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      Marianne Paschkewitz-Kloß, 1955 in Ulm/Donau geboren und seit 1969 Karlsruherin, ist studierte Sportpädagogin. Mit 25 Jahren wechselte sie den Beruf und absolvierte ein Redaktionsvolontariat bei den BNN in Karlsruhe. Eine Hälfte ihres Berufslebens arbeitete sie als freie Journalistin für unterschiedlichste Tageszeitungen sowie als Reporterin für den ehemaligen SDR, die andere Hälfte als selbstständige PR- und Kommunikationsberaterin. Teil ihrer journalistischen Arbeit ist häufig auch die Fotografie. Privat erkundet sie am liebsten die Natur mit der Kamera. Marianne Paschkewitz-Kloß ist verheiratet und hat eine Tochter.

      Der vorliegende Kriminalroman beruht auf wahren Begebenheiten. Dem Buch liegen langwierige Recherchen der Autorin über die sogenannten „Gentlemen-Räuber“ zu Grunde. Dazu nahm sie u. a. Einblick in Ermittlungsakten bei der Karlsruher Staatsanwaltschaft, sprach mit Kriminalbeamten, Betroffenen und Informanten an den unterschiedlichsten Orten im In- und Ausland. Gleichwohl handelt es sich um eine Fiktion, die zwar mit authentischen Details verwoben ist, jedoch nicht den Anspruch chronologischer Genauigkeit erfüllt. Alle im Werk auftretenden Personen sind frei erfunden oder stellen als Teil einer neuen ästhetischen Realität Typen, nicht Portraits dar. Die Protagonisten wurden verfremdet, Persönlichkeitsrechte gewahrt.

      Marianne Paschkewitz-Kloß

      Die

       Gentlemen

      Räuber

      Kriminalroman

      nach wahren Begebenheiten

      LINDEMANNS

      „Na klar könnten wir den Zug überfallen, aber wenn, ganz bestimmt nicht jetzt, sondern wenn er zurückfährt. Sundance und ich haben uns mal die Banken angesehen. Banken sind schon scheiße, aber immer noch besser

       als Züge. Die muss man nicht anhalten, die stehen da,

       da weiß man, da ist Geld drin.“

      Butch Cassidy

      (im Western „Zwei Banditen · Butch Cassidy and the Sundance Kid“, 1969)

      Südböhmen, 12. Juli 2010

      Auch in dieser Nacht hatte die Vergangenheit nichts an der Zukunft geändert. Sie hatte sich in seinem Traum nur in Erinnerung gerufen. Butch war verstört. Sein Blick verlor sich im Nirgendwo. Nicht einmal den Graureiher, der gerade mit gemächlich schwingendem Flügelschlag vor seinen Augen vorbeizog, nahm er wahr. Für gewöhnlich begrüßte er den gefräßigen Stelzvogel auf seinem morgendlichen Flug zum nahegelegenen Anglersee mit einem süffisanten: „Hey, alter Dieb!“

      Butch stierte apathisch ins Leere, genauer: in ein tiefes, dunkles Loch, das ihn plötzlich aufsog und mit Wucht wieder ausspuckte in eine Wirklichkeit, die ihn erschauern ließ. Nacht für Nacht holte ihn dieser grässliche Albtraum ein, in dem er den Fußballreporter wie in einer Endlosschleife schreien hörte: „Aus! Aus! Der Traum ist aus!“ Der Schlusskommentar des Reporters ging unter in einem Meer ohrenbetäubend trötender Vuvuzelas. Und all dies nach einem letzten verzweifelten Versuch Butchs, das Ruder herumzureißen, indem er Carles Puyol brutal am Trikot packte. Der spanische Abwehrchef war nicht zu halten. Schemenhaft verzerrt sah er den Ball an Puyols schwarzen Gel-Locken abprallen. Butch setzte noch zu einem Hechtsprung an – und klatschte unsanft neben Nationaltorhüter Neuer zwischen den Pfosten auf die Erde. Danach riss ihn ein stechender Schmerz aus dem Schlaf. Seit fünf Nächten nun schon führte er diesen unwirklichen Kampf.

      „Loser, gottverdammte Loser“, fluchte Butch in die morgendliche Stille.

      Er stand am offenen Gaubenfenster. Gleich nach dem Erwachen hatte er sich hierher unters Spitzdach verkrochen und Zuflucht am einzigen Ausguck seines einstöckigen Häuschens gesucht. Dass sich um das alte Gebälk hässlich verrußte Spinnweben zogen und der staubig stumpfe Holzboden mit den Hinterlassenschaften von Mäusen, Katzen und Mardern übersät war, störte ihn nicht. Im Gegenteil, er liebte das unberührt Morbide seines Refugiums, ja war dem Vorbesitzer des Hauses regelrecht dankbar, dass er einst die Gaube hatte einbauen lassen. Als er und seine Frau Dana das freistehende Haus vor über zehn Jahren besichtigt hatten, hatte ihnen der Makler erzählt, der Vorbesitzer – ein sowjetischer Besatzungsoffizier zu Zeiten des Warschauer Pakts – hätte es bis zu seinem Tod als Ferienhaus genutzt. Butch konnte sich an den Hausvermittler so gut erinnern, weil dieser sich benommen hatte, als handelte es sich bei der Besichtigung um ein konspiratives Treffen. Als sie zu dritt auf dem zugigen Speicher gestanden hatten, wurde nur noch im Flüsterton gesprochen und Butch hatte unwillkürlich begonnen, die Dachbalken nach Wanzen abzusuchen. Bedeutungsvoll, als verrate er nun ein Staatsgeheimnis, hatte er ihre Aufmerksamkeit auf die Gaube gelenkt. Der Kommunist habe sie nachträglich einbauen lassen, um hier ungestört seine dicken Zigarren paffen und den Ausblick auf die herrliche Landschaft genießen zu können. Der hohe Holzzaun ums Grundstück habe damals schon jegliche Aussicht versperrt, wusste der Makler zu berichten und hatte noch vielsagend in die kleine Runde gefragt, weshalb er ihn wohl nicht einfach abgerissen habe.

