sein darf, und speziell an das dortige Institut für Philosophie, das ein überaus anregendes Umfeld für philosophisches Arbeiten bildet. Zahllose wertvolle Gespräche, die den Text erheblich an Prägnanz und Konsistenz bereichert haben, durfte ich zudem am von Dieter Sturma geleiteten Institut für Wissenschaft und Ethik (IWE) in Bonn führen, namentlich mit Bert Heinrichs und Sebastian Knell. Schließlich bedanke ich mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verlags Vandenhoeck & Ruprecht für die umsichtige Realisierung des vorliegenden Bandes. Dies gilt insbesondere für Frau Dr. Ulrike Gießmann-Bindewald, die das Projekt von Beginn mit größter Hilfsbereitschaft und höchster Professionalität begleitet hat.
Hannover, im Januar 2014 | D.H. |
1.Ethik und Moral – Begriffsklärungen
Dieses erste Kapitel befasst sich mit den Bedeutungen der Begriffe ›Ethik‹ und ›Moral‹. Es klärt den etymologischen Hintergrund beider Wörter (Abschnitt 1.1) sowie ihre Verwendung im modernen Sprachgebrauch (Abschnitte 1.2 und 1.3). Von dort aus entwickelt es eine erste wichtige Einteilung der Ethik, nämlich die Unterscheidung von ›deskriptiver Ethik‹, ›normativer Ethik‹ und ›Metaethik‹ (Abschnitt 1.4). Deren Inhalte werden in den nachfolgenden Kapiteln eingehend erläutert.
1.1Etymologische Herkunft von ›Ethik‹ und ›Moral‹
Wenn man sich über die Bedeutung der beiden Begriffe ›Ethik‹ und ›Moral‹ Aufschluss verschaffen will, ist es naheliegend, zunächst einen Blick auf ihre etymologische Herkunft zu werfen. Beide Wörter stammen nicht aus dem Deutschen, sondern sind aus fremden Sprachen importiert worden, nämlich aus dem Griechischen bzw. aus dem Lateinischen.
(1) Das deutsche Wort ›Ethik‹ leitet sich vom altgriechischen ēthos her (ἦϑος, mit lang gesprochenem η = ēta). Ursprünglich bezeichnet ēthos so viel wie ›Wohnung‹, ›Wohnort‹, ›gewohnter Sitz‹, ›gewöhnlicher Aufenthalt‹. Darüber hinaus hat es zwei abstraktere Verwendungsweisen entwickelt, die insbesondere für philosophische Zusammenhänge maßgeblich sind: Zum einen bedeutet es ›Sitte‹, ›Gewohnheit‹, ›Brauch‹, also bestimmte kollektive Gepflogenheiten und Verhaltensweisen, die in einem Gemeinwesen etabliert sind. Zum anderen meint es ›Charakter‹, ›Denkweise‹, ›Sinnesart‹, d.h. gewisse individuelle Haltungen und Einstellungen, die man bei Einzelpersonen antrifft. Dabei ist in beiden Fällen keinerlei Wertung vorausgesetzt: Das ēthos einer Gruppe oder eines Menschen kann sowohl gut wie schlecht geartet sein oder auch als völlig wertneutral betrachtet werden.
Das Altgriechische kennt zudem das zugehörige Adjektiv ēthikos (ἠϑιϰóς). Auch dieses Adjektiv kann zunächst wertfrei verwendet werden und bedeutet dann ›die Sitten betreffend‹ oder ›den Charakter betreffend‹: Ein Problem oder eine Diskussion lässt sich in diesem Sinne als ēthikos bezeichnen, so wie man auch im Deutschen von einer ›ethischen Frage‹ oder einer ›ethischen Debatte‹ spricht. Überdies kann das Adjektiv aber auch eine positive Wertung zum Ausdruck bringen, im Sinne von ›gesittet‹ oder ›gut‹: Ein Verhalten oder eine Person als ēthikos