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zeigt, könnte es auf die Beziehungs- und Anerkennungsfähigkeit der Religion heute dringender denn je ankommen. Dabei kann nicht oft genug betont werden, dass die Bereitschaft zur Anerkennung anderer kein fremder Gedanke ist, der an die Religion von außen herangetragen wird. Denn insbesondere die jüdisch-christliche Religion lebt wesentlich aus einem Gottesbild, das von der Beziehung geprägt ist. Sowohl die Schöpfungsvorstellung, in der sich Gott mit der Welt verwebt, als auch die Christusvorstellung, die den Messias und den Menschen in ein inniges Austauschverhältnis setzt, zeugen von dem grundsätzlichen Beziehungscharakter der Religion. Martin Buber konnte sagen: „Im Anfang war die Beziehung.“ Die schon erwähnte Dorothee Sölle hat diesen dichten theologischen Satz Bubers so interpretiert: „Gott ist hier nicht als höchstes Objekt ausgesagt, sondern als die gegenseitige, sinngewisse, handelnd gelebte Beziehung zum Leben. Gott wird nicht gefunden wie ein kostbarer Stein oder die blaue Blume, sondern Gott ereignet sich. Gott geschieht. God happens.“9 Wird Gott dann auf dem Höhepunkt der neutestamentlichen Theologie sogar als Liebe definiert (1. Johannesbrief, Kapitel 4), dann kann er gar nicht mehr anders, denn als die Kraft der Beziehung gedacht zu werden: Gott buchstabiert sich durch die auf Anerkennung und auf Solidarität beruhenden Beziehungen der Menschen zu ihrer Mitwelt.

      Darüber hinaus bietet aber auch die Vorstellung von Gott, der immer ganz anders ist, als es sich der Mensch vorstellt, Ankerpunkte für eine reife Religion. Denn Gott ist in dieser Denkfigur gleichsam der große Platzhalter für das Andere und Fremde an sich, indem er immer einen Platz jenseits des Eigenen besetzt und diesen Ort und dieses Recht des anderen dauerhaft präsent hält. Die Vorstellung von Gott als dem ganz Anderen ermöglicht ein denkerisches Übersteigen des eigenen Bezugsrahmens. Es entsteht dann die Möglichkeit, dass das Andere/Fremde nicht mehr nur das Bedrohende und Auszuschließende darstellt, sondern vielmehr das Ermöglichende – der dunkle Ursprung und das offene Ziel des Eigenen. Eigentlich ist mit dieser Denkweise gar kein Ausschluss anderer, keine Missachtung oder Entwertung Fremder möglich. Denn das käme letztlich einer Verneinung Gottes gleich, der doch als Platzhalter für das Andere des Menschen auf derselben Ebene läge – es wäre eine Verweigerung von Anerkennungsverhältnisses, aus denen heraus man doch selbst lebt.

      Jenseits aller ethischen Gebote der Gastfreundschaft gegenüber Fremden, die die jüdisch-christliche Religion auch bietet, kommt der Glaube hierbei unter theologischen Gesichtspunkten als ein grundsätzliches Beziehungsgeschehen in den Blick, das wesentlich mehr dynamisch als dogmatisch geprägt ist und in seiner gereiften Form als grundsätzlich kompatibel mit den Anerkennungstheorien der Gegenwart gelten kann.

      Die jüdisch-christliche Religionstradition bietet sogar noch mehr Potentiale für die Förderung einer Kultur der Anerkennung, wie im Folgenden aufgezeigt werden wird. Genannt sei an dieser Stelle nur die Vorstellung vom Menschen als Gottes Ebenbild. Bezug nehmend auf die Schöpfungsgeschichte (Genesis 1, Vers 27) lässt sich ableiten, dass allen Menschen eine unverlierbare Würde innewohnt und somit ein Mindestmaß an Respekt gesichert sein sollte – deshalb weil man ein menschliches Antlitz trägt. Diese Vorstellung hat sich tief in die abendländische Tradition eingewurzelt und sich gewissermaßen säkularisiert fortgesetzt in der Konstituierung der Menschenrechte.10

      Jedoch muss auch der Tatsache ins Auge geblickt werden, dass die Religion in unseren Tagen mehrheitlich nicht als reife Religion in Erscheinung tritt. Vielmehr dominiert vielerorts eine unreife Form der Religion, die jene scharfen Anerkennungskämpfe noch befeuert, die in Zeiten der Globalisierung sowieso im Gange sind. Dabei lässt sich womöglich ein problematischer Zusammenhang aufzeigen: dass nämlich Menschen, die selbst in prekären Anerkennungsverhältnissen leben und wenig zur Anerkennung anderer fähig sind, auch kein Gottesbild pflegen, das sich durch Liebe oder Beziehungskraft auszeichnet. Leidet ein Mensch unter verwehrter Anerkennung – sei es nun aus einem frühkindlichen oder einem gesellschaftlichen Mangel heraus –, wird der Kampf um Anerkennung auch in die göttliche Zone hineinverlegt. Gott erscheint dann als Projektionsfläche des eigenen Hasses, als Instrument der Abgrenzung und als Bündnispartner im Kampf um die Zurückdrängung der anderen. Sowohl im islamistischen wie im abendländischen Fundamentalismus kann diese Logik beobachtet werden. Ohne das Phänomen des islamistischen Terrorismus zu sehr vereinfachen zu wollen, legt sich doch die Vermutung nahe, dass viele Selbstmordattentäter auch aus einer Situation verwehrter Anerkennung heraus handeln, in der ihnen wesentliche Zugänge zu angemessener wirtschaftlicher und kultureller Partizipation fehlen – und zu deren Biografie zudem noch eine Art Kollektivdemütigung durch massive kriegerische Handlungen des Westens zählt. Darauf wies bereits der Publizist Carl Amery (1922–2005) hin, als er bemerkte, dass der Islam heute die Droge der ohnmächtigen Gekränkten sei.11

