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      Christo Karastojanow

      Teufelszwirn

      Christo Karastojanow

      Teufelszwirn

      Roman in drei Büchern

      Aus dem Bulgarischen von

      Andreas Tretner

      Herausgegeben von

      Nellie und Roumen Evert

      Die editionBalkan im Dittrich Verlag ist eine Gemeinschaftsproduktion mit CULTURCONmedien

      Die Übersetzung dieses Buches wurde unterstützt von:

      Bibliografische Information der Deutschen

      Nationalbibliothek

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese

      Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

      detaillierte bibliografische Daten sind im Internet

      über >http://dnb.ddb.de< abrufbar.

      ISBN 978-3-937717-59-3

      eISBN 978-3-943941-33-3

      © Dittrich Verlag GmbH, Berlin 2012

      Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

      »Кукувича прeж

а« im Verlag Sachari Stojanow, Sofia, 2001 Lektorat: Dietmar Endler Umschlaggestaltung: Guido Klütsch unter Verwendung eines Bildausschnittes von Matey Mateev, Plowdiw

      www.dittrich-verlag.de / www.culturcon.de

      VORWORT DES ÜBERSETZERS

      Der Teufelszwirn ist eine fadenförmige Schmarotzerpflanze ohne Blätter und Wurzel, die ganze Kleefelder oder Kartoffeläcker aushungert und vertilgt. Sie umwindet ihr »Opfer« und bildet Saugfortsätze, die die Zellwände auflösen, in die Gefäße vordringen und alles Wasser sowie Nährstoffe entziehen.

      Der Autor Christo Karastojanow, der seine drei kleinen »Heimatromane« aus den 1980er Jahren hier zu einem opulenten Panorama zusammenfasst, gebraucht den Teufelszwirn als Metapher für den traumatischen, von Agonie und Selbstzerstörung bedrohten Zustand seines Landes in den frühen 1920er Jahren.

      Da bestand dieser bulgarische Staat noch keine fünfzig Jahre, in denen er, gezeichnet von einem halben Jahrtausend osmanischer Fremdherrschaft, befangen in Träumen vom alten Großbulgarischen Reich, sich immer wieder zum Spielball europäischer Großmächte hergab und die Folgen zu tragen hatte. Insbesondere die zwei Balkankriege 1912/13, bei denen Bulgarien hoch pokerte und verlor, sowie der Erste Weltkrieg, der an der Seite der Mittelmächte ins Verderben führte, wurden zur nationalen Katastrophe, machten den gemäßigten wirtschaftlichen Aufschwung der Jahrhundertwende zunichte.

      Im Herbst 1919 wagte eine Regierung des Bauernbundes unter Alexander Stambolijski den Neubeginn: bäuerlich-genossenschaftlich geprägte Ständegesellschaft im Inneren, pragmatische Friedenspolitik nach außen. Nur dass der Holzhammer, mit dem man die Reformen durchzusetzen versuchte – alle tiefen Wunden der »nationalen Seele« missachtend, potentielle Bündnispartner wie die Kommunisten vor den Kopf stoßend –, nicht dazu angetan war, das Land zu stabilisieren und zur Ruhe kommen zu lassen. Von allen Seiten wurde gezündelt.

      »Schwer und stickig hängt die Luft über uns. Bricht denn nicht endlich das erlösende Gewitter los? Erhebt sich nicht bald der reinigende Sturm? Jeder wartet darauf«, grollte der Dichter Geo Milew.

      Der Staatsstreich, den rechte Politiker und Offiziere am 9. Juni 1923 verübten und dem der König ebenso wie die Kommunisten tatenlos zusahen, brachte weder Reinigung noch Erlösung, nur immer neue Wellen von Terror und Vergeltung. Alexander Stambolijski wurde ermordet, die Führung des Bauernbundes aus dem Verkehr gezogen, ein verspäteter kommunistischer Aufstand blutig niedergeschlagen. Von nun an über Jahre hinweg herrschten bürgerkriegsähnliche Zustände. Pfründepolitik, Korruption, Ranküne und Rangeleien unter den neuen Regierenden lähmten das Land um ein Übriges.

      Widerstand wurde aus dem Untergrund, sprich: aus den balkanischen Wäldern betrieben, gnadenlosheroisch und in alter Hajdukenmanier. Neben den Kommunisten taten sich hier auch Anarchisten hervor, deren Bewegung in Bulgarien eine beachtliche Basis hatte und mit der 1919 gegründeten Föderation der Anarchokommunisten gar eine Struktur.

      Eine ihrer Hochburgen war die Kleinstadt Jambol im Südosten, auf altem thrakischen Boden. Hier war es am 26. März 1923, noch unter Stambolijski, zu einer wüsten Polizeiaktion gegen unter anarchistischer Flagge demonstrierende junge Arbeiter und Schüler gekommen – von der im vorliegenden Roman ausführlich zu lesen ist!

      Denn unverkennbar setzt Christo Karastojanow darin seiner Heimatstadt Jambol ein Denkmal – und singt darüber hinaus ein Hohelied auf die Provinz, wo eben auch unter misslichsten Umständen unbeirrt weiter gelebt und geliebt, gerackert und gefeiert, gekauft und verkauft, parliert und intrigiert wird.

      Zu einer Zeit, in der erst vier Prozent der Beschäftigten Bulgariens in der Industrie arbeiten und die Mehrheit der Bauern ihren Acker noch mit Büffel und Holzpflug bestellt, soll endlich »ein Europa aufgezogen« werden: mit Lesehalle, Offizierskasino, Konditorei Warschau und Kaffeehaus Savoy, im Stadtpark spielt ein Sonntagsorchester, deutsche Zeppeline fliegen von hier über den Äquator (was aber schon wieder Vergangenheit ist, so wie die deutschen Kolonien in Ostafrika), und im Lichtspieltheater läuft Das Wachsfigurenkabinett, Paul Lenis neue expressionistische Horrorkomödie, wo Harun-al-Raschid, Iwan der Schreckliche und Jack the Ripper in den überreizten Fantasien eines mittellosen Dichters lebendig werden.

      Wäre Karastojanow nicht selbst auf einen schönen Titel für sein Buch gekommen, hätten Balzacs Szenen aus dem Provinzleben einen passenden hergegeben: Verlorene Illusionen. Und es sollten nicht die letzten gewesen sein. Auf das Regime der Putschisten und den Terror der Andersdenkenden folgten ein kurzes liberales Interregnum und die Weltwirtschaftskrise, ein neuer Staatsstreich des Militärs, eine Königsdiktatur, die neuerliche Annäherung ans Deutsche Reich, der Zweite Weltkrieg, die aus den Trümmern geborene Vaterländische Front, die Diktatur des Proletariats, sprich: der Kommunisten … Der Leser wird staunen, das erste Buch dieses genüsslich ausufernden Romans bis ins Jahr 1978 vorauspreschen zu sehen – und überhaupt fliegt die Zeit, dass es zum Fürchten ist.

      Für Sophie

      ERSTES BUCH

      PERPETUUM MOBILE

      Denn die Zeit fliegt dahin, und nachts,

       da heult sie, dass es zum Fürchten ist!

      (vom Hörensagen)

      I read the news today

      (John Lennon, A Day In The Life)

      1

       MINISTERBESUCH

      DER GESTRIGE BESUCH DES HERRN MINISTERS IN K. VERDIENTE »VOLLES LOB«, WIE DER HERR MINISTER SELBST ÄUSSERTE. • WERTVOLLE EMPFEHLUNGEN ZUM GEDEIHEN DES LANDKREISES ERTEILT • »IHR BRAUCHT EIN WASSERSYNDIKAT«

       ZWEI PFERDE GESTOHLEN

      DIE POLIZEI IST DEM DIEB AUF DER SPUR

      Normalisierung

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