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eine russische Primaballerina hebt sie ihre gefalteten Hände empor, so weit es eben geht. Das Ganze sieht eher wie eine Sporteinlage als eine ehrwürdige Begrüßungszeremonie aus. Die Madame schaut sie verwundert an, dann bricht sie in ein freundliches Lachen aus.

       Was ist da schiefgelaufen?

      Machen die Thais tatsächlich so viel Federlesen um ein einfaches Hallo? Die Antwort lautet ja. Denn Thailand ist anders. Viele Dinge, die uns völlig normal erscheinen, stoßen hier auf Verwunderung und Unverständnis. Dasselbe gilt natürlich auch umgekehrt. Mit am schwierigsten dürfte die Beobachtung zu verarbeiten sein, dass in Thailand zwischen den Menschen himmelweite Unterschiede gemacht werden. Natürlich sind auch in Europa manche gleicher als andere. Überhaupt keine Frage. Der Unterschied: Bei uns werden die Rangunterschiede nicht in einer Alltagshandlung wie der Begrüßung sichtbar. Und es ist bedeutend einfacher, sich aus unteren Verhältnissen zumindest in die gehobene Mittelschicht hochzurobben. Dies ist zwar auch in Thailand nicht unmöglich, aber sehr unwahrscheinlich.

      Die sozialen Mauern sind Resultat des ausgeprägten Hierarchiedenkens der Thais: Thailand ist ungeachtet aller Veränderungen immer noch eine strikte Klassengesellschaft mit haargenau abgegrenzten Gesellschaftsstufen. Jedem Individuum wird ein Rang zugewiesen, dem es duldsam und widerspruchslos zu entsprechen hat. Nur durch massiven materiellen Reichtum ist es einem Thai möglich, sich dem rigorosen kollektiven Unterordnungsdruck zu entziehen. Erklären lässt sich die Akzeptanz dieses Systems durch die tiefgehende Verbreitung des Karma-Konzepts, wonach die aktuelle Stellung das Ergebnis einer ethisch vorbildlichen oder verwerflichen Lebensführung in der vorigen Existenz ist (mehr dazu in Kapitel 14: »Don’t touch the monk!«).

      Äußerst prägnant lassen sich die Rangunterschiede zwischen den Thais bei ihrem traditionellen Gruß, dem wai, ablesen. Beim wai, dessen Ursprung im indischen Namaste-Gruß vermutet wird, werden die Handflächen aneinandergelegt und in Abhängigkeit vom sozialen Status des zu Grüßenden auf eine bestimmte Höhe angehoben. Haben sich bei Ranggleichen die Daumen der gefalteten Hände auf Brusthöhe zu befinden, ist bei höherrangigen oder älteren Personen zusätzlich der Kopf zu senken. Bei besonders hoch stehenden Personen sowie bei den Eltern müssen die Daumen bis auf Mundhöhe gehoben und der Kopf ebenfalls gesenkt werden. Bei Mönchen werden die Hände noch weiter bis an die Nase gehoben und der Kopf besonders demütig gesenkt. Über den Kopf werden die Hände nur bei Mönchen gehoben, denen eine außergewöhnliche spirituelle Qualität zugeschrieben wird.

      Für den farang ist dieser Gruß deshalb problematisch, weil er qua Geburt außerhalb der thailändischen Sozialordnung steht. Insofern war Lisas gut gemeinte interkulturelle Anpassung ein klitzeklein wenig deplatziert, auch wenn dies angesichts von Madame Sopapuns unerschütterlicher Lebensfreude keinen Beinbruch darstellt, sondern eher witzig-charmant aufgenommen wurde.

       Wie geht es entspannter?

      Es ist uneingeschränkt lobenswert, wenn Besucher eines Landes versuchen, sich an die vorherrschenden Gepflogenheiten anzupassen. Denn dies signalisiert Interesse und Wertschätzung. Daher werden die Einheimischen dem Ausländer bei einem erkennbaren Bemühen immer einen üppigen Vorschusskredit gewähren und ihm stilistische Missgriffe nicht sonderlich krumm nehmen. Dies gilt für Thais gleich doppelt und dreifach. Dennoch könnte man über den olympischen Gedanken »Dabei sein ist alles« hinausgehen und versuchen, es auch gleich richtig zu machen.

      Beim wai etwa sollte bedacht werden, dass er weit mehr ist als eine bloße Geste zur Begrüßung oder zur Verabschiedung. Er ist vielmehr ein Gradmesser für soziale Beziehungen in einer abgestuften Gesellschaft. Insofern ist er nicht mit unserem Händedruck vergleichbar, mit dem viele Thais nebenbei bemerkt nicht viel anfangen können. Der Versuch, einem Thai das Händeschütteln nahezubringen, kann schnell ins Fach von Laurel and Hardy führen.

      Ein korrekt ausgeführter wai ist vor allem eine Frage des Respekts, was im Umkehrschluss bedeutet, dass ein unsachgemäßer wai einen entsprechenden Mangel anzeigen kann. Dabei kann die Respektlosigkeit grundsätzlich in beide Richtungen gehen. Man kann also einen »Ranghöheren« unter Wert wie auch einen »Rangniedrigeren« über Wert grüßen. So wäre es unangemessen, einen Taxifahrer oder Kellner auf derselben Ebene zu begrüßen wie den Abt eines buddhistischen Klosters. Das wäre zu viel der Ehre. Zumal sich der Taxifahrer bei einer unangebracht ehrfürchtigen Begrüßung vielleicht verhohnepiepelt vorkommt – frei nach dem Motto: Wenn eure Grafschaft die Güte besitzen würden, meine Koffer ins Auto zu tragen ... Der farang steht hier vor einem vertrackten Doppelproblem. Einerseits kann er nicht recht beurteilen, auf welcher Sprosse der sozialen Hühnerleiter sein Gegenüber sitzt, anderseits stammt er selbst aus einem komplett anderen Stall, sodass ein Vergleich dummerweise nicht möglich ist.

      Die Positionslosigkeit des farang führt auf der Gegenseite zuweilen dazu, dass die Thais nicht wissen, wo sie ihn denn nun eigentlich hinstecken sollen. Also, Geld scheint er ja zu haben, aber sonst? Von der Garderobe machen viele Ausländer nicht so recht etwas her. Und erst die Manieren ... Wie auch immer: Er passt einfach in keine Hierarchie-Schublade.

      Hier gibt es leider keine allgemeingültige Empfehlung. Wer auf Nummer sicher gehen will, kann sich mit einer leichten Verbeugung oder einem anerkennenden Kopfnicken in Kombination mit einem freundlichen Lächeln aus der Affäre ziehen. Das kommt immer gut an. Und es gibt in Thailand schließlich noch genügend andere Felder, auf denen man seine interkulturelle Sensibilität mit Bravour unter Beweis stellen kann.

      4

       BITTE LÄCHELN!

      Ziemlich abgefahren, die Stadt! Zu diesem einhelligen Urteil kommen die drei Thailand-Novizen, wenngleich sich ihre konkrete Wortwahl ein wenig unterscheidet. Während Martin sein Lieblingswort »phänomenal« ins Feld führt, gibt Susanne dem etwas nobleren »grandios« den Vorzug. Lisa lässt es bei einem knackigen »krass« bewenden. Im Grunde meinen sie ein und dasselbe. Der zähflüssige Jetlag-Nebel hat sich endgültig gelichtet, und all das, was zuvor wie hinter einem ungeputzten Schaufenster nur in Schemen zu erkennen war, offenbart nun seine wahre Pracht. Was sie am meisten erstaunt, sind die satten Farben, mit denen hier alles wie angepinselt erscheint, so als hätte ihr bisheriges Leben in einem Schwarz-Weiß-Film stattgefunden. Den ultimativen Farbtupfer bilden dabei die Mönche in ihren safrangelben Roben. Amazing Thailand!

      In ihrem condo, so der Bangkoker Ausdruck für ein Apartment, fühlen sich die Meyers ebenfalls wohl. Es ist hübsch eingerichtet, könnte aber noch ein paar typisch thailändische Details vertragen – Vasen, Masken, mawn-sam-liam-Kissen (dreieckige Kissen aus Baumwolle mit komplexen Mustern). Also macht Susanne sich auf die Socken, um sich und ihre Liebsten mit stimmungsvollen Accessoires einzudecken.

      Mit präzisen Anweisungen von Madame Sopapun im Gepäck steuert sie einen der Verkaufstempel an. Nach ein paar Ehrenrunden ist Susanne im Reich ihrer Einrichtungsträume angelangt. Dort wird sie von einer höchst aufmerksamen Angestellten in Empfang genommen. Wie ein Bodyguard einer akut gefährdeten Berühmtheit folgt sie Susanne auf Schritt und Tritt, was dieser ausgesprochen unangenehm ist. Schließlich will sie erst einmal schauen, sich einen Überblick verschaffen, herumstöbern. Da kann sie es überhaupt nicht gebrauchen, wenn sie hautnah observiert wird. Sie atmet tief ein und wieder aus und beschließt, die Gegenwart ihres Schattens auszublenden, so gut es geht.

      Das erweist sich jedoch als schwierig, denn die Angestellte vollzieht jeden Positionswechsel ihrer Kundin zeitgleich, als wären sie beide ein eingespieltes Team von Synchronschwimmerinnen. Susanne geht in die Offensive und wirft der Frau einen genervten Blick zu. Dies scheint die Verkäuferin allerdings als Aufforderung zu verstehen, noch ein Stück näher an ihre Kundin heranzurücken und diese in ein Gespräch zu verwickeln.

      Einmal ins Plaudern gekommen,

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