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sondern als ein wirkliches Leben in einer wirklichen Schöpfung.

      Zweitens wird Kosmos als Synonym für die Menschheit verwendet. Bei dieser Begriffsverwendung ist die Menschheit als Ganzes, ihr Lebensraum und die Beziehungen der Menschen untereinander im Blickfeld. Paulus dankt Gott für die Christen in Rom, „weil euer Glaube in der ganzen Welt verkündet wird“ (Röm 1,8; vgl. Kol 1,6). Paulus kann sagen, dass „die ganze Welt vor Gott schuldig“ sei (Röm 3,19). Dieselbe Tatsache ist im Blick, wenn Johannes sagt, die Welt habe Christus nicht erkannt (Joh 1,10; vgl. 17,23). Joh 1,10 vereinigt die hauptsächlichen Bedeutungsnuancen in einem Satz: „Er (Christus) war in der Welt (lebte unter den Menschen) und die Welt (Schöpfung) ist durch ihn geworden, aber die Welt (von Gott entfremdete Menschheit) erkannte ihn nicht.“

      Drittens bezeichnet Kosmos die in Widerspruch zu Gott geratene und von ihm entfremdete Menschheit. „Gleicht euch nicht dieser Welt an“, mahnt Paulus, „sondern wandelt euch und erneuert euer Denken“ (Röm 12,2). Gott hat durch das Evangelium die Weisheit der Welt als Torheit entlarvt (1Kor 1,20). Die sich im Widerspruch zu Gott befindende Menschheit erkennt Gottes Wahrheit nicht, welche sich darin zeigt, dass Gott das Schwache, Niedrige und Törichte erwählt (1Kor 1,26–27). Die Weisheit der Welt ist insofern Torheit als die Menschen in ihrer Weisheit Gott nicht erkannten (1Kor 1,21). Nicht alle menschlichen Errungenschaften (z. B. kultureller oder intellektueller Art) dürfen als Torheit abgelehnt werden. Manche Dinge gehören zum Gutsein der Schöpfung, denn durch die Sünde ist das Gute der Schöpfung nicht ausradiert, nur befallen.

      Verstärkt tritt diese Bedeutungsnuance in den Schriften des Johannes hervor. In ihnen finden sich die Grundzüge der paulinischen Rede von der Torheit des Kosmos in gesteigerter Radikalität (Balz 1992, 771). Die Welt ist durch Christus geschaffen, aber die Welt erkannte ihn nicht (Joh 1,9f). Die von Gott entfremdete Welt hasst Christus und die Kirche (Joh 15,18f). Weil die Welt gegen Christus ist und weil ihre Weisheit sich im Widerspruch zur Weisheit Gottes befindet, kann Johannes kategorisch sagen: „Liebt nicht die Welt und was in der Welt ist! Wer die Welt liebt, hat die Liebe zum Vater nicht“ (1Joh 2,15). Hier ist nicht von der Welt als Schöpfung die Rede. Auch nicht davon, dass Christusnachfolger die Menschen oder das Leben in seiner ganzen Vielfalt nicht lieben sollten. Ebenso wenig, dass kulturelle oder intellektuelle Leistungen irrelevant wären. Gott selbst liebt ja die Welt mit leidenschaftlicher Liebe. Johannes qualifiziert seine Aussage: „Denn alles, was in der Welt ist, die Begierde des Fleisches, die Begierde der Augen und das Prahlen mit dem Besitz, ist nicht vom Vater, sondern von der Welt“ (1Joh 2,16). Die moralischen Entgleisungen und die Habsucht der Welt sollen wir nicht lieben. Die Welt als Schöpfung aber bleibt Gottes geliebte Erde, die Menschen sind Gottes geliebte Geschöpfe, und so wie Gott sollen auch wir lieben.

      Das Neue Testament ist an Eindeutigkeit nicht zu übertreffen, in der es mit der im Widerspruch zu Gott stehenden Menschheit abrechnet. Die ganze Welt liegt im Argen (1Joh 5,19). Doch das ist nur die eine Seite. Johannes bezeugt mit derselben Radikalität, mit der er die Welt im Widerspruch zu Gott beschreibt, die durchgehaltene Liebe Gottes zum Kosmos (Balz 1992, 771). Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richte, sondern dass sie durch ihn gerettet werde (Joh 3,17). Der Kosmos als Gesamtheit – die im Unglauben verharrende Menschheit samt der seufzenden Schöpfung – ist das Objekt der Liebe Gottes. Das ist im Lichte der alttestamentlichen Endzeiterwartung eine überraschende Aussage. Aus der eschatologischen (endzeitlichen) Erwartung des Alten Testamentes ergab sich die Überzeugung, der Messias werde als von Gott eingesetzter Richter die Völker wie Krüge aus Ton zertrümmern (Ps 2,9), die Unterdrücker strafen und die Ungerechtigkeit aus der Welt schaffen (Jes 9,5–6). Jesus aber verkündete den Gott der Liebe, der sein Gericht noch nicht vollzieht und den Menschen in seiner Person Gnade anbietet. Jesus führte die Geschichte nicht ihrem gerechten Ende zu, sondern durch ihn griff Gott gnädig in den Geschichtsverlauf ein, um Heil bringend in der Welt zu wirken (Lk 4,19). Moltmann (2002, 135) drückt es treffend aus: „Alles was man bei Jesus unter dem Stichwort ‚Gewaltlosigkeit‘ aufzählen kann, ist zuletzt auf diese ‚Revolution im Gottesbegriff‘ zurückzuführen, die er demonstrierte: Gott kommt nicht zur gerechten Rache an den Bösen, sondern zur gnädigen Rechtfertigung der Sünder, ob Zeloten oder Zöllner, ob Pharisäer oder Sünder, ob Juden oder Samaritaner, und in Konsequenz auch: ob Juden oder Heiden.“

      Die Welt ist zwar unter der Macht des Bösen, aber sie ist dem Machtbereich der Liebe Gottes nicht entzogen. Jesus spricht seinen Jüngern Trost zu, denn er hat die Welt überwunden (Joh 16,33). Dieses „überwunden“ ist nicht gleichbedeutend mit der Verwerfung der Welt. Genauso wenig wie die Verlorenheit der Welt (Joh 3,16) ihre Verwerfung bedeutet. Im Kreuzesgeschehen zeigt sich auch die Liebe des Vaters. Der Vater verlässt den Sohn und „erleidet den Tod des Sohnes im unendlichen Schmerz der Liebe … Der Schmerz des Vaters ist dabei von gleichem Gewicht wie der Tod des Sohnes“ (Moltmann 2002, 230). Diese schmerzliche Hingabe geschieht um der Liebe zum Kosmos willen! In seinem Sohn richtet Gott die Welt nicht (Joh 3,17), sondern nimmt ihre Sünden weg (Joh 1,29). Die Welt ist nicht verworfen, sondern wird durch Liebe überwunden (Joh 16,33).

      Das ist im Einklang mit Paulus. Im Zentrum seiner Kreuzestheologie steht die Aussage: „Gott wollte mit seiner ganzen Fülle in ihm wohnen, um durch ihn alles zu versöhnen“ (Kol 1,19–20). Und noch dramatischer: „Gott war es, der in Christus die Welt mit sich versöhnt hat, indem er den Menschen ihre Verfehlungen nicht anrechnete und uns das Wort von der Versöhnung (zur Verkündigung) anvertraute. Wir sind also Gesandte an Christi statt, und Gott ist es, der durch uns mahnt. Wir bitten an Christi statt: Lasst euch mit Gott versöhnen“ (2Kor 5,19–20). Die Liebe zum Kosmos treibt Gott so weit, seinen Sohn hinzugeben, damit die Welt mit ihm versöhnt werden kann. Wo immer Menschen zu Christus finden und in ihm bleiben, werden sie zu einer neuen Schöpfung (2Kor 5,17–18) und so verwirklicht sich Gottes Versöhnung mit der Welt. Es ist nicht die Versöhnung der Welt mit Gott, sondern Gottes Versöhnung mit der Welt, denn von ihm geht sie aus. Die Hingabe seines Sohnes ist ein dramatischer Akt, in welchem der Schöpfer seine von Anfang an durchgehaltene Liebe zur Welt unter Beweis stellt.

      Wir können nun den Ertrag unserer Untersuchung über den neutestamentlichen Kosmos-Begriff festhalten:

      imageKosmos bezeichnet im Neuen Testament den Lebensraum des Menschen, die Menschen selber und ihre Lebensweise, sofern es sich um die im Widerspruch zu Gott geratene Menschheit handelt.

      imageKosmos als Lebensraum des Menschen meint die unter der Sünde seufzende, aber immer noch gute Schöpfung. In diesem Sinn sollen wir die Welt lieben, weil Gott sie liebt.

      imageWenn es beim Kosmos-Begriff um die Lebensweise der sich im Widerspruch zu Gott befindenden Menschheit geht, steht die Warnung von der Angleichung an die Welt im Vordergrund. In diesem Sinn sollen wir die Welt nicht lieben.

      imageDer Kosmos ist in seinem ganzen neutestamentlichen Bedeutungsradius des Wortes von Gott geliebt. Gott vollzieht sein Gericht über die Gottlosigkeit noch nicht, sondern bietet durch seinen Sohn Versöhnung an. Die Schöpfung selbst wird zusammen mit den Kindern Gottes befreit werden.

      Das Neue Testament enthält eine deutlich formulierte Theologie der Weltzugewandtheit. Diese hat Auswirkungen auf eine biblische Missionstheologie: Wenn Gott seine Liebe zur im Widerspruch zu ihm befindenden Menschheit durchhält, indem er die Welt noch nicht richtet, sondern mit sich versöhnt, und wenn die seufzende Schöpfung zur Herrlichkeit der Kinder Gottes befreit werden wird, dann ist es die Aufgabe der Kirche, sich dem Gott anzugleichen, den sie bekennt, und diese Welt und ihre Menschen ebenso zu lieben. Die Welt ist dann nicht mehr die verworfene Welt, gegen die evangelisiert wird, und das Evangelium wird zu einer guten Nachricht für die Welt. Die Welt rückt in das Zentrum der Heilsabsichten Gottes und die Kirche existiert um der Welt willen. Sie ist beauftragt, die Botschaft der Liebe Gottes zum Kosmos zu verkünden und in ihrem Mikrokosmos praktisch zu demonstrieren. Sie ist im besten Sinn des Wortes ein von Gott erneuerter Mikrokosmos, denn in ihr ist die zukünftige befreite Welt

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