      Butch zupfte sich eine Spinnwebe aus dem Gesicht und blinzelte im morgendlichen Sonnenschein hinüber zu Radeks Hof. In dem schmucken, bauernbarocken Vierseithof jenseits der schmalen Dorfstraße, der durch seine niedrige und geschlossene Bauweise wie eine liliputanische Festung anmutete, rührte sich noch nichts. Bunte Petunienblüten vor den kleinen Fenstern leuchteten mit der blau-weiß abgesetzten Fassade um die Wette. Hinter dem Hof, aus Butchs Perspektive jedoch nicht zu sehen, hielt Radeks Frau Maria Hühner. Und wiederum dahinter eröffnete einem sich der Blick auf das sanft-hügelige Hinterland Südböhmens. Getreidefelder, Wiesen und Wälder bildeten einen grün-gelben Flickenteppich. Beinahe wie in Schweden, zog Butch gern den Vergleich, denn in der näheren Umgebung gab es auch zahlreiche Seen. Er assoziierte Schweden mit Südböhmen nicht zuletzt, weil er sentimentale Jugenderinnerungen daran knüpfte.

      Aus der Garage drang das dumpfe „Plopp“ einer zugezogenen Wagentür. Wenige Sekunden später ertönte das nagelnde Geräusch eines Dieselmotors in überzogener Drehzahlstärke. Viel zu viel Gas, dachte Butch und wartete darauf, dass Dana den Wagen rückwärts aus der seitlich vorgebauten Garage fuhr, denn das Tor stand ohnehin immer – fast immer – sperrangelweit offen. Im Schneckentempo kam der dunkelblaue Skoda auf die Straße gerollt. Ländlicher Sommerstaub haftete auf dem Lack.

      Butch beobachtete Danas unbeholfen nachfassende Lenkbewegungen und schüttelte den Kopf. Wie oft schon hatte er ihr erklärt, sie solle die Leichtigkeit der Servolenkung nutzen. Selbst mit zwei Fingern ließe sich das Steuer in einem Schwung einmal im Kreis drehen. „Du fährst doch keinen Lkw“, zog er sie gern auf.

      Dana rangierte den Wagen auf der schmalen Straße mehrmals vor und zurück, bis sie davonfahren konnte. Butch sah ihr nach, bis der dunkle Pkw dorfeinwärts verschwunden war.

      Auf Radeks Hof herrschte immer noch idyllische Stille. Nervös nagte Butch an der Hornhaut seines Mittelhandknochens. Er zwang sich, klar zu denken, suchte seine innere Balance. An diesem Morgen galt ein strikter Zeitplan. Bis elf Uhr mussten alle Vorbereitungen getroffen, Dana und er startklar sein. Vorher jedoch wollte er unbedingt noch bei Radek vorbeischauen. Sollte er also zuerst den Leguan füttern?

      Butch überlegte und zuckte zusammen. Wildes Hundegebell fuhr ihm wie ein Blitz in die Glieder. Es dauerte eine Schrecksekunde, bis er begriff.

      „Tereza, still! Sitz!“, zischte er übers Dach in den Vorgarten hinunter. Der Hund verstummte schlagartig und trat in sein Blickfeld. Tereza, eine bildschöne, weiß-braungefleckte Akita-Hündin, verharrte am Zaungatter und blickte ergeben zu ihm auf. Die vermeintliche Gefahr, die sie in Alarmbereitschaft versetzt hatte, nahte in Gestalt eines Radfahrers.

      Butch erkannte den Gemeindeboten, der gerade am Dorfplatz, knapp 100 Meter rechts von seinem Haus entfernt, vorbeiradelte. Genauer gesagt an der Stelle, an der sich die Straße teilte, beidseitig um den ovalen Dorfplatz mit drei Kastanienbäumen und einer winzig weißen Kapelle führte und sich dann wieder vereinte.

      Vor Radeks Haus kam der Mann mit quietschender Bremse zum Stehen. Schwungvoll stieg er ab. Ein schlaksiger, älterer Typ, der Butch unweigerlich an den radfahrenden Film-Postboten Jacques Tati erinnerte. Er hielt den Franzosen für den besten Komiker seiner Zeit. Und für einen genialen Kenner ländlichen

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