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Im wilden Balkan. David Urquhart
Читать онлайн.Название Im wilden Balkan
Год выпуска 0
isbn 9783843800709
Автор произведения David Urquhart
Жанр Книги о Путешествиях
Серия Edition Erdmann
Издательство Bookwire
Eigentlich hätte Urquhart mit der politischen Entwicklung jener Jahre zufrieden sein können, denn Palmerston, den man wegen seiner rigiden Politik in England auch Lord Bimsstein oder Lord Brandstifter nannte, schlug seinen Kabinettskollegen immer wieder eine finanzielle und militärische Unterstützung der Türkei vor. Insbesondere die türkisch-russische Annäherung, die in den Vertrag von Hünkar Iskelesi mündete (1833) und die die Passage der Dardanellen und des Bosporus für Kriegsschiffe fremder Nationen erheblich einschränkte, betrachtete er mit großem Misstrauen – etwas, was in jener Zeit übrigens auch schon für Urquhart selbst galt. Dessen Abenteuer mit der Vixen könnte man vor diesem Hintergrund vielleicht auch als einen britischen Versuch bewerten, den Vertrag von Hünkar Iskelesi auf mögliche russische Reaktionen zu testen. Bis zum Ende der 30er-Jahre des 19. Jahrhunderts konnte Palmerston jedoch seine Kabinettskollegen nicht wirklich von der Notwendigkeit solcher Maßnahmen überzeugen.
Erst die großen militärischen Erfolge Mehmed Ali Paschas von Ägypten, der nach dem Tod des Sultans Mahmud II. im Jahr 1839 schon im Folgejahr Syrien quasi im Handstreich einnahm und nach Konstantinopel vorzudringen drohte, führten zu einer gemeinsamen europäischen Reaktion zugunsten des Osmanischen Reichs, bei der nur Frankreich auf Mehmed Alis Seite verblieb. Diese Intervention führte nun dazu, dass Mehmed Syrien wieder räumen musste, auch wenn er Ägypten als erbliches Vizekönigtum, das nur formell unter der Oberherrschaft des Padischahs stand, behalten durfte. Abdülmecid I. (1839–1861), dem Sohn und Nachfolger Mahmuds, gelang es, das von seinem Vater eingeleitete Reformwerk fortzusetzen und das Osmanische Reich mit Hilfe seines Urquhart verhassten Großwesirs Chosrew Pascha vor dem drohenden Untergang zu bewahren. Den politischen Status quo sicherte einstweilen die Londoner Konvention vom 13. Juni 1841. Übrigens hatte Mahmud II. den preußischen Generalstabsoffizier Helmuth von Moltke (1800–1891) in sein Land geholt und diesen mit der Reform seines Heeres betraut. Moltke war es auch, der die stehende Wendung vom Kranken Mann am Bosporus prägte. Die von ihm eingeleiteten Maßnahmen, die etwa zur Einrichtung eines größeren stehenden Heeres, zu einer modernen militärischen Sicherung der Grenzen, aber auch zu einem Wechsel des äußeren Erscheinungsbildes führen sollten – statt der traditionellen Gewänder trug man nun preußisch-blaue Uniformen –, kommentiert Urquhart dabei in seinen Reiseberichten mit Abscheu und fragt sich, wo denn die gute alte Zeit geblieben sei, in der Soldaten noch Helden gewesen wären.
Damit ist eigentlich auch Urquharts weiteres Geschick schon angedeutet, denn er lebte in dem, was war, und nichts lehnte er so sehr ab wie politische und soziale Neuerungen. Was seine weitere Laufbahn betraf, fuhr er sich auf diese Weise selbst auf ein Abstellgleis, und Russland wurde für ihn mehr und mehr zum Prinzip des Bösen, das für jede schlechte Entwicklung in Europa verantwortlich gemacht wurde. Diese Ansichten vertrat er mit einem echt britischen Starrsinn bis zu seinem Tod, und es verwundert kaum, dass man ihn im Großen und Ganzen nicht weiter ernst nahm. Auch politisch verlor er seine Freunde, da er sich sozusagen mit Haut und Haaren zu dem streng konservativen Flügel der Tories bekannte, der britischen Hofpartei – er sagte einmal über sich selbst, er sei ein Tory im reinsten Sinn des Wortes, ein Tory wie zu Zeiten von Anne Stuart –, die sich unter anderem für einen weitgehenden wirtschaftlichen Liberalismus und für eine Beschneidung der Macht der Parlamente einsetzte. Als es Ende der 50er-Jahre des 19. Jahrhunderts zu einer politischen Annäherung zwischen den liberalen Teilen der Tories und den Whigs kam und man im Jahr 1859 die Liberale Partei gründete, lehnte Urquhart all dies entschieden ab.
Zwischenzeitlich sollte er jedoch noch einmal in geheimer Mission auf Reisen gehen, denn es ist gewiss kein Zufall, dass er Spanien (und Marokko) ausgerechnet in jener Zeit besuchte, als der sogenannte erste Carlistenkrieg (1833–1840) zu Ende ging. Nach dem Tod des spanischen Königs Ferdinand VII. war es 1833 zu Thronstreitigkeiten zwischen Maria Cristina von Neapel-Sizilien und dem Prätendenten Karl V. gekommen, die in einen langjährigen Bürgerkrieg münden sollten. Offenbar lag es nun in Palmerstons Interesse, doch etwas mehr über die Lage auf der Iberischen Halbinsel zu erfahren, und ob wirklich mit einer nachhaltigen Befriedung der Region zu rechnen sei. Denn mit Gibraltar, das seit 1830 britische Kronkolonie war, galt es auch englische Interessen in der Region zu wahren. Über diese Reise hat Urquhart einen Bericht hinterlassen, der im Ton und in der allgemeinen Bewertung der Dinge und der menschlichen Natur durchaus mit den orientalischen Reiseberichten übereinstimmt. Welche Nachrichten Urquhart nun an seinen Chef, den Außenminister Palmerston übermittelte, geht aus dem vorliegenden Text natürlich nicht hervor.
In den folgenden zehn Jahren sollte Urquhart jedoch noch einmal eine gewisse politische Karriere machen. Im Jahr 1847 zog er nämlich für die Stadt Stafford in das britische Unterhaus ein und behielt dieses Mandat bis 1852. In dieser Zeit steigerte sich sein Hass auf Russland ins Pathologische, was ihn und seine Anhänger schließlich die politische Glaubwürdigkeit kosten sollte. Insbesondere nach dem Ausbruch des Krim-Krieges (1853–1856) betrieb er eine heftige Opposition gegen die Regierung, der er eine Verharmlosung der russischen Gefahr zu Lasten der britischen Interessen vorwarf. Auch lehnte er als überzeugter Tory die Einmischung Englands in den Krieg ab und wies vehement darauf hin, die Türkei sei stark genug, um sich selbst zu verteidigen und ihre Interessen zu wahren. Alles andere sei eine Beleidigung dieses Landes. Seine nach wie vor bestehenden Verbindungen zu den Tscherkessen nutzte er dahingehend, dass er im Mai 1854 ein allgemeines Schreiben an zahlreiche Stammeshäuptlinge verfasste, in dem er ausdrücklich vor der Hilfe Englands warnte – mit dem Erfolg, dass die entsprechenden Hilfsangebote tatsächlich auch allesamt abgelehnt wurden. Damit hatte Urquhart jedoch den Bogen eindeutig überspannt, und bei der einen Monat später anstehenden Neuwahl zum Unterhaus erhielt er keine einzige Stimme. Um seinen Forderungen einen gewissen Nachdruck zu verleihen, hatte Urquhart eine Reihe von außenpolitischen Komitees gegründet und eine Schar von Aktivisten um sich versammelt, die in England recht bald schon den Namen der Urquhartisten (engl. Urquhartites) erhielt. All diese Gruppen standen der konservativen Partei nahe, auch wenn sie sich zum Teil gegen diese Bezeichnung zur Wehr setzten, da eine zu große Nähe zum Namensgeber sämtliche Bemühungen in Misskredit zu bringen drohte. Dennoch war die Furcht vor Russland auch in den folgenden Jahren kein unbekanntes Thema: Palmerston, der es von 1855–1858 noch als Whig und von 1858–1865 als Liberaler zum britischen Premierminister brachte, wurde von Seiten der Urquhartisten offen als russischer Agent bezeichnet, und Urquhart selbst lieferte 1866 mit seinen Materials for the True Story of Lord Palmerston die scheinbar unwiderlegbaren Belege für diese These. Auch die europäischen 48er-Revolutionen hätte allein Russland initiiert, der amerikanische Bürgerkrieg galt dort als ein Machwerk russischer Geheimagenten und noch Benjamin Disraeli sollte nach Urquharts Tod in England die russophobischen Gefühle schüren.
Urquhart selbst hatte nach seinem Scheitern bei der Wahl zum Unterhaus im Jahr 1854 die alte Idee seines Portfolios wieder aufgegriffen und zur Verbreitung seiner politischen Ideen die Free Press gegründet, die nach 14 Jahrgängen 1866 den Titel Diplomatic Review erhielt. Zu den Autoren und Beziehern der Free Press gehörte übrigens auch Karl Marx, und im Februar 1854 trafen sich die beiden in London – äußerlich vereint in ihrer fundamentalen Kritik an Russland sowie in der strikt ablehnenden Haltung gegenüber Lord Palmerston. Aber während Marx in Russland eher den übelsten Hort einer politisch und gesellschaftlich reaktionären Gesinnung sah, ging es Urquhart nur darum, den russischen Großmachtbestrebungen ein Ende zu setzen, damit der Rest der Welt in Ruhe und Frieden leben könne. Karl Marx erkannte dies recht bald, hatte er doch bereits 1853 in der New Yorker Zeitung Die Reform Urquharts Buch Das Vordringen Russlands im Westen, Norden und Süden kritisiert und dabei auf die fixen Ideen des Autors hingewiesen, der dieselben skurrilen Thesen nunmehr schon seit 20 Jahren propagiere. Und auch das persönliche Treffen führte dazu, dass man sich zwar recht höflich unterhielt und Urquhart ernsthaft glaubte, einen neuen Mitstreiter gefunden zu haben – dass sich Karl Marx nachher jedoch über die krankhaft verteidigten und immer wieder neu untermauerten alten Thesen seines Gegenübers zur Weltpolitik amüsierte. Der Einstieg in das Gespräch unterstreicht dies auf eine sehr plastische Art und Weise: Urquhart begrüßte Karl Marx mit hoher persönlicher Anteilnahme, doch die als großes Lob gemeinte Bemerkung, er schreibe wie ein Türke, fasste Marx eher als Beleidigung auf, und entgegnete seinerseits, er sei Revolutionär