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      „Nein“, fiel ihr Fräulein Esser ins Wort, „wir wollen ja keine Stars heranzüchten, sondern eine geschlossene Aufführung auf die Beine stellen.“

      „Damit ein Stück ein Erfolg wird, braucht’s aber nun mal einen Star“, schmollte Yvonne.

      „Quatsch!“ widersprach Babsi. „Du bildest dir doch wohl nicht ein, daß wir dich brauchen, um den Saal vollzukriegen?“

      „Außerdem … Warum solltest gerade du der Star sein, Puppe?“ stichelte die dicke Ruth. „So schön bist du doch auch wieder nicht!“

      „Weil ich schon auf der Bühne gestanden habe und … und außerdem später mal ganz berühmt sein werde!“

      „Warum zankt ihr euch überhaupt?“ erkundigte sich Michaela.

      „Das wollte ich auch gerade fragen“, stimmte Fräulein Esser ihr zu. „Seid lieber still und hört zu. Ich lege jetzt die erste Platte auf. Ihr werdet sehen, die Handlung ist einfach. Zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen, haben ihren Eltern einen Streich gespielt und laufen aus Angst vor Bestrafung von zu Hause weg. Ein Landstreicher – ,Tramp‘ wird er in dem Stück genannt – verspricht, sie mit in die weite Welt zu nehmen. Er führt sie aber nur in einen Zaubergarten, wo sie allerhand seltsamen und lustigen Figuren begegnen. Aber schließlich werden sie müde und sehnen sich nach Hause. Der Tramp hilft ihnen, den Heimweg zu finden.“

      Fräulein Esser setzte den Tonarm auf die Platte. Mit fünf kräftigen Paukenschlägen setzte die Musik zum „Zaubergarten“ ein.

      Die Mädchen lauschten zuerst mit einiger Zurückhaltung. Aber schon wenige Minuten später wurden alle von den tänzerischen Rhythmen gepackt. Sie wirkten geradezu enttäuscht, als die Zeit zum Abendessen gekommen war.

      „Später machen wir weiter“, vertröstete Fräulein Esser sie, „unten im Eßsaal. Dann können wir auch schon mal versuchen zu tanzen.“

      Die Stiftlerinnen der Gruppen 6 a und 6 b waren aufgeregt und aßen schneller als gewöhnlich, obwohl ihnen das gar nichts nutzte. Sie konnten mit der ersten Probe nicht beginnen, bevor alle fertig gegessen hatten. Im Hintergrund des Eßsaales, der auch als Versammlungsraum benutzt wurde, befand sich – jetzt noch hinter einem Vorhang verborgen – die Bühne, auf der getanzt werden sollte.

      Die Mädchen schwatzten munter durcheinander und konnten es kaum erwarten. Aber Michaela spürte, daß sich ein neuer Ton in ihre Unterhaltung eingeschlichen hatte. Es ging nicht mehr so friedlich und kameradschaftlich zu wie sonst. Die meisten hatten schon eine bestimmte Rolle gefunden, die sie gern übernehmen wollten, und fürchteten, daß eine andere sie ihnen wegschnappen könnte. Michaela war nicht so ehrgeizig. Sie hatte noch nie getanzt und fürchtete, sich zu blamieren.

      Kaum hatte sich der Saal geleert, und noch waren die diensthabenden Stiftlerinnen dabei, die Teller und Schüsseln wegzuräumen, als Babsi schon den Vorhang von der Bühne zurückzog und Fräulein Esser die erste Platte noch einmal auflegte.

      Sie klatschte in die Hände. „Meine Damen, worauf wartet ihr noch? Ihr kennt die Musik ja schon … Versucht, was ihr daraus machen könnt!“

      Yvonne tanzte sofort los, wobei sie sich, um sich interessant zu machen, fürchterlich verrenkte.

      Aber niemand lachte, und die anderen sagten nichts, sondern versuchten selber zaghaft ein paar Schritte.

      Michaela stand noch immer am Rand der Bühne und sah ihnen zu. Ihr fiel auf, daß ein hageres, hoch aufgeschossenes Mädchen namens Susi Schmidt ihre Sache besonders gut machte. Zwar tanzte sie zurückhaltend und wirkte gehemmt, aber sie zeigte ein besonders starkes Gefühl für Rhythmus und geriet nie aus dem Takt, ja, sie wagte jetzt sogar ein paar große Sprünge.

      Susi Schmidt gehörte zu den acht Mädchen der Gruppe 6 a, zu der auch Michaela zählte. Erst in diesem Augenblick wurde es Michaela bewußt, daß sie so gut wie nie mit ihr gesprochen hatte. Sie wußte nur, daß Susi eine besonders gute Schülerin war, sich aber in der Gruppe stets zurückhielt, zwar nie gegen den Strom schwamm, aber, wenn die anderen heftig diskutierten, meist schwieg und lächelte. Noch nie hatte Michaela sie so aus sich herausgehen sehen wie jetzt beim Tanz.

      „He, Mickymaus, brauchst du eine Extraaufforderung?“ rief Babsi ihr zu und reichte ihr die Hand, um sie auf die Bühne hinaufzuziehen.

      Michaela ließ es sich gefallen. „Ich weiß nicht, wie ich’s machen soll“, gestand sie.

      Babsi lachte. „Meinst du etwa, ich? Hüpf einfach ein bißchen herum, es kommt doch jetzt noch gar nicht darauf an … Tu, was dir Spaß macht!“

      Michaela folgte diesem gutgemeinten Rat, und nach den ersten zaghaften Schritten stellte sie zu ihrer eigenen Überraschung fest, daß es für sie ein großes Vergnügen war, sich im Takt der Musik zu bewegen. Sie probierte Wechselschritte, Drehungen und Sprünge und wurde bald so ausgelassen wie alle anderen.

      Fräulein Esser ließ ihnen jede Freiheit; sie gab weder Ratschläge, noch übte sie Kritik. Aber nach einiger Zeit tanzte sie mit, und wer sich noch nicht zurechtgefunden hatte, konnte sie jetzt nachahmen. Die Mädchen tanzten zusammen mit ihrer Erzieherin bis zum großen Finale. Und als die B-Seite der letzten Platte zu Ende war, hätten sie am liebsten noch einmal von vorn angefangen.

      Aber da wurde es schon Zeit zum Schlafengehen. Noch nie war ein Samstag so schnell vergangen.

      Die Funken stieben

      Auch am Sonntag wurde, sobald die Kirchgängerinnen heimkamen, noch eine Stunde bis zum Mittagessen getanzt, und nachmittags ging es weiter. Am Abend waren alle total erschöpft und froh, daß Fräulein Esser, anstatt weiterzuproben, sie zu einer Besprechung in ihr Zimmer einlud. Die Erzieherin bewohnte einen großen, schön eingerichteten Raum mit schrägen Wänden im obersten Stock der Schule. Hier fühlten sich die Stiftlerinnen keineswegs so ungehemmt wie in ihren eigenen vergammelten Zimmern. Hier gab es keine Poster an den Wänden, sondern hübsche – wie die Mädchen fanden – reichlich altmodische Aquarelle. Auf den gepflegten Möbeln konnte man sich nicht herumflegeln, sondern mußte anständig sitzen und die Füße auf dem Boden lassen.

      Gewöhnlich wurden die Mädchen nur zu vieren oder höchstens sechsen in das Zimmer der Erzieherin eingeladen. Es war eine Ausnahme, daß heute alle auf einmal kommen durften. Es fehlten nur Lolo Herterich aus der Gruppe 6 a, die mit Sondergenehmigung auch die kurzen Wochenenden zu Hause verbringen durfte, und zwei Schülerinnen aus der 6 b, die krankgeschrieben waren. Natürlich gab es nicht genügend Sitzgelegenheiten, und deshalb hatten sich einige in weiser Voraussicht Kissen oder Stühle von unten mitgebracht. Irgendwie fand jede Platz, und für jede hatte Fräulein Esser ein Gedeck, Tasse, Untertasse und Teller. Sie schenkte Tee ein, dazu gab es kleine Kuchen aus der beliebten Bäckerei an der Ecke. Der Novemberregen trommelte gegen die Fenster und auf die Schräge des Daches. Das machte das Zusammensein besonders gemütlich, wenn auch alle voll prickelnder Erwartung waren.

      Fräulein Esser wartete, bis sie den Kuchen gegessen hatten, goß frischen Tee auf, schenkte noch einmal aus der riesigen Kanne ein, bevor sie hinter sich langte, einen Ringhefter von ihrem Schreibtisch holte und ihn aufschlug. „Ich habe mir hier schon einige Notizen für das Musical gemacht, meine Damen“, begann sie. „Ihr habt euch, meine ich, auch schon ein bißchen eingetanzt und wißt, um was es geht. Also können wir jetzt versuchen, die Rollen zu verteilen. Da ist zuerst einmal der Tramp. Ich sage nicht, daß es die wichtigste Rolle ist, aber sie ist eine der vielseitigsten, das habt ihr ja selber wohl gemerkt. Wen würdet ihr dafür vorschlagen?“

      Im gleichen Augenblick schnellte Yvonne, als wenn sie nur auf das Stichwort gewartet hätte, von dem mitgebrachten Klappstühlchen in die Höhe. „Mich natürlich!“ schrie sie.

      „Du könntest die Rolle bewältigen“, gab Fräulein Esser zu, „dennoch halte ich dich nicht für die richtige Besetzung. Erstens bist du zu klein, den Tramp kann nur eine Große spielen …“

      „Warum?“ protestierte Yvonne. „Wo steht das? Ein Tramp kann genausogut klein sein!“

      Fräulein

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