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Schauplatz des Geistes, sagt Lévinas (vgl. WGD, 153f.).

      Ontologie ist das Denken, das von dem einen Ursprung ausgeht und zu dem einen Ziel zurückkehrt. Durch den Geist kann der Mensch teilhaben an diesem Ursprung und an diesem Ziel. Der Geist verfolgt so gleichsam das Ziel der Rückkehr zu sich selbst.

      »Der Weg der Philosophie bleibt der des Odysseus, dessen Abenteuer in der Welt nichts anderes als die Rückkehr zu seiner Geburtsinsel war – ein Sich-Gefallen im Selben, ein Verkennen des Anderen.« (HaM, 33)

      Lévinas stellt dieses Denken in Frage. Sollte alles, was ist, letztlich rückführbar sein auf denselben Ursprung, denselben Ausgangspunkt? Sollte die Vielfalt aller Einzelphänomene, die Variationsbreite der Erscheinungsweisen des Seins doch nur eine Ausfaltung des Einen und Allgemeinen sein?

      Lévinas sucht einen Weg, der der Andersheit und der Mannigfaltigkeit der Einzelphänomene gerecht wird. Es ist ein Weg, der nicht von den allgemeinen Prinzipien ausgeht, sondern von der Singularität des einzelnen Seienden, vom Reichtum der Andersheit, von echter Pluralität.

      Fehlende Wertschätzung von Andersheit

      Die ontologische Reflexion des Seins ist nach Lévinas einseitig (zur Darstellung seiner Kritik an der abendländischen Tradition vgl. Staudigl, 28ff.). Wo bleibt das Andere, wenn alles auf das Selbe, das Allgemeine, das Prinzipielle zurückgeführt wird? Das einzelne Seiende, das Individuum in seiner Originalität bedeutet und zählt nicht – oder nur, insofern es einer Allgemeinheit angehört. Alles, was als sinnlich Einzelseiendes erscheint, wird in dieser Tradition auf einen ersten nicht-sinnlichen Grund und ein letztes nicht-sinnliches Ziel bezogen.

      »Wenn im philosophischen Leben […] ein diesem Leben Fremdes auftaucht, etwas anderes – die Erde, die uns trägt, der Himmel, der uns erhebt und uns nicht kennt, die Kräfte der Natur, die uns vernichten und uns beistehen, die Dinge, die uns hinderlich sind und uns nützen, die Menschen, die uns lieben und uns knechten – so ist es ein Hindernis. Man muss es überwinden und in dieses Leben integrieren. Und die Wahrheit ist eben dieser Sieg und diese Integration.« (SpA, 188)

      Doch ist es wirklich ein Sieg, wenn das Fremde überwunden wird? Nach Lévinas kommt es einem Gewaltakt gleich, das Andere nicht in seiner Eigenart zu schätzen. Gilt das Primat des Selben, wird das Andere nicht gewürdigt. Die Besonderheit des Anderen gilt dann nicht als Auszeichnung, sondern als Störung, als Hindernis, als Abweichung vom Eigentlichen. Andersheit hat dann nicht eine eigene irreduzible Qualität, sondern steht unter der Optik des Fremden, des Vorläufigen, des Nochnicht-Selben.

      In der ontologischen Tradition ging die Philosophie den Weg der Angleichung des Anderen an das Selbe, des Be-greifens von Andersheit, der Identifizierung – und damit der Vereinnahmung des Anderen. Unsere abendländische Geschichte ist voll von identifizierenden Übergriffen: Zwangsmissionierung Angehöriger anderer Religionen; kulturelle Überformung Eingeborener während des Kolonialismus; »Umerziehung« ethnischer Minderheiten oder von Menschen mit anderen Lebensentwürfen. Und sie kennt Kapitel der gewaltsamen Vernichtung der Andersheit, weil die Identifizierung, die Angleichung nicht gelungen ist. Man denke an die dunklen Kapitel der Hexenverfolgungen oder Judenprogrome durch die Jahrhunderte hindurch.

      »Die Eroberung des Seins durch den Menschen im Laufe der Geschichte – das ist die Formel, in der sich die Freiheit, die Autonomie, die Reduktion des Anderen auf das Selbe zusammenfassen lassen. In dieser Reduktion des Anderen auf das Selbe stellt sich nicht irgendein abstraktes Schema dar, sondern das menschliche Ich. Die Existenz eines Ich verläuft als Verselbigung des Verschiedenen. « (SpA, 186)

      Lévinas sucht einen ethischen Weg, der bei der Andersheit beginnt, in ihr nicht die Abweichung vom Selben sieht, sondern ihm eine ganz andere Weise zu sein zugesteht. Ihm ist es dabei gerade nicht um das Erkennen oder Verstehen einer Andersheit zu tun, sondern um Begegnung und Beziehung. Denn nur die Begegnung mit etwas, das wirklich anders ist als das eigene Ich, erlaubt ein Über-sich-selbst-Hinaus, erlaubt eine wirkliche Transzendenz.

      Fehlen einer echten Transzendenz

      Für Lévinas hat die ontologische Tradition mit einer einseitigen Vernunftbetonung und einem Identitätsdenken diese Transzendenz eingebüßt.

      Exkurs

       Transzendenz

      Vom Ursprung des lateinischen Wortes (vgl. transcendere = überschreiten) kann Transzendenz als eine Bewegung über die Grenzen des eigenen Selbst hinaus gedeutet werden. In der klassischen abendländischen Metaphysik bedeutete Transzendenz das Denken über den Bereich der konkreten sinnlich wahrnehmbaren Einzelphänomene hinaus auf einen jenseits des eigenen Bewusstseins liegenden Ursprung. Im Laufe der abendländischen Denkgeschichte erfuhr dieser Transzendenzbegriff Kritik von verschiedenen Philosophen, u.a. Kant, Marx und Feuerbach, Nietzsche, Heidegger (vgl. Halder 2008, 337f.).

      Auch Lévinas gehört zu den Kritikern eines solchen Transzendenzverständnisses. Für ihn ist diese Art der Transzendenz nicht radikal und unendlich, sondern beseelt vom Wunsch, zur Ruhe zu kommen, im Selben anzukommen. Wenn das Bewusstsein alles auf das Allgemeine und Identische zurückführt, wenn alles, was anders und fremd ist, identifiziert wird, dann ist Andersheit und mit ihr Transzendenz genichtet. Für Lévinas ist dies ein gewaltsamer Akt: das Andere, das Fremde begreifen, in den Griff bekommen zu wollen. Was dabei jedoch nicht gelingen kann, ist der Ausstieg aus der Immanenz, die Begegnung mit Transzendenz.

      Immanenz und mangelnde Transzendenz führen zu einer Totalität. Wenn Andersheit nicht als Qualität belassen, sondern gleich gemacht wird, wenn es nur noch das Eine gibt, hat die Totalität gesiegt. Für Lévinas ist die abendländische Tradition auch eine Geschichte dieser Totalität.

      »Diese Geschichte kann als Versuch einer universellen Synthese interpretiert werden, als Reduzierung aller Erfahrung, alles Sinnvollen auf eine Totalität, in der das Bewusstsein die Welt umfasst, außerhalb seiner Selbst nichts übrig lässt und auf diese Weise absolutes Denken wird. Das Bewusstsein von sich ist zugleich Bewusstsein vom Ganzen. Gegen diese Totalisierung hat es in der Geschichte der Philosophie wenig Proteste gegeben.« (EU, 57)

      Lévinas protestiert. Er geht den Weg in eine Ethik, die nicht von den allgemeinen Prinzipien ausgeht und sie auf das Einzelne anwendet. Er beginnt gerade dort, wo die Ontologie ankommen will: bei der Andersheit des einzelnen Seienden.

      Auch Heidegger protestierte vor Lévinas gegen die Totalität der menschlichen Erkenntnis.2 Er kritisierte die klassische Ontologie, die die Frage nach dem Sein immer unter dem Blickwinkel der Weltimmanenz betrachtet hat. Durch diese Betrachtungsweise wurde das Sein vergessen, im Zentrum standen nur die Seienden. Heidegger denkt vom konkreten Dasein des Menschen in der Welt aus. Dieses Dasein ist ein Sein zum Tode. Das Individuum muss sich ins Verhältnis dazu setzen. In seinen späteren Schriften verschiebt sich bei Heidegger die Optik weg vom sorgenden Subjekt hin zum Sein. Das Sein wird nicht mehr als Entwurf von Dasein, als zu bewältigende Existenz vor dem Tod verstanden, sondern als unvorwegnehmbares Geschick der Seins- und Wahrheitsgeschichte, die dem Menschen überhaupt erst die Möglichkeit eines Welt- und Selbstverständnisses eröffnet. Diese Seins- und Wahrheitsgeschichte ist jedoch geprägt von Seinsverbergung und Wahrheitsentzug. Weil man sich dieser Geschichte nicht versichern kann, bleibt unser Denken – und Heidegger versteht das seine so – ein vorläufiges (vgl. Halder 2008, 137f.).

      Lévinas kritisiert wohl den totalitären Anspruch einer ontologischen Tradition, die alles identifiziert und ver-ein-nahmt (im wörtlichen Sinne: eins macht). Doch sieht er bei Heidegger eine andere Totalität: die des Seins, die den Menschen zur Exekutive des Seins macht. Das Sein befiehlt dem Menschen die Existenz. Die Beziehung zwischen den Menschen ist für Heidegger nicht interessant, nur die Beziehung zum Sein (vgl. SpA, 194). »Anonym, neutral, befiehlt das ›Sein‹ das Existieren als ethisch indifferentes und als heroische Freiheit, der alle Schuld vor dem Anderen fremd ist.« (SpA, 194)

      Das Zwischenmenschliche, die Ethik, die Begegnung von Mensch zu Mensch spielen bei Heidegger keine Rolle – und sind bei Lévinas der Beginn der Ethik.

      »Die erste Beziehung des Menschen zum Sein verläuft über seine Beziehung zum Menschen.« (SF, 35)

      Abschied vom Monolog

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