      Aber auch der abendländische Fundamentalismus – sei es nun in seiner christlichen oder in seiner säkular-kulturellen Spielart – lebt von der schroffen Abgrenzung gegenüber einem als feindlich konstruierten Gegenüber, das sich zumeist in der Gestalt des Islam verdichtet. An die Vereinfachung der Weltwahrnehmung schließt sich die Vereinfachung des Gottesbildes an: Gott wird zum Kampfbegriff gegen die anderen gemacht und dient als verlängerter Arm eigener Unterwerfungs- und Auslöschungsphantasien. Die Bedingung für die Anerkennungsfähigkeit anderer ist und bleibt eben die Erfahrung eigenen Anerkanntseins – und die Verarbeitung von Entwertungserfahrungen. Bleibt das aus, wird auch die Religion kaum als Kraft wirksam werden können, die eine Haltung der Anerkennung befördert. Wird dagegen Anerkennung gewährt – idealerweise im familiären wie im gesellschaftlichen Kontext –, kann auch die Religion zu ihrer reifen Form finden und positive Prozesse der wechselseitigen Beziehung zu Fremden begründen.

      Es war insbesondere der Psychoanalytiker Arno Gruen (1923–2015), der scharfsichtig diesen Zusammenhang zwischen verweigerter eigener Anerkennung und späterer Fremdenfeindlichkeit aufwies. Er deutet die Ablehnung des Fremden als die Abwehr des Fremden in sich. Dieses Fremde sei der abgespaltene Schmerz darüber, in seiner kindlichen Bedürftigkeit nach Anerkennung, Liebe und Verstandenwerden von den Eltern zurückgewiesen worden zu sein. Diese Zurückweisung erzeuge im Kleinkind eine so bodenlose Vernichtungsangst, dass ein psychisches Überleben ohne die Abspaltung der Verlassenheitsgefühle und die totale Anpassung an die Eltern nicht möglich scheint. Der Preis dafür ist hoch : Es ist der Verlust des authentischen Fühlens, der Empathie und der eigenen Identität. Folgt man dieser Gruen’schen Psychoanalyse des Fremdenhasses, dann kann ein Kind, das nicht ausreichend von seinen Eltern geliebt wurde, gar nicht eigene Gefühle ausbilden – es muss sie ersetzen durch die Übernahme der Vorgaben der Eltern, durch die totale Identifikation mit ihrer Macht. Gruen schreibt: „Das Eigene des Kindes wird durch das Fremde der Eltern ersetzt. Eine Identität, die sich auf diese Weise entwickelt, orientiert sich nicht an eigenen inneren Prozessen, sondern am Willen einer Autorität und entsprechenden Rollenklischees männlichen Heldentums. Männliche Stärke und nicht Empathie werden so zum Kern einer Identität, die keine eigene ist.“12 Dies geschieht aus dem ohnmächtigen Ringen darum, nicht verlassen zu sein. Weil allein die Anpassung an die Eltern Sicherheit gewährt. In der daraus erwachsenden Scheinidentität des bloßen Angepasstseins an die Eltern wird Fremdes zur Bedrohung schlechthin. Denn im Fremden begegnet man gleichsam der Bodenlosigkeit des eigenen Fremdseins, des eigenen Nicht-Anerkanntseins. In der Ersatzidentität des angepassten und enteigneten Selbst bleibt nur die Abwehr des anderen – um des psychischen Überlebens willen. Es gilt dann gewissermaßen der Satz „Ich bin nichts (ich durfte nichts sein), darum kann ich auch für andere nichts sein (kann die Begegnung mit Andersartigem nicht aushalten), da sie mich an mein eigenes Fremdsein zu bedrohlich erinnern.“ Der Fremdenhass kann in dieser Lesart begriffen werden als eine psychische Überlebensstrategie : „Der Feind, den wir im Anderen zu sehen glauben, muss ursprünglich in unserem eigenen Inneren zu finden sein. Diesen Teil von uns wollen wir zum Schweigen bringen, indem wir den Fremden, der uns daran erinnert, weil er uns ähnelt, vernichten.“13

      Menschen, die in dieser Weise ihre eigene Bedürftigkeit nach Anerkennung abspalten mussten, erleben jede Einfühlung mit anderen als Bedrohung. „Sie verwerfen ihre eigene Sicht, ihre Empathie, ihre Empfindungen. Das Eigene wurde zum Fremden gemacht. So wird unsere Menschlichkeit zum Feind, der unsere Existenz bedroht und der unter allen Umständen bekämpft und vernichtet werden muss“, so Gruen weiter.14 Solche Menschen seien im Grunde beziehungslos, da sie weder die Intimität von Nähe noch

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