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musste, dass das Runterfallen einfach ein Teil des Lernens war. Aber sie hatte sich auch nie ernsthaft wehgetan. Das Schlimmste, was sie erlebt hatte, war, als Jack so hoch über den Steilsprung gesprungen war, dass sie auf seinen Hals flog und die Reitkappe so auf die Nase gedrückt hatte, dass sie davon eine Beule bekam.

      Hinterher sah ihre kleine, runde Nase witzig aus mit der großen, blauen Beule in der Mitte. Damit hatte ihre Nase dieselbe Farbe wie ihre Augen. Aber Emily war das egal. Ihr war ihr Aussehen nicht wichtig, solange sie nur gut reiten konnte. Auch Klamotten waren ihr egal. In der Schule trug sie immer Jeans und T-Shirt.

      „Es bringt ja nichts, wenn ich dich bitte ein Kleid anzuziehen“, sagte Grethe immer. „Dafür hast du ja keine Zeit.“ Die hatte Emily wirklich nicht. Sie kümmerte sich morgens vor der Schule um die Pferde und es waren wiederum die Pferde, sobald sie nachmittags von der Schule kam.

      Grethe und Emily bekamen keine Antwort auf ihre Frage, wann Olaf endlich zu Bewusstsein kommen würde. Nachdem er geröntgt worden war und die Ärzte festgestellt hatten, dass keine Schädelverletzung vorlag, wurde er stationär im Krankenhaus aufgenommen.

      „Wir müssen ihn zur Beobachtung hier behalten“, sagten die Ärzte. Den ganzen Nachmittag über saßen Emily und ihre Mutter leise neben Olafs Krankenbett. Grethe hatte zuhause angerufen und Michael informiert, der natürlich schockiert war, aber auch froh, dass nicht noch mehr passiert war.

      Golden hatte er immer noch nicht gefunden.

      ‚Es ist bald fünf Uhr. Was wohl mit dem Pferd passiert ist?‘ Emily wurde ein bisschen blass. Golden war Olafs ganzer Stolz. Der erst 3-jährige Hengst war im letzten Herbst zur Körung vorgestellt worden und hatte die besten Noten erhalten. Jetzt war er im Hengstbuch I eingetragen worden und hatte somit eine vorläufige Deckerlaubnis. Aber um endgültig in das Hengstbuch eingetragen zu werden, musste er die 70-Tage Hengstleistungsprüfung bestehen. Olaf war seit dem Winter dabei ihn einzureiten. Ganz behutsam; die Hengstleistungsprüfung würde erst im Herbst stattfinden.

      Olaf dachte, mit Golden hätte er einen Sechser im Lotto gefunden.

      ‚Das ist einer der besten Hengste, die ich seit langem gesehen habe‘, sagte er immer. ‚Und bestimmt gut genug für eine Hauptprämierung.‘ Er hoffte es zumindest sehr. Wenn es gelang, einen Spitzenhengst zu bekommen, der auch später im Sport gut war, dann würde es sich lohnen. So viel Glück könnten sie jetzt gut gebrauchen. Grethe und er hatten viel Geld in den Borghof investiert. Sie hatten Ponys und Pferde für die Reitschule gekauft, neue Ställe gebaut und Weiden angelegt. Und es war Olafs großer Traum eine Hengststation auf dem Borghof zu eröffnen. Wenn er mit seinem eigenen Hengst anfangen würde, könnte er viel Geld sparen. Aber das würde nur mit einem Spitzenhengst gehen. Und Golden war ein Spitzenhengst!

      Olaf machte ein Geräusch. Emily und Grethe waren sofort an seinem Bett. Emilys Vater blinzelte mit den Augen und stöhnte schwach.

      „Oh, habe ich Kopfschmerzen“, jammerte er und hielt sich die Augen zu.

      Grethe strahlte dafür über das ganze Gesicht. Gott sei Dank, er gab ein Lebenszeichen von sich. Sie strich ihm die Haare aus der Stirn.

      „Oh, es ist so toll, dass du aufwachst. Wir haben uns solche Sorgen um dich gemacht.“ Sie sah Olaf liebevoll an, während sie Emily ganz fest an sich drückte.

      „Warum denn das?“, fragte Olaf verwundert.

      „Warum?!“, wiederholte Grethe. „Du bist doch vom Pferd gefallen und liegst jetzt im Krankenhaus!“

      Olaf versuchte sich zu orientieren. Er konnte sich an nichts erinnern. Der Arzt kam ins Zimmer, um nach ihm zu sehen. Er leuchtete ihm in die Augen und drückte vorsichtig an seinem Kopf herum. Bei sich hatte er die Röntgenbilder von Olafs Kopf.

      „Olaf, dich hat es schwer erwischt, sodass wir dich eine Zeit lang hier behalten müssen. Der Schädel ist zwar nicht verletzt – aber trotzdem. Du hast eine ernsthafte Gehirnerschütterung, das heißt absolute Ruhe. Ich glaube ehrlich gesagt auch nicht, dass du dich viel bewegen möchtest“, sagte er mit einem ironischen Lächeln.

      Dass der Vater für längere Zeit ausfallen würde, dem schenkten weder Emily noch Grethe jetzt einen Gedanken.

      Kapitel 2

      Emily und ihre Mutter nahmen ein Taxi nach Hause. Dort wartete viel Arbeit auf die beiden. Und was war eigentlich mit Golden passiert?

      „Wenn Golden nicht nach Hause gekommen ist, muss ich los und ihn finden“, sagte Emily. Wie sich herausstellte, war er immer noch nicht da. Das Taxi war kaum weg, bevor Emily auf ihrem Fahrrad saß und Richtung Wald fuhr. Grethe erklärte Michael die Situation und bat ihn um zusätzliche Hilfe, solange Olaf im Krankenhaus war.

      Es war mittlerweile halb sieben abends. Emily konnte die Spuren des galoppierenden Pferdes auf dem Feldweg und auf dem Waldweg verfolgen. Zwischendurch schwang die Spur in mehrere Richtungen und es waren abgerissen Zweige am Waldrand zu sehen, da wo das Pferd versucht hatte durch das Dickicht zu dringen, dann aber aufgegeben hatte und weitergelaufen war.

      Emily rief die ganze Zeit Goldens Namen. Zum Glück war es Juni und damit lange hell, aber im Wald war es trotzdem schwierig, sich zu orientieren. Ein Stück weiter vorne war eine Öffnung im Dickicht und es war deutlich zu erkennen, dass Golden hier den Waldweg verlassen hatte und in den Wald gelaufen war. Emily warf das Fahrrad unsanft an den Rand des Waldweges und ging in den Wald hinein, wobei sie sich wunderte, dass es absolut kein Geräusch gab, das darauf hindeutete, dass Golden hier irgendwo war. Sie musste ihn einfach finden, bevor es ganz dunkel wurde. Der Wald war nicht groß. Insgesamt fünf Hektar waren es nur, die den Borghof vom großen Gutshof Mühlenbach, zu dem der Wald gehörte, trennte.

      Dann stockte Emily auf einmal der Atem. Was war das? Im aufgewühlten Waldboden lag ein abgerissenes Stück vom Steigbügelriemen und den Steigbügeln. Das war auf jeden Fall von Goldens Sattel, das wusste Emily sicher. Sie rief wieder. Ganz laut und bittend und mit hoher Stimme.

      „Komm jetzt, Golden!“

      In der Abendstille des Waldes hörte sich ihre Stimme verzweifelt an. Vor sich sah sie die Lichtung, die zu einem anderen Waldweg führte und von da aus direkt zur Bundesstraße.

      Emily kannte diesen Wald in- und auswendig. Sie hatte hier gespielt und geritten, seit sie mit sechs Jahren ihr erstes Pony bekommen hatte. Sie folgte den Spuren auf dem Waldweg, aber dann hörten sie plötzlich auf und vor sich sah sie ein Durcheinander an Hufspuren, und, wie sie meinte erkennen zu können, Fußspuren und Reifenspuren. Und gleich sehr viele davon. ‚Na, das ist ja eigentlich nicht verwunderlich‘, dachte Emily, ‚hier haben die Waldarbeiter ja ihre Bauwagen und Werkzeuge stehen.‘

      Sie lief zu den Bauwagen, in der Hoffnung, dass noch jemand da war. Aber die Bauarbeiter waren so spät am Abend natürlich schon längst weg. ‚Anderseits‘, dachte Emily, ‚wenn sie Golden gesehen hätten, hätten sie ihn bestimmt nach Hause gebracht. Sie müssten ja wissen, dass es unser Pferd ist. Hier sind nur die Pferde von uns und von Mühlenbach. Die Pferde von Mühlenbach kennen die.’ Sie rief wieder. Nichts passierte. Absolute Stille und mittlerweile war es auch halbdunkel.

      ‚Merkwürdig‘, dachte Emily, denn sie wusste, dass Golden wiehern oder zu ihr kommen würde, sobald er ihre Stimme hörte. Sie ging zurück zu ihrem Fahrrad und weinte leise auf dem Weg nach Hause.

      Golden war auch in der Zwischenzeit nicht nach Hause gekommen. Sie zeigte ihrer Mutter die Steigbügel und den Riemen, aber da es jetzt schon sehr spät war, einigten sich ihre Mutter und Michael darauf, die Suche für heute einzustellen. Dafür würden alle morgen ganz früh aufstehen und weitersuchen. Dass Golden aber vielleicht gar nicht mehr im Wald war, der Gedanke kam keinem von ihnen… Wo sollte er denn sonst sein?

      Emily fühlte sich plötzlich sehr müde nach den Ereignissen des Tages. Alles war so schnell gegangen. Sie legte sich erschöpft auf die Couch, während Grethe noch Tee und Butterbrote brachte. Emily konnte kaum noch die Augen offen halten und Hunger hatte sie auch keinen.

      „Aber du musst was essen“, sagte ihre Mutter, „ansonsten hast du keine Kraft für morgen. Ich habe im Krankenhaus angerufen.

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