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drein, als ob er sie gebeten hätte, eine Tasse Kaffee herzurichten. Er diktierte weiter und ihr Bleistift flog über das liniierte Papier.

      »Wie von einem befreundeten Dienst in Erfahrung gebracht werden konnte«, begann er seinen Bericht. Dann kam die ganze Geschichte von Wilhelm Weiss, so wie es Mr. Copper haben wollte. Daß dieser Wilhelm Weiss derzeit unter dem Namen William Vreugdenhil in Johannesburg, Südafrika, lebte, daß er vor vier Jahren das Archiv des Ministerialrates Rossmanek an die Amerikaner verkauft hatte und daß in diesen alten Aufzeichnungen alle Details über die Beziehungen sowjetischer Besatzungsoffiziere zu ihren amerikanischen Kollegen enthalten waren.

      »Nur einen Durchschlag, Gretl«, sagte Dr. Hammerlang, als er mit dem Bericht fertig war. Die Frau Fachoberinspektor nickte.

      »Verdammt heiß ist es heute«, sagte sie, als sie das Büro wieder verließ.

      Man nannte sie »die Dicke im Vorzimmer«. Margarete Scherbler wußte das, aber es störte sie schon lange nicht mehr.

      Sie hatte es aufgegeben, weniger zu essen und keinen Alkohol zu trinken. Sie hatte die morgendlichen Turnübungen aufgegeben und diesen lächerlichen Gymnastikkurs zweimal die Woche. Als zu Beginn der 80er Jahre das »Jogging« modern wurde, hatte sie sich einen Trainingsanzug gekauft und war nach den Anleitungen einer Tageszeitung ein paar Wochen lang täglich eine halbe Stunde durch die Gegend gelaufen. Das machte keine Umstände, denn sie wohnte im 21. Wiener Gemeindebezirk in einer Stadtrandsiedlung, und dort gab es Wege genug, wo man ungestört laufen konnte. Sie hatte auch das Joggen wieder aufgegeben.

      Sie war jetzt dreiundvierzig. Ein hübsches, molliges Mädchen war sie einmal gewesen, das gerne lachte und mit dem typischen Charme einer Wienerin gesegnet war. Mit zunehmenden Jahren und zunehmendem Körpergewicht aber schwanden auch Heiterkeit und Frohsinn. Die Frau Fachoberinspektor erster Klasse Margarete Scherbler, Sekretärin und Vorzimmerdame des Leiters der Wiener Staatspolizei, Oberpolizeirat Hammerlang, galt in Kollegenkreisen schon lange als bösartige Intrigantin, die über jeden im Hause was zu tratschen wußte, nur nichts Gutes. Gesellige Zusammenkünfte mit Kollegen gab es deshalb seit langem nicht mehr. Auch hatte sie aufgehört, sich schicke Kleidung zu kaufen und zur Kosmetikerin zu gehen. Alles das hatte Margarete Scherbler im Laufe der Jahre aufgegeben. Ganz zuletzt sich selbst.

      Der »Führungsoffizier« der KGB-Agentin mit dem Decknamen »Taiga«, war Leutnant Leonid Kucharsky. Der Leutnant bewohnte im 2. Wiener Gemeindebezirk eine Garconniere und am Türschild stand der Name Leopold Kucera. Offiziell war er bei einer Mineralölfirma »Lobatex« als Chemiker angestellt.

      Von all diesen Dingen aber wußte Margarete Scherbler nichts. Weder, daß sie in den Geheimakten der Sowjetischen Botschaft als »Taiga« geführt wurde, noch, daß der kleine dicke Leopold ein Leutnant und Führungsoffizier war. Diese Dinge hätten sie auch nicht interessiert. Tatsache war, daß Leopold Kucera ein weit weniger aufregender Liebhaber war als sein Vorgänger Miroslaw Slobodim. Manchmal hatte Margarete Scherbler den Eindruck, daß ihre Liebesstunden mit Leo ein Teil ihrer Entlohnung waren und daß sich der kleine Dicke im Bett zwar ordentlich abmühte, für ihn die ganze Sache aber so eine Art Dienst am Vaterland war. Am Anfang war sie versucht, mit ihm darüber zu reden und ihm zu sagen, er möge sich seine patriotischen Turnübungen an den Hut stecken, wenn es ihm keinen Spaß machte. Dann aber unterließ sie es. Ihr Leben war ohnehin langweilig genug; und besser ab und zu ein nächtlicher Besuch vom Dicken, als allein in der Wohnung nur mit einer Weinflasche herumzusitzen. Auch störte es sie, daß ihr Leo fast nichts trinken wollte und sie ständig ermahnte, sie möge das Saufen einschränken. Aber auch daran hatte sie sich schon gewöhnt.

      Gleich geblieben war seit den aufregenden Zeiten mit Miroslaw Slobodim nur die Art der Verbindung, dieser blödsinnige und überflüssige Geheimdienst-Schnick-Schnack.

      In einer bestimmten Telefonzelle mußte Margarete Scherbler im Telefonbuch auf einer bestimmten Seite ein Kreuz mit Kugelschreiber machen. Sie wußte dann, daß am nächsten Tag um Punkt 22 Uhr bei ihr das Telefon läutete und ihr Leo mit einer Klappe 17 verbunden werden wollte. Sie hatte »Sie haben falsch gewählt« zu sagen. Zehn Minuten später klingelte es an ihrer Wohnungstür, und der Dicke stand draußen. Mit diesem angespannten Gesichtsausdruck, als ob eine Verschwörung im Gange sei.

      Es war wirklich unangenehm heiß gewesen an diesem Tag und die Frau Fachoberinspektor schleppte sich nach Dienstschluß träge dem Ausgang zu, erwiderte faul die Grüße ihrer Bürokollegen. Sie ging die Ringstraße hinunter Richtung Votivkirche wie nach jedem Arbeitstag. Bei der Telefonzelle zögerte sie eine Sekunde, ging dann aber weiter. Sie hatte die Regel und so leicht wollte sie es ihrem Leo nicht machen. Sie würde in zwei Tagen das Telefonbuch ankreuzen. Der Dicke würde das Datum auf dem Blaupapier lesen und nach dem Grund der Verzögerung fragen. Eine Ausrede würde ihr noch einfallen.

      Als bei ihr drei Tage später gegen 22 Uhr zuerst das Telefon und dann die Türklingel läutete und Leopold Kucera scheu um sich blickend eintrat, erzählte sie ihm, wie sie in den letzten beiden Tagen auf dem Heimweg ständig von Kollegen begleitet worden war und sie deswegen das verabredete Zeichen nicht früher geben konnte.

      Der Dicke war zufrieden und drehte wie immer eine Nachttischlampe an, zog einen Taschenspiegel heraus und begann das Blaupapier zu lesen. Margarete Scherbler briet indessen in der Küche zwei gewaltige Scheiben Leberkäse in der Pfanne, denn Appetit hatte der Dicke immer. Sie war noch nicht fertig, und es bruzzelte noch ordentlich am Herd, als der Kucera in die Küche kam, bleich im Gesicht und mit allen Anzeichen von Nervosität. Er müsse die Blaupause sofort weiterleiten, erklärte er hastig, er könne sich keine Viertelstunde mehr länger aufhalten, keine weitere Verzögerung verantworten. Sie müsse das verstehen. Er war so schnell bei der Tür draußen, daß die Frau Fachoberinspektor nicht einmal Zeit gefunden hatte zu protestieren. Margarete Scherbler öffnete eine Weinflasche, trank ein Glas in einem Zuge leer. Dann sah sie eine Weile auf den gebratenen Leberkäse und verfluchte den gesamten sowjetischen Geheimdienst und die Stunde, in der sie sich vor zehn Jahren mit diesem angeblichen Studenten Miroslaw Slobodim eingelassen hatte.

      Den ganzen Tag hatte Teddy Cooper in seinem Büro in der US-Botschaft in Wien vertrödelt und auf den Anruf des Hofrates Dr. Hammerlang gewartet. Das Telefonat kam am späten Nachmittag.

      »Die Sache geht in Ordnung«, hatte Dr. Hammerlang nur unwillig gegrunzt und dann aufgelegt. Ted Cooper wußte, daß der Hofrat keine Freude an der ganzen Geschichte hatte. Aber es war für ihn der sicherste Weg, dem KGB diese Information zuzuspielen, von der er sich so viel erwartete. Er mußte sich irgendeinen Anlaß ausdenken und dem Hofrat wieder einmal eine Kiste Cognac schicken. Kleine Geschenke erhalten schließlich die Freundschaft.

      Cooper zündete sich eine Zigarre an und überlegte, ob er an diese dicke Scherbler jetzt seine Observationsgruppe ansetzen sollte. Ob er sie die nächsten Tage rund um die Uhr beobachten lassen sollte, um ganz sicher zu sein, daß sie das Durchschlagpapier des Hammerlang-Diktates ihrem Kontaktmann übergab. Schließlich entschloß er sich, es nicht zu tun. Bei einer Observation kann immer eine Panne passieren, und die Sache war ihm zu wichtig. Er wollte nichts riskieren.

      Er rechnete, wie lange es wohl dauern könnte, bis im Hauptquartier des KGB in Moskau die Alarmglocken schrillen würden. Zwei bis drei Tage könnte die Scherbler das Karbonpapier in ihrer Handtasche herumschleppen, das war bei ihr so üblich. Wenn sie dann ihren Treff gehabt und das Zeug übergeben hatte, dauerte es sicherlich keine 24 Stunden mehr. Die Erwähnung des Namens Sergej Andropow in dem Hammerlang-Bericht und die angedeutete Beziehung des ehemaligen Obersten Andropow zum CIA während der Besatzungszeit in Wien mußte im Kreml wie eine Bombe einschlagen. Denn Sergej Andropow war erster Anwärter auf den Posten des Innenministers und somit des Chefs des KGB. Das wußte man in Washington. Jeder andere Kandidat wäre dem Pentagon lieber gewesen, und es war die Aufgabe Ted Coopers, die Karriere des Andropow nach Möglichkeit zu verhindern.

      Ted Cooper war ein ausgezeichneter Schachspieler und betrachtete seinen Beruf als eine Art Realisierung dieses königlichen Spieles. In dieser Partie hieß sein Bauernopfer Wilhelm Weiss alias William Vreugdenhil und lebte in Johannesburg. Für den KGB war dieser Mann der einzige noch lebende Mensch, der Aufschluß über die tatsächliche Rolle des Andropow im Wien der fünfziger Jahre geben konnte. Für Cooper stand fest, daß man

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