Скачать книгу

Gesellschaft der Bundesrepublik entwertet. Anerkennung und Respekt sind ihnen zur Mangelware geworden. „Die Älteren haben schon vieles verloren und ringen jetzt um ihre Würde, verbunden mit der Angst, das mühsam Gerettete und neu Erworbene auch noch zu verlieren“, diagnostiziert der Hallenser Psychotherapeut Hans-Joachim Maaz.3 Insofern ist durchaus eine Situation eingetreten, in der Anerkennungsverhältnisse nicht mehr ohne weiteres gewährleistet sind, sondern vielmehr als fragil, bedroht und umkämpft erlebt werden.

      Dabei erscheint die rechtspopulistische Inszenierung eines Kulturkampfes als ein höchst wirksames Instrument, um die von vielen erlebte prekäre Anerkennungslage in politisches Kapital umzuwandeln. Im letzten Jahr wurde hierzulande die meiste Stimmung erzeugt und wurden die meisten Stimmen gefangen mit der Rede von einer Bedrohung durch den Islam. Die eingeredete Gefahr durch die Burka verfing bei vielen Wählern–gleichgültig ob damit irgendein Realitätsgehalt verbunden war. Auf die von Rechtspopulisten angebotene Deutung der gesellschaftlichen Krise als Kulturkampf ließen sich viele Menschen ein – als sei endlich ein Ventil für den aufgestauten Druck gefunden. Dabei ist allzu offensichtlich, dass es nicht eigentlich um eine reale Bedrohung durch eine andere Kultur oder Religion geht. Der Ausländeranteil in Sachsen, dem Bundesland mit dem größten rechtspopulistischen Wahlerfolg, liegt unter vier Prozent. Doch die plötzliche Gegenüberstellung verfeindeter Kollektive – hier die Deutschen und dort die lauernden Muslime – scheint eine derartige Entlastung und Aufwertung zu bringen, dass sie von vielen übernommen wurde. Den Rechtspopulisten sei es gelungen, schrieb der Berliner Soziologe Sérgio Costa vor Kurzem, Menschen, die sich existenziell und politisch bedeutungslos wahrscheinlich auch deutungslos – fühlen, einen Diskurs anzubieten, der sie in der symbolischen Machthierarchie aufsteigen lasse. Und zwar ohne dass sie dafür Großes leisten müssten. Allein die deutsche Abstammung reiche nun aus, um höher- und bessergestellt zu sein gegenüber einem konstruierten Anderen. Costa vermutet, dass es beim Migrantenhass eigentlich um das Gefühl eigener Ohnmacht und Bedeutungslosigkeit gehe, das mit „nationalen und globalen Herrschaftsstrukturen“ zusammenhänge – die wiederum beide bedrängen: Deutsche und Migranten. Der Kampf der Kulturen wird also von Politikern herbeiphantasiert, um die eigene Macht auszubauen.4 Der Kampf der Kulturen und Religionen ist ein günstiges Deckmäntelchen, um Stimmungen zu beeinflussen und Stimmen zu fangen – wissend um die hohe Symbol- und Identifikationskraft, die Kultur und Religion haben. Jedoch wird weder das christliche Abendland durch einen Moscheebau in Leipzig bedroht, noch ist das Christentum für weite Teile der Bevölkerung wirklich ein echter Identifikationsfaktor. Drei von vier Ostdeutschen gehören keiner Kirche an. Deshalb erschöpft sich die instrumentalisierende Benutzung des kulturellen Codes „Christentum“ auch in der plakativen Kampfesrede von der Bewahrung des „christlichen Abendlandes“ und im öffentlichen Singen von Weihnachtsliedern.

      Insofern gilt es, den Rat Sérgio Costas ernst zu nehmen, sich als demokratische Kräfte nicht in die phantasierten Kulturkämpfe der Rechtspopulisten hineinziehen zu lassen, sondern jeglichen Diskurs über Islambedrohung und Untergang des christlichen Abendlandes auszutrocknen, ins Leere laufen zu lassen. Denn: „Dort, wo es den Rechtspopulisten gelungen ist, ihren Kampf um die Macht als Kampf der Kulturen zu deuten, sind sie nicht mehr zu stoppen.“5 Die eigentlichen Gründe für die Macht- und Bedeutungslosigkeitsgefühle in der Bevölkerung liegen anderswo. Beispielsweise in den sich ständig verschärfenden Ausgrenzungstendenzen eines neoliberalen Wirtschaftssystems, auf die im Kapitel III.8 näher eingegangen wird.

      Strebt man eine Kultur der Anerkennung an, sollte also insbesondere auch die Negativseite der Anerkennung in den Blick genommen werden: die Beschämung oder Entwertung. Denn Scham gilt als ein enorm bedrohliches und unerträgliches Gefühl, das häufig abgewehrt wird durch die Verachtung und Beschämung anderer.6 Der Sozialwissenschaftler Stephan Marks bemerkt, dass viele unserer Beziehungen untergründig mit Beschämungen durchtränkt seien, beispielsweise wenn Arbeitslose als „arbeitsscheue Versager“ entwertet oder Schüler oder Lehrer gedemütigt werden. Das habe eine Beschädigung des Selbstwertgefühls zur Folge, was wiederum die Fähigkeit zur Wertschätzung anderer verringert. Näher liegt dann die Scham-Abwehr über den Weg der Verachtung anderer und ihres Ausschlusses aus der Gemeinschaft – insbesondere derjenigen, die als schwach gelten. „Die Fähigkeit, Anerkennung zu geben (und entgegenzunehmen), wird wesentlich durch Scham und Beschämung blockiert. Daher führt der Weg zur Anerkennung über die Auseinandersetzung mit Scham und Beschämung“, betont Marks.7 Hier wird bereits deutlich, dass es eine Kultur der Anerkennung nicht geben kann ohne die konsequente Vermeidung und Überwindung von Beschämungs- und Entwertungserfahrungen. Und es wird sie nicht geben können ohne die Aufarbeitung der erlittenen Beschämungen.

      In der heutigen Situation kommt der religiösen Frage offenbar wieder eine neue Bedeutung zu. Nachdem in der Folge der Aufklärung die Religion in der westlichen Welt jahrhundertelang marginalisiert war, drängt sie sich heute wieder neu auf. Als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zeichnet sich ab, Wege und Formen einer wechselseitigen Anerkennung der verschiedenen Religionen, Kulturen, Denk- und Lebensweisen zu finden, die einander im gleichen Lebenskontext durchaus spannungsreich begegnen können. Dass die verschiedenen Glaubens- und Lebensformen nicht zur wechselseitigen Verfeindung und Entwertung benutzt werden.

      Doch gerade diese Verfeindung scheint derzeit in vollem Gange zu sein. Leider hat sich gezeigt, dass die wohlmeinenden Imperative, andere anzuerkennen und aufzunehmen, unter nicht unbeträchtlichen Bevölkerungsteilen weitgehend ungehört verhallen. Es dürfte daher an der Zeit sein, noch eine Ebene tiefer in die Analyse der Situation einzusteigen und das Verwobensein von eigener Anerkennung und Anerkennung anderer wahrzunehmen und an diesen beiden Seiten der einen Medaille zu arbeiten. Es dürfte um einen doppelt verwobenen Vorgang gehen: die Auffindung einer eigenen Identität in Abgrenzung von anderen bei gleichzeitigem Erkennen des eigenen Angewiesenseins auf die Anerkennung anderer. Daraus kann die Einsicht in die Notwendigkeit einer wechselseitigen Anerkennung erwachsen. Der hier vorgestellte Diskurs über die Anerkennung bringt aus allen Perspektiven eine Erkenntnis: Identität ist nicht ohne die Anerkennung anderer zu haben. Alles kommt in der gesunden individuellen wie gesellschaftlichen Entwicklung darauf an, eine reife Form der Beziehungs- und Anerkennungsfähigkeit zu entwickeln. Denn : „Alles, was ist, kann nur in der Koexistenz der Beziehung leben und überleben“, schrieb einmal die Philosophin und Theologin Dorothee Sölle (1929–2003). Sie sieht in diesem Zusammenhang übrigens die Stunde einer weltoffenen Mystik gekommen, die gegen die verschiedenen Totalitarismen dieser Zeit eine aus dem tiefen spirituellen Bewusstsein der Zusammengehörigkeit allen Lebens gewachsene Mentalität des Austauschs, der Beziehung, der Liebe, des Gebens und Nehmens in Anschlag bringt. „Ist es möglich, die Illusionen der Autonomie und der Autarkie und die Praxis der Ausgrenzung durch Liebe zu überwinden?“, fragt sie in ihrem Buch „Mystik und Widerstand“ und antwortet selbst: „Dass wir ohne diesen mystischen Traum keine Chance haben, ist evident genug. Ihn schon jetzt zu leben ist die Hoffnung bewusster Minderheiten.“8

      Die Religion, verstanden als eine Art mentales und soziales Anerkennungsverhältnis, könnte heute die Kultivierung der notwendigen „Doppel-Helix“ der Anerkennung unterstützen – bestehend aus eigener Anerkennung und der Anerkennung anderer. Nämlich indem die Religion dem Menschen einerseits hilft, einen eigenen Deutungs- und Beziehungsrahmen zu haben, und andererseits ein Bewusstsein stiftet, dass man nicht allein aus sich selbst heraus lebt, sondern aus einem größeren (göttlichen und sozialen) Anerkennungszusammenhang. Freilich – und das wird die vorliegende Untersuchung zeigen – wird es dazu einer reifen Form der Religion bedürfen, die sich weniger über Absolutheitsansprüche als über Anerkennungsverhältnisse zu definieren vermag. Die Reife der Religion bedeutet ebenso wie die Reife des einzelnen Menschen, dass ein gewisses Maß an Reflexions- und Beziehungsfähigkeit erlangt worden ist.

      Die Reife einer Religion wird sich daran zeigen, in welchem Maß es ihr gelingt, Anerkennung des Eigenen und Anerkennung des anderen positiv zu befördern. Dass sich die Religion also zu relativieren vermag, ohne dabei das Eigene zu verlieren; dass sie anderes auszuhalten vermag, ohne es vernichten zu wollen, sondern es als einen Ort des fruchtbaren Austauschs versteht. Eine Form der unreifen Religion dagegen verharrt in rigiden Absolutsetzungen, scharfen Abgrenzungen und starrem Dogmatismus und erweist sich als reflexions- und beziehungsunfähig. Eine

Скачать книгу