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hat und sich anschickt, ein »reifer« Mensch zu werden, der darf sich nun ans Ausräumen und Ausmisten seiner Seele begeben. Bis hierher haben wir uns so lange mit anderen verglichen, dass wir gar keine rechte Ahnung mehr haben, wer wir wirklich sind und welches unsere ureigene Persönlichkeit ist. Dann geht es los, und die Feinfühligen unter uns fangen an, Seminare zu besuchen und sich lange Zeit mit sich selbst zu beschäftigen. Die Coaching- und Therapeutenszene ist erfreut, denn diese permanente Konkurrenz belebt ihr Geschäft. Um wie viel hilfreicher wäre es hingegen, wenn wir von früh an lernen würden, dass wir erst einmal gut so sind, wie wir sind.

      Und dann erst darf weiter gelernt werden, darf Wissen angehäuft werden, darf geübt und erfahren werden, darf Sport getrieben werden und darf das »Sich-Messen« beginnen.

      Die eigenen Erwartungen überwinden

      Machen Sie sich bewusst, dass Sie wie eine Marionette am Gängelband Ihrer Erwartungen hängen. Und belügen Sie sich nicht länger, indem Sie sagen, dies seien die Erwartungen der anderen! Es sind Ihre eigenen Erwartungen an sich selbst, die Sie wiederum von den Älteren / vom Kollektiv übernommen haben. »Du selbst zu sein (und nur du selbst) in einer Welt, die sich Tag und Nacht bemüht, aus Dir einen wie alle anderen zu machen – das ist der schwerste Kampf, den ein Mensch bestehen kann. Und er hört nie auf« (E. E. Cummings).

      Genauso wie wir von den Erfahrungen, den übernommenen Wertvorstellungen sowie den ständigen Vergleichen mit anderen geprägt sind, so sind wir Menschen auch von unseren Erwartungen geprägt: von unseren Erwartungen an uns selbst und unseren Erwartungen darüber, was die anderen wohl von uns erwarten.

      Tun Sie sich den Gefallen und stellen Sie sich die Frage: »Was denke ich, was andere von mir erwarten?« Beobachten Sie sich und stellen Sie fest, wie sehr Sie Ihr Verhalten nach einem bestimmten Maßstab bewerten: Sie sind zufrieden mit sich, wenn Sie bestimmte Erwartungen erfüllen konnten, und Sie hadern mit sich, wenn Sie meinen, das sei Ihnen nicht gelungen. Seien Sie sich dabei immer der Tatsache bewusst, dass diese Erwartungen Ihre Erwartungen darüber sind, was die anderen, die Eltern, die Freunde, die Lehrer, die Professoren, die Arbeitgeber, die Gesellschaft, von Ihnen erwarten könnten. Merken Sie, wie Sie möglicherweise auf einen Teufelskreis zusteuern?

      Als Managementtrainerin spreche ich oft mit meinen Auftraggebern aus der Personalentwicklung darüber, was in einem anstehenden Seminar über Führung oder Kommunikation eigentlich bearbeitet werden müsste, was aber aus Sicht der Personalentwickler leider nicht gehe, da die Teilnehmer dies nicht akzeptieren würden. Ich nicke in solchen Fällen immer bedächtig und sage, ich verstehe. Im Seminar selbst entdecke ich meist, dass diese Erwartungen der Personalentwickler, die eher Befürchtungen sind, nur dann eintreten, wenn auch ich diese Befürchtungen teile. Wenn ich hingegen die Erwartung habe, dass die Teilnehmer offen für die wahrhaft anstehenden Themen sind, dann können wir diese in aller Regel auch ansprechen und bearbeiten. So weit nur eines von vielen Beispielen, wie ich meine Erwartungen, im Positiven wie im Negativen, immer wieder bestätigt finde.

      Daher wage ich die Behauptung, dass auch Sie Ihre Erwartungen über Ihre eigene Persönlichkeit und darüber, wie Sie (nicht) sein dürfen, wie Sie (nicht) sein sollten und was Sie (nicht bzw. niemals) tun würden, immer wieder bestätigt finden. Wie sollte es auch anders sein: Wir messen ja immer nur mit unseren eigenen, bekannten und vermeintlich bewährten Maßstäben.

      Glaubenssätze prüfen

      Beleuchten Sie Ihre Glaubenssätze! Lernen Sie zu unterscheiden, wann Sie einfach nur rebellieren oder gehorchen und wann Sie etwas für sich tun, was Ihnen wirklich guttut! »Undank ist der Welten Lohn!« Dieser Ausspruch ist ein Glaubenssatz. Er konnte nur geboren werden, weil wir guten Glaubens und guten Gewissens permanent versuchen, Erwartungen zu erfüllen. Und wenn wir dies nicht gedankt bekommen (von unseren Partnern, unseren Eltern, unseren Kindern, unseren Verwandten, unseren Freunden, unseren Kollegen, unseren Vorgesetzten …), dann sind wir sauer, und das zu Recht, wie wir meinen.

      Spüren Sie Ihre eigenen Glaubenssätze auf und erkennen Sie, wie fest diese Glaubenssätze Sie im Griff haben. Wenn Sie zum Beispiel der Überzeugung sind, dass Ihnen Lernen schwerfällt, dann wird das so sein. Ihr System und allem voran Ihr Gehirn wird alles daran setzen, dass Sie recht behalten. Als Menschen mögen wir keine kognitive Dissonanz, also keinen Missklang zwischen real Erlebtem und Geglaubtem. Im Zweifel passen wir lieber – zumeist unbewusst – unser reales Verhalten an, als unseren entsprechenden Glaubenssatz zu ändern. Jeder Satz, den Sie – gesprochen oder gedacht – mit »Ich kann nicht …«, »Ich soll …«, »Man muss …« beginnen, entspricht einer Ihrer Überzeugungen, also einer Ihrer »Theorien«, die Sie bei näherem Hinsehen und wissenschaftlichem Erforschen wahrscheinlich falsifizieren müssten. Lieber wäre es uns jedoch zu verifizieren. Dafür beugen wir schon mal die Realität, das nehmen wir unbewusst gerne in Kauf.

      Wenn Sie sich noch etwas schwer darin tun, Ihre Glaubenssätze zu erkennen, dann denken Sie an beliebte Sprüche Ihrer Großeltern, Eltern, Ihrer Lehrer, Ihrer Vorgesetzten oder an die ungeschriebenen Gesetze in Ihrem Freundeskreis, wie zum Beispiel:

      ▪Aller Anfang ist schwer.

      ▪Lernen macht keinen Spaß.

      ▪Männer sind dumm.

      ▪Frauen sind launisch.

      ▪Was nichts kostet, ist auch nichts wert.

      ▪Was man nicht messen kann, kann man auch nicht managen.

      ▪Hochmut kommt vor dem Fall.

      ▪Eigenlob stinkt.

      Welches Sind Ihre »Lieblingsglaubenssätze«? Wann haben Sie Ihnen genützt? Wann waren sie eher hinderlich? Brauchen Sie diese noch? Gönnen Sie sich die Freiheit, jeden Tag aufs Neue zu entscheiden, welchen Glaubenssätzen Sie weiterhin nachhängen wollen und welchen nicht. Und bedenken Sie: Je weniger Sie sich an Glaubenssätze binden, desto freier sind Sie. (Auch wenn dies ebenso ein Glaubenssatz sein mag …)

      Jetzt geht es ans Tun, ans Denken, ans Fühlen, ans Sein

      Nach welcher Maxime sollen wir stattdessen handeln, wenn schon nicht nach den vermeintlichen oder tatsächlichen Erwartungen von uns und anderen? Nach was könnte ich denn dann meine Persönlichkeit ausrichten, wenn nicht nach den zweifelhaften Erfahrungen der Älteren und nicht nach Konventionen und Glaubenssätzen?

      Es gäbe da noch die Möglichkeit, die eigene Persönlichkeit in allen Dimensionen und allen Richtungen zu erforschen und danach zu handeln, was einem wirklich guttut, was sich gut anfühlt, was einem mehr Energie bringt als raubt. Und wohlgemerkt: Damit fordere ich Sie keinesfalls zum reinen Faulenzen auf, denn das bringt meiner Meinung nach auf Dauer auch keine Energie. Wenn Sie zu lange faulenzen, fühlen Sie sich nicht erfrischt und voller Tatendrang, sondern womöglich eher schlaff.

      Hier ein paar Anregungen, unter welchen Aspekten Sie Ihre Persönlichkeit beleuchten können:

      ▪Wann fühle ich mich wie (glücklich, traurig, wütend, ängstlich oder nach einer Mischung aus diesen Grundgefühlen)?

      ▪An welche früheren Momente erinnert mich dieses Gefühl? Zu was will es mich anspornen? Vor was will es mich warnen?

      ▪Was passiert, wenn ich mich diesem Gefühl hingebe? Wie geht es dann weiter?

      ▪Was passiert, wenn ich dies nicht tue? Wie könnte es dann weitergehen?

      Oder anders formuliert:

      ▪Wenn wiederkehrende Situationen wiederkehrende Gefühle erzeugen: Welches sind dann meine Verhaltensmuster? Welches sind meine »Knöpfe«, die mich reflexhaft reagieren lassen, sobald jemand anderes sie drückt?

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