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die Angelegenheit wurde wesentlich ruhiger beigelegt. Ich brachte den Maître d’Hôtel dazu, Direktor Möller anzurufen, der einer der besten Kunden des Restaurants ist. Er läßt dort öfter große Empfänge veranstalten. Und Möller sagte, man solle ihm bloß die Rechnung für das beschädigte Geschirr ins Büro schicken. Das war eine Sprache, die der Maître sehr wohl verstand, und als ich aus dem Lokal schritt, rissen die Kellner vor mir die Tür auf, und der Maître verbeugte sich tief. Es ist unglaublich, wie ungerecht die Menschen auf dieser Welt behandelt werden!»

      Jan nickte und seine Stimme klang bitter, als er sagte: «Ja, hier in Kapstadt ist der Unterschied zwischen dem Direktor einer Reederei und einem kleinen Chinesenjungen wirklich unglaublich. Die Welt ist verrückt, Jack, aber allein sind wir zu ohnmächtig, um etwas daran ändern zu können.»

      Yan Loo trottete hinter den anderen her. Er überlegte, was die anderen sagen würden, wenn sie erfuhren, welche herrliche Rache er genommen hatte! Sicher würden sie ihn wegen seiner Tüchtigkeit loben!

      Er konnte unmöglich ahnen, daß er eine ganze Lawine in Bewegung gesetzt hatte...

      Zweites kapitel

      Nachdem die Jungen zu Abend gegessen hatten, versammelten sie sich im weitläufigen Park der Villa und plauderten vergnügt miteinander. Natürlich drehte sich das Gespräch hauptsächlich um die Ereignisse des Nachmittags. Nach wie vor war es den Jungen aus Dänemark völlig unverständlich, wieso man sich in einem Lokal weigern konnte, einem Menschen Tee zu servieren, bloß weil dieser Mensch eine Hautfarbe hatte, die nicht weiß war. Während sie so zusammen plauderten, saß Yan Loo unter ihnen und hörte mit großen, wachsamen Augen zu. Der Chinesenjunge mußte ein beträchtliches Talent für Sprachen haben, denn er hatte in den vergangenen Wochen schon ganz gut Dänisch gelernt. Er konnte zwar wenig sprechen und hatte Schwierigkeiten, ganze Sätze zu formulieren, aber er verstand vieles von dem, was die Freunde miteinander sprachen. Wenn man ihn auf dänisch ansprach, kam es häufig vor, daß er eine richtige Antwort auf englisch gab.

      Jetzt saß er also da und lauschte, und ab und zu breitete sich ein Schelmenlächeln über sein Gesicht. Jan bemerkte es und sagte: «Na, Yan Loo, du verstehst doch bald alles, was wir sagen, stimmt es?»

      «Ja, Mister Jan», gab der Chinesenjunge zur Antwort. «Ich habe auch verstanden, was sich in dem vornehmen Restaurant abgespielt hat... aber mir ist es egal, ob man mich dort bedient oder nicht.»

      «Wirklich?»

      «Ja, Mister Jan. Ich bin bloß wütend geworden, weil der Mann Mister Carl angegriffen hat. Aber ich habe Rache an ihm genommen.»

      «Rache? Was meinst du damit?» fragte Jan verwundert.

      Yan Loo fischte eine Brieftasche aus seinem Polohemd und antwortete mit einem breiten Grinsen: «Die habe ich dem Oberkellner aus der hinteren Hosentasche gezogen! Jetzt soll Mister Carl sie bekommen, weil ihn der Mann belