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>Liz Flanagan

      Aufstieg der Schattendrachen

      Legenden der Lüfte

      Aus dem Englischen von Bettina Münch

Verlagslogo

      Natürlich für Christoph xx

      Prolog

      Zwei Drachen flogen durch die Dunkelheit. Sie atmeten abgehackt und keuchend, ihre Flügel bewegten sich schwerfällig, jeder Schlag kostete sie Kraft. Ihre beschuppten Flanken waren blutüberströmt.

      »Die Drachen müssen sich ausruhen«, schrie Milla, deren schwarze Haare unter dem blauen Schal hervorquollen. Ihr Gesicht war voller Asche. »Sie schaffen es sonst nicht.«

      »Doch, das werden sie! Sie müssen!«, schrie Thom mit rauer Stimme und grimmiger Miene zurück. »Wir müssen Arcosi erreichen, bevor es zu spät ist, Milla.«

      Wie um seine Worte zu unterstreichen, schoss von den Hängen unter ihnen heißer Dampf empor, der Thoms scharlachroten Drachen nur um Haaresbreite verfehlte. Dieser kippte abrupt nach rechts und verlor dabei fast die Kontrolle.

      »Thom!«, schrie Milla. »Alles in Ordnung?« Sie drehte sich um, drängte ihren Drachen, tiefer zu fliegen, und starrte suchend in die Dunkelheit.

      »Siehst du? Es ist so weit. Der Vulkan bricht aus. Uns bleibt nur noch wenig Zeit. Wir müssen es versuchen!«, kam es von unten.

      Angespannt kauerten die beiden Reiter auf dem Rücken ihrer Drachen. Sie wandten sich nach Westen und trieben ihre Gefährten zu einer letzten Anstrengung an.

      »Beeil dich, Iggie, beeil dich! Und wenn es das Letzte ist, was wir tun. Wir müssen sie vor der Gefahr warnen. Wir müssen ihnen sagen, was sie tun sollen«, flüsterte Milla ihrem Drachen zu.

      Der Himmel hinter ihnen war mit übersät mit rotgoldenen Funken.

Erster Teil - Luft

      1. Kapitel

      Sechs Monate früher

      Jowan Thornsen träumte vom Fliegen. Seine Hände umklammerten einen purpurroten schuppigen Hals, der Wind zerrte an seinen Haaren, das Meer glitzerte unter ihm, während sein Drache durch die Lüfte sauste …

      Als Jo aufwachte, lächelte er immer noch. Dann verblasste der Traum, und er setzte sich ruckartig auf, weil ihm klar wurde, welcher Tag heute war. Der Tag der Schlüpfzeremonie fiel mit seinem zwölften Geburtstag zusammen. Seine Freunde Amina und Conor waren überzeugt, dass es Glück bedeutete. Und jetzt träumte er auch noch von einem Drachen? Das musste ein gutes Omen sein. Heute war der Tag, an dem sich sein Leben für immer verändern würde. Womöglich war er heute Abend mit einem frisch geschlüpften Drachen verbunden. Er würde in die Drachenschule von Arcosi ziehen. Seine gepackte Tasche stand bereit. Er war aufgeregt und konnte nicht länger still im Bett liegen.

      Er sprang auf und zog seine Hose und das zerknitterte Hemd vom Vortag an. Die bereitgelegten neuen weißen Kleider ließ er unangetastet liegen. Sie waren für die Zeremonie. Am liebsten wäre er laut singend und jubelnd losgelaufen, doch es war noch früh am Morgen, daher schlich er leise nach unten, vermied die knarrenden Dielenbretter und sprang die letzten drei Stufen auf einmal hinab. Aus dem Schlafzimmer seiner Eltern drang kein Laut.

      Draußen kräuselte sich der Rauch aus dem Küchenschornstein in den mit rosa Wolken übersäten blauen Himmel. Jo spähte durch einen Spalt in die Küche. Matteo, der Koch, war nirgends zu sehen, allerdings stand ein großer Teller mit dampfenden Zimtschnecken auf dem Arbeitstisch. Die mochte Jo am liebsten. Leise schlich er hinein und schnappte sich zwei Schnecken, an denen er sich prompt die Finger verbrannte. Als er sie in die Hosentasche steckte, spürte er die Hitze durch den verschlissenen Leinenstoff. Dann huschte er durch die Hintertür hinaus, lief eilig durch den Garten und kletterte auf die hohe Steinmauer des Übungsplatzes, auf dem er viele Stunden an seinen Schwertkünsten gearbeitet hatte.

      Dort hockte er wie eine Taube und schaute über die Dächer von Arcosi, während ihm der Wind ins Gesicht wehte und ihn wieder an seinen Traum erinnerte. Jo breitete die Arme aus, als wären es Flügel, und ihm wurde ganz leicht ums Herz. Sein Blick glitt über die Schiffe, die tief unter ihm im Hafen lagen, und hinaus auf das blasse Meer, das sich in sämtliche Himmelsrichtungen erstreckte. Heute hatte er zum ersten Mal die Chance, sich mit einem Drachen zu verbinden. Er schaute auf das Wasser und stellte sich vor, darüberzufliegen. Es war so nah, dass er es schmecken konnte. Es würde genauso sein wie in seinem Traum.

      In diesem Moment verdunkelte sich der Himmel, und ein Drache mit saphirblauen Flügeln glitt tief über ihn hinweg. Die Erde knirschte, als der Drache mit dumpfem Flügelschlag auf dem Übungsplatz landete.

      »Milla!« Jo sprang von der Mauer, um seine Cousine zu begrüßen. »Ich dachte, du wärst zu beschäftigt, um heute vorbeizukommen.«

      »Für deinen Geburtstag bin ich nie zu beschäftigt, Jo!« Milla rutschte von ihrem Drachen, und Jo fiel ihr um den Hals. »Drachenzähne aber auch! Ich schwöre, du bist seit letzter Woche schon wieder gewachsen.«

      Es stimmte. Jo wuchs so schnell, dass ihm jede Nacht die Beine wehtaten. Ständig stieß er sich irgendwo an, so ungewohnt war sein neuer Körper für ihn. Doch das war nicht das Einzige, was neu für ihn war: Seltsame, extreme Stimmungen erfassten ihn wie Sturmwinde. Sie verschwanden ebenso schnell, wie sie kamen, deshalb behielt er diese Stimmungsschwankungen für sich und hoffte, niemand würde etwas bemerken.

      »Jetzt bist du so groß, dass du mich im Kreis herumschwingen kannst.« Milla löste sich aus seiner Umarmung. Ihre Augen leuchteten, die schwarze Locken umrahmten ihr Gesicht. »Wag ja nicht, das auszuprobieren, sonst hetze ich dir Iggie auf den Hals.«

      Jo lachte über ihren scheinbar ernsten Ton. Sie mochte eine der ersten Drachenreiterinnen von Arcosi und inzwischen fast fünfundzwanzig sein, aber sie war immer noch jederzeit zu einem Schabernack aufgelegt, und dafür liebte er sie.

      Er streckte die Hand nach ihrem riesigen blauen Drachen aus, der ihn mit einem von Funken begleiteten Knottern und heftigem Kopfnicken so begeistert begrüßte, dass er Jo fast umwarf. Iggie war mindestens doppelt so groß wie das größte Zugpferd auf der Insel, und seine Flügel waren gewaltig. Jo strich ihm über den schuppigen Hals. Vielleicht würde er bei Sonnenuntergang selbst einen Drachen besitzen und durfte einen echten, lebenden Drachen in den Armen halten. Was wäre das für ein Geburtstagsgeschenk!

      »Dort habe ich früher auch immer gesessen«, sagte Milla und zeigte auf die Mauer. »Man hat den besten Blick über die Stadt. Wollen wir?«

      Sie kletterten hinauf und setzten sich nebeneinander. Ein schemenhafter Vollmond machte der aufgehenden Sonne Platz, aber die Luft war immer noch kalt.

      »Alles Gute zum Geburtstag, Jo. Das hier ist für dich.« Milla reichte ihm einen kleinen Lederbeutel.

      »Vielen Dank«, sagte er und zog die Kordel auf. Als er den Beutel vorsichtig umdrehte, rutschte etwas Kleines, Glänzendes in seine Handfläche. Es sah aus wie eine Münze an einer dicken Silberkette.

      »Es ist der gleiche Anhänger wie meiner«, sagte Milla und berührte die Schmuckmünze, die sie immer um den Hals trug.

      Jo hob die silberne Münze in die Höhe und betrachtete die Gravur: ein Kreis, der den Vollmond darstellte, mit einem fliegenden Drachen darunter. Das Symbol ihrer Familie, der alten Drachenreiter von Arcosi.

      »Oh, Milla.« Jo suchte nach Worten. »Das ist perfekt. Ich werde die Kette heute tragen, damit sie mir Glück bringt.«

      »Ich helfe dir mit

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