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aufschlug und wie ein Stein unterging.

      Ihr wurde schwarz vor Augen, sie verlor die Besinnung.

      Im selben Moment sprangen Leonore und Katrin vom Rand aus ins Becken. Leonore die Füße voran und Katrin mit einem Kopfsprung. Ohne daß Fräulein Freysing es ihnen gesagt oder sie es miteinander abgesprochen hätten, tauchten sie nach Ruth und bekamen sie zu packen, als sie gerade wieder nach oben getrieben wurde.

      Sie hatten noch niemals einen Rettungsschwimmerkursus mitgemacht, aber dennoch verhielten sie sich ganz richtig. Katrin griff Ruth unter den einen und Leonore unter den anderen Arm, und so zogen sie sie zwischen sich zum Rand des Beckens. Ruth hatte ihre Bademütze verloren, ihre Locken hatten sich aufgelöst, und ihr schönes blondes Haar floß dunkel vor Nässe um ihr totenblasses Gesichtchen.

      „Sie ist ertrunken!“ schrie Olga und begann zu schluchzen, denn blitzartig war ihr eingefallen, daß das alles wohl nicht passiert wäre, wenn sie und Silvy die Kleine nicht so geärgert hätten.

      Auch Silvy hatte ein denkbar schlechtes Gewissen. Sie sprang ins Wasser und half mit, Ruth zu Fräulein Freysing hochzuheben, die am Beckenrand kniete und nach ihr griff.

      „Unfug“, sagte die Lehrerin. „So schnell ertrinkt man nicht. Sie hat nur einen Schock bekommen.“ Aber auch sie war blaß unter ihrer bratunen Haut geworden, als sie sich über Ruth beugte, die jetzt langgestreckt auf den Fliesen lag.

      Katrin war heraufgeklettert. „Vielleicht sollte man Wiederbelebungsübungen machen“, schlug sie vor.

      Fräulein Freysing richtete sich auf. „Sag mal, Katrin, hast du der Kleinen eingeredet, daß sie diesen Blödsinn machen sollte?“

      „Ich!?“ Katrin tippte sich verblüfft auf die Brust. „Nein, bestimmt nicht! Sie hat mich nur gefragt, und da habe ich ihr gesagt, daß es ganz leicht wäre! Ich konnte doch nicht ahnen, daß sie es selber versuchen würde!“

      Nein, das konnte Katrin wirklich nicht, das sah auch die Lehrerin ein; weder sie noch eine von Ruths Mitschülerinnen hätten ihr eine solche Tollkühnheit zugetraut.

      „Steht hier nicht herum, sondern verschwindet in die Kabinen und zieht euch an!“ sagte Fräulein Freysing.

      In diesem Augenblick schlug Ruth die Augen auf. „Wo bin ich?“ fragte sie.

      „Ja, weißt du das denn wirklich nicht?“ schrie Katrin. „In der Schwimmhalle … du hast gerade eben einen Kopfsprung mit Anlauf vom Brett versucht!“

      „O je“, sagte Ruth und schloß schaudernd die Augen.

      Alle lachten, so erleichtert waren sie.

      „Wie fühlst du dich?“ fragte Fräulein Freysing. „Hast du Schmerzen?“

      „Nein“, sagte Ruth, „ich bin nur ein bißchen … benommen.“ Ihre Erinnerung war blitzschnell wieder zurückgekehrt, und gerade rechtzeitig fiel ihr ein, daß in der übernächsten Stunde eine Mathematikarbeit geschrieben werden sollte. „Lernen kann ich wohl heute nichts mehr“, erklärte sie mit schwacher Stimme und faßte sich an den Kopf.

      „Das sollst du auch nicht“, sagte Fräulein Freysing sofort, „ich werde dich jetzt in meinem Auto nach Hause bringen. Hoffentlich kannst du aufstehen.“

      „O doch“, sagte Ruth und richtete sich auf.

      Katrin und Fräulein Freysing halfen ihr auf die Beine.

      „Danke“, sagte Ruth, „danke“. Und mit einem schwachen Lächeln fügte sie hinzu: „Es tut mir leid, daß ich euch einen solchen Schrecken eingejagt habe.“

      „Zieh dich rasch an und trockne dir das Haar“, sagte Fräulein Freysing, „ich möchte zur nächsten Stunde wieder zurück sein.“ Sie verschwand in die Richtung auf die Lehrerkabinen.

      Auch die anderen hatten es jetzt eilig, aus ihren nassen Sachen zu kommen.

      „Ich will ja nicht lästern“, sagte Olga und riß sich die Bademütze von ihrem leuchtend roten Haar, „aber wenn es nicht so unwahrscheinlich wäre, könnte ich glauben, du hättest es mit Absicht gemacht, Ruth!“

      Die Kleine lachte. „Nicht ganz! Aber ich gebe zu, es kommt mir sehr gelegen. Viel Spaß bei der Mathe. Und erzählt mir morgen, wie es gegangen ist!“ Sie lief zum Umkleideraum hin davon.

      „So eine unverschämte Wanze“, sagte Olga empört, „jetzt ärgere ich mich direkt, daß ich mir solche Sorgen um sie gemacht habe.“

      Katrin hatte inzwischen nach Ruths Badekappe getaucht und sie aus dem Wasser geholt. „Sei friedlich“, sagte sie, „wir haben allen Grund, uns zu freuen, daß es nochmal so ausgegangen ist.“ Sie schwang sich aus dem Wasser. „Und was die Mathe-Arbeit betrifft, so gehe ich jede Wette mit dir ein, daß sie sie wird nachholen müssen.“

      „Wollen wir’s hoffen“, brummte Olga und folgte Katrin in den Umkleideraum.

      Bangemachen gilt nicht

      Katrin sollte recht behalten.

      Ruth mußte die Mathematikarbeit tatsächlich nachschreiben, noch dazu in der Freistunde am Donnerstag, die alle anderen dazu benutzten, sich im Milchstübchen schräg gegenüber der Parkschule an einem Eis zu erquicken. Es war zwar noch reichlich kalt draußen, aber den Mädchen der 6 a schmeckte das Eis zu jeder Jahreszeit, und außerdem lag schon so etwas wie Frühling in der Luft. Der Himmel war blau, und an den Bäumen des Stadtwaldes konnte man schon ein erstes zaghaftes Grün entdecken.

      So hatte Ruth durch ihr tolldreistes Kunststück also nichts gewonnen, im Gegenteil, sie hatte sich eine Menge Schwierigkeiten eingehandelt. Ihre Eltern, die sehr, sehr besorgt um ihr einziges Töchterchen waren, hatten sich schrecklich aufgeregt und einen ganzen Schwall Vorwürfe und Ermahnungen auf sie niederprasseln lassen, als sie erfuhren, was geschehen war.

      Dann hatte die Mutter ihr das Haar gewaschen, die Strähnen auf unzählige Wickler und Klammern gedreht und Ruth für eine gute Stunde unter die Haube gesetzt, eine Prozedur, die sie zwar in Kauf nahm, weil sie ihrer Schönheit diente, der sie aber beim besten Willen kein Vergnügen abgewinnen konnte.

      Zudem taten ihr Bauch, Brust, Beine und Arme von ihrem gewaltigen Platsch auf das Wasser weh und begannen sich in den nächsten Tagen blau und grün zu verfärben, als wenn sie es nicht zulassen wollten, daß Ruth das unangenehme Ereignis so bald wieder vergaß.

      Ja, Ruth kam sich sehr bemitleidenswert vor und fragte sich selber und ihre Freundinnen immer wieder: „Warum muß bloß immer mir so etwas passieren!?“

      Aber sie konnte von niemand eine befriedigende Antwort darauf erhalten.

      Natürlich bekam auch Frau Dr. Mohrmann, die Klassenlehrerin, von der Geschichte Wind, und sie ließ sich davon zu einem Thema für einen Klassenaufsatz anregen. Sie schrieb in ihrer hübschen, flüssigen Schrift an die Wandtafel: „Wie ich mich einmal sehr gefürchtet habe! “

      Die Mädchen riefen: „Ach!“ und: „Oh!“ und: „Nicht schon wieder!“

      Aber Frau Dr. Mohrmann blieb, wie immer, unerbittlich. „Das ist ein sehr interessantes Thema“, sagte sie, „ich bin sicher, es wird euch eine Menge dazu einfallen.“

      „Mir nicht“, behauptete Silvy und hob ihr spitzes Näschen noch ein paar Zentimeter höher, „ich habe mich nämlich noch nie gefürchtet!“

      „Ich auch nicht!“ – „Ich auch nicht!“ riefen schnell ein paar andere.

      Frau Dr. Mohrmann trat auf die vorderste Tischreihe zu und blickte einer der vorwitzigen Schülerinnen nach der anderen fest in die Augen. „Seid ihr ganz sicher?“

      Silvy wurde ein bißchen rot. „Na, schon möglich, daß ich irgendwann mal Angst gehabt habe“, räumte sie ein, „als ich noch ganz klein war. Aber daran erinnern kann ich mich bestimmt nicht mehr.“

      „Schade“, sagte Frau Dr. Mohrmann, „aber vielleicht kann eine

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