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auf. Er warnt vor „Invasoren“ oder spricht vom „afrikanischen Ausbreitungstyp“. Gemeinsam mit seiner Partei surft er auf dem Schaum der Protestwelle gegen die Einwanderung. Die Partei, die nach dem Parteitag in Essen in den Umfragen bei 2 Prozent dümpelte, hat nun zweistellige Prognosen.

      Im März 2016 wird die AfD bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt unter der Führung Poggenburgs mit 23,4 Prozent der Stimmen zweitstärkste Partei. Sie und die Linke kommen gemeinsam auf 41 der 87 Sitze im Magdeburger Parlament. Die bisherige schwarz-rote Koalition hat keine Mehrheit mehr. CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff muss die Grünen hinzubitten, um die erste so genannte Kenia-Koalition zu bilden.

      Höcke, der in Magdeburg mit Poggenburg den Sieg feiert, konzentriert sich auf Ostdeutschland. Er kandidiert nicht für den Bundesvorstand, wie er bei der Veröffentlichung der „Erfurter Resolution“ ankündigte, weil er auf dem Bundesparteitag nicht mit einer sicheren Mehrheit rechnen kann. Und er bewirbt sich auch nach einigem Zögern nicht für den Bundestag. Er will die Partei von hinten führen, aus der östlichen Provinz, mit Hilfe seines wachsenden Netzwerks. Auf den jährlichen Kyffhäuser-Treffen des „Flügel“ demonstriert er seine Macht, derweil selbst im Westen immer mehr Landesverbände nach Rechtsaußen kippen.

      Im Januar 2017 bezeichnet Höcke kurz vor dem Holocaust-Gedenktag die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus als „dämliche Bewältigungskultur“ und fordert eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“49. Rechtsextremisten wie Andreas Kalbitz sind inzwischen seine engsten Verbündeten.

      Parallel lässt Höcke eine Art Personenkult um sich herum organisieren. Der „Flügel“ verkauft Sammeltassen und bedruckte Beutel mit seinem Konterfei, Treffen des Netzwerks werden zu Huldigungsveranstaltungen, die zusätzlich bizarr wirken, da Höcke ständig wiederholt, wie zurückhaltend und bescheiden er sei – und überhaupt ein Mensch, der nicht nach Macht strebe.

      Bundeschefin Petry glaubt ihm das genauso wenig wie alle anderen. Sie nutzt die Rede von Dresden für ein Parteiausschlussverfahren gegen Höcke. In dem Antrag des Bundesvorstandes wird die These Kempers zur Tatsache erhoben: „Der AG [Antragsgegner Höcke] hat unter dem Namen ‚Landolf Ladig‘ in den NPD-Veröffentlichungen ‚Volk in Bewegung‘ und ‚Eichsfeld-Stimme‘ Artikel verfasst.“50 Das Papier attestiert dem Landeschef anhand seiner Rede und Schriften eine „Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus“, zudem bekenne er sich zum Führerprinzip.

      Doch auch Petry verliert den Kampf gegen Höcke und ihre zahlreichen anderen Gegner. Nach der Bundestagswahl im September 2017, bei der die AfD mit 12,6 Prozent erstmals ins Bundesparlament einzieht, verlässt sie die Partei, um – so wie vor ihr Lucke – eine Konkurrenzorganisation aufzubauen. Ihr Nachfolger an der Spitze wird neben Jörg Meuthen der neue Bundestagsfraktionschef Gauland, beide besuchen die „Flügel“-Treffen. Andreas Kalbitz, Höckes wichtigster Verbündeter, übernimmt die Führung der Landespartei und der Fraktion in Brandenburg. Inzwischen wirken große Teile der AfD wie jene „Widerstandsbewegung“ aus der „Erfurter Resolution“. Die ostdeutsche AfD ist nahezu deckungsgleich mit dem „Flügel“.

      Das Bundesamt für Verfassungsschutz wird später urteilen, dass die Identität von „Ladig“ und Höcke „nahezu unbestreitbar“ und „angesichts der plausibilisierten Faktendichte nahezu mit Gewissheit anzunehmen“ sei51. Und: Höcke geht gegen niemanden rechtlich vor, der ihn als „Ladig“ bezeichnet.

      Spätestens jetzt kann niemand behaupten, nicht zu wissen, wofür er steht.

      Mohrings Hoffnung

      Doch je stärker sich die AfD radikalisiert, umso isolierter wirkt die zugehörige Fraktion im Thüringer Landtag. Dabei treten die meisten AfD-Abgeordneten habituell bürgerlich auf. Sie sind Ingenieure, Akademiker, Anwälte, Polizisten; einige, wie der Jenaer Maschinenbau-Professor Michael Kaufmann, traten bereits der Partei bei, als es noch gegen die Euro-Politik ging. Andere, wie René Aust, stießen von der SPD hinzu. Allerdings radikalisierten sich viele in Partei und Fraktion, sei es aus Überzeugung, Gruppendruck oder aus karrieretaktischen Überlegungen. Sie tragen Höckes extreme Rhetorik mindestens mit oder pflegen sie – wie Co-Landeschef Stefan Möller – teilweise selbst. Die meisten haben zudem die „Erfurter Resolution“ unterschrieben, gelten somit als Mitglied des „Flügel“.

      Von Politikern aus der rot-rot-grünen Koalition werden die AfD-Abgeordneten in der Regel nicht einmal gegrüßt. Die CDU grenzt sich rhetorisch ab, allerdings pflegen einzelne Fraktionsmitglieder ein kollegiales Verhältnis mit AfD-Leuten. Schließlich existieren viele Parallelen, biografisch, politisch, beruflich. Beide Fraktionen bestehen vor allem aus Männern.

      Man trifft sich, man telefoniert und man steht zuweilen bei einer Zigarette im Innenhof des Landtagsgebäudes beisammen. Mohrings Vizechef Heym spricht sogar regelmäßig mit Höcke. Die beiden Männer duzen sich, wobei der CDU-Abgeordnete Wert auf die Feststellung legt, dass er dies auch mit Linken tut.

      Heyms Chef aber hält deutliche Distanz. Nach der Demütigung auf dem Parteitag in Köln vermeidet Mohring jeden Anschein einer Nähe zur AfD. Er weiß, dass seine Chance auf das Ministerpräsidentenamt daran hängt. Ansonsten verhält sich Mohring möglichst loyal zu Merkel, er übt nur vorsichtig Kritik an der Flüchtlingspolitik. Im Dezember 2016 wird er in Essen zurück in den Bundesvorstand gewählt. „In Thüringen kämpfen wir seit zwei Jahren gegen Rot-Rot-Grün, und ich glaube nicht ganz unerfolgreich“, sagt er dort. „Die letzten drei Umfragen haben gezeigt, diese Koalition hat keine Mehrheit mehr, zuletzt sind 41 Prozent für Rot-Rot-Grün gemessen worden. Wenn jetzt Landtagswahlen wären, wären die ohne Mehrheit. Ein Stück ist es unsere Arbeit der letzten zwei Jahre.“52

      Tatsächlich schwächelt Rot-Rot-Grün in Thüringen, und dies nicht nur in den Umfragen. Die geplante Kreisreform implodiert in Zeitlupe. Die Modernisierung der Vergaberechts verzögert sich – genauso wie das erste kostenlose Kindergartenjahr, der Verfassungsschutzumbau, die Einstellung der versprochenen Lehrer oder das ÖPNV-Ticket für die Auszubildenden. Die Linksregierung verwaltet das Land, sie reformiert es nicht. Das Gefühl des Neuanfangs verweht.

      Im Sommer bekommt die Koalition ihren ersten Skandal: Dieter Lauinger, der grüne Justizminister, setzte sich persönlich in der Regierung dafür ein, dass sein Sohn eine gesetzlich vorgeschriebene Prüfung nicht ablegen muss. Als die Angelegenheit öffentlich wird, lügt er. Doch obwohl die CDU einen Untersuchungsausschuss erzwingt, der immer neue peinliche Details offenlegt, halten die Grünen an ihrem Minister fest.

      Für die Linke kommt ein grundsätzliches Problem hinzu, das bereits 2014 die demoskopischen Wanderungsanalysen zeigten: Viele Protestwähler sind zur AfD weitergezogen. Höcke stellt zunehmend sozialpolitische Forderungen in das Zentrum seiner Initiativen im Landtag und in der Bundespartei.

      Aber die Linke hat ja noch Ramelow. Der Mann begeht keine größeren Fehler. Stattdessen volkstümelt er sich durchs kleine Land, geht auf jedes Fest, ist ansprechbar für jeden Unternehmer. Seine Popularität steigt. Im Bundesrat hält er das Versprechen, dass er der Bundesspitze gab: Er kümmert sich nicht um die Parteilinie.

      Geradezu demonstrativ unternimmt der Ministerpräsident seine erste Auslandsreise nach Israel, gemeinsam mit Wirtschaftsminister Tiefensee und etwa 40 Unternehmern, Wissenschaftlern und Kulturleuten. Er besucht Tel Aviv, Haifa, Jerusalem, gedenkt in Yad Vashem. In die Palästinensergebiete fährt er nicht. Nach dem Heiligen Land folgt der Heilige Stuhl. Wenige Monate nach der Israel-Reise fliegt der Ministerpräsident nach Rom zur Audienz beim neuen Papst Franziskus. Mit in der Delegation: CDU-Landrat Werner Henning aus dem tiefkatholischen Thüringer Eichsfeld.

      Und wie sich zuweilen die Dinge im Leben fügen: Als Ramelow in seinem Hotel „Residenza Paolo VI.“ am Markusplatz absteigt, sitzt schon jemand auf der Terrasse und trinkt mit Kardinal Walter Kasper einen entspannten Espresso: Dieter Althaus.53 Er ist, so wie Henning, Katholik und Eichsfelder, und weilt in Rom auf Einladung der Adenauer-Stiftung, in deren Vorstand er noch sitzt. „Ich hab’ so ein paar Termine“, sagt Althaus betont locker, am Nachmittag sei er gemeinsam mit dem Landrat mit Altpapst Benedikt XVI.

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