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       Koalitionsausschuss

       Rücktritt

       Noch mehr Rücktritte

       Behelfskabinett

       „Martin, hol’ mir ein Glas Wein“

       Bratwurst mit Kartoffelsalat

       Alles auf Anfang

       Im Auge des Hurrikans

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       Verdrängte Vergangenheit

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       Corona

       Drei Wahlgänge

       EPILOG

       ZU DIESEM BUCH

       ANMERKUNGEN

      PROLOG

      Es war um 13.28 Uhr, als zum ersten Mal an jenem trüben 5. Februar 2020 die Sonne durch die großen Glasscheiben des Plenarsaals im Erfurter Landtag gleißte. Ein Strahl fiel direkt auf den glattrasierten Kopf eines Mannes, der in marineblauem Anzug, offenem weißen Hemd und schwarzen Cowboystiefeln auf grauer Auslegware stand.

      Gerade hatte eine einfache Mehrheit des Parlaments ihn, den FDP-Abgeordneten Thomas Kemmerich, dessen Landespartei mit 5,0066 Prozent ins Parlament gelangt war, zum Ministerpräsidenten des Freistaats Thüringen gewählt. Die Abstimmung war geheim. Aber jeder im Saal wusste, dass die meisten Stimmen für ihn nicht von der CDU oder gar von seiner kleinen FDP stammten – sondern von der selbsternannten Alternative für Deutschland. Die AfD-Fraktion hatte ihrem eigenen Bewerber, einem Dorfbürgermeister, keine einzige Stimme gegeben und damit das höchste Verfassungsorgan des Landes belogen und vorgeführt.

      Obwohl der Betrug so offensichtlich wirkte, hatte Thomas Kemmerich die Frage, ob er die Wahl annehme, fast ohne Zögern mit „Ja“ beantwortet. Nun stand er, von der Sonne beschienen, vor einer Frau in schwarzem Kostüm. Birgit Keller, die Landtagspräsidentin, gehörte der Linken an, also jener Partei, deren Ministerpräsident Bodo Ramelow gerade abgewählt worden war. Sie soufflierte dem FDP-Mann Halbsatz für Halbsatz den Eidestext, wie er in Artikel 71 der Landesverfassung steht.

      Er sprach ihr nach: „Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des Volkes widmen, Verfassung und Gesetze wahren, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde.“ Dann fügte Kemmerich an: „So wahr mir Gott helfe.“

      Die Protokollanten notierten: „Beifall AfD, CDU, FDP.“

      Damit war Thomas Kemmerich im Amt – und die aus den Trümmern der NS-Diktatur gegründete Bundesrepublik im Innersten erschüttert. Erstmals seit 1945 hatte ein Regierungsmitglied, ein Regierungschef gar, mit Hilfe von Rechtsextremen die Macht erlangt.

      An der Spitze jener Thüringer AfD, die Kemmerich zum Ministerpräsidenten gemacht hatte, stand ein Mann, der seit Jahren versuchte, die Partei zu einer völkischen „Widerstandsbewegung“ zu formen. Björn Höcke hatte den rechtsnationalen „Flügel“ gegründet, eine „180-Grad-Wende der Erinnerungskultur“ gefordert, auf Demonstrationen „1000 Jahre Deutschland“ beschworen und damit gedroht, die CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel „in einer Zwangsjacke“ abzuführen.

      Und er hatte die Vision eines gewaltsamen Umsturzes beschrieben. „Wenn einmal die Wendezeit gekommen ist, dann machen wir Deutschen keine halben Sachen, dann werden die Schutthalden der Moderne beseitigt“1, sagte er. „Auch wenn wir leider ein paar Volksteile verlieren werden, die zu schwach oder nicht willens sind, sich der fortschreitenden Afrikanisierung, Orientalisierung und Islamisierung zu widersetzen.“

      Nach der Wahl Kemmerichs wurden Parallelen zur Weimarer Republik gezogen – und zu Thüringen im Jahr 1924. Damals hatte eine bürgerliche Regierung zum ersten Mal mit Hilfe von Rechtsextremisten eine Linkskoalition abgelöst. Wenige Jahre später konnte die NSDAP den Innenminister stellen. Die Grundlagen der Machtergreifung im Januar 1933 wurden damit auch in Thüringen und dessen damaliger Landeshauptstadt Weimar gelegt.

      Nun also, ein knappes Jahrhundert später, hatte das kleine Land, in dem 2,5 Prozent der deutschen Bevölkerung leben und das 1,8 Prozent zum nationalen Bruttoinlandsprodukt beiträgt, für einen „Schock“ (Jürgen Habermas) gesorgt, dessen Wellen international wahrgenommen wurden. In einem Gastkommentar in der „New York Times“ hieß es, dass Deutschlands Post-Nazi-Tabu „zerstört“ worden sei2. Der britische Guardian schrieb von „besorgniserregenden Erinnerungen an Weimar“3.

      Die innenpolitischen Auswirkungen waren massiv. Das Ziel, den ersten und einzigen linken Ministerpräsidenten Deutschlands abzulösen, hatte für einen Moment AfD, CDU und FDP insgeheim vereint. Doch erst in der Sekunde, in der Kemmerich die Wahl annahm, sanktionierte er das teils unfreiwillige Bündnis und produzierte einen der größten politischen Skandale in der deutschen Nachkriegsgeschichte.

      Gleichzeitig sorgte er damit aber, wie Habermas es formulierte, auch für die „Klärung einer politischen Frontlinie“4. Denn nun wurde die Grenze zwischen den beiden bürgerlichen Parteien CDU und FDP auf der einen Seite und der extremen AfD auf der anderen Seite neu und hart gezogen. Kanzlerin Merkel erklärte, dass der Vorgang „unverzeihlich“ sei und „rückgängig gemacht“ werden müsse. Nur vier Wochen später war das Ultimatum erfüllt. Am 4. März 2020 wählte der Landtag Bodo Ramelow wieder zum Ministerpräsidenten. Er wurde zum Nachfolger seines Nachfolgers.

      Der Preis: Die CDU sah sich genötigt, erstmals die Linie gegenüber der SED-Nachfolgepartei Linke zu verwischen. Der so genannte Stabilitätspakt, den die Thüringer Union mit der rot-rot-grünen Minderheitskoalition drei Wochen nach der Wahl Kemmerichs schloss, führte zu einer De-facto-Tolerierung von Ramelows Regierung.

      Der 5. Februar 2020 wurde zur Zäsur. Dies galt für die strategische Ausrichtung und Selbstwahrnehmung der deutschen Parteien. Und dies galt für ihre personelle Aufstellung. Mit dem angekündigten Rücktritt der CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer begann die lange, zermürbende Suche der größten deutschen Partei nach einer neuen Führung in der Nach-Merkel-Ära. Währenddessen begab sich die Thüringer Union mit dem Abgang ihres Landesund Fraktionsvorsitzenden Mike Mohring auf den schmerzhaften Weg der Selbstfindung.

      Doch wie kam es zum Schock von Erfurt, zum Schock der Demokratie? War die Wahl Kemmerichs ein Komplott von AfD, CDU und FDP, ein „von langer Hand“ geplanter „Pakt mit dem Faschismus“5, wie es einige Linke, Sozialdemokraten und Grüne bis heute behaupten? Oder handelte es sich eher um einen „perfiden Trick“6 der AfD, auf den ahnungslose Christdemokraten und Liberale hereinfielen? So jedenfalls möchte es Thomas Kemmerich gerne betrachtet haben.

      Es war komplizierter. Programme mischten sich mit Prinzipien, Ideale mit Ideologien,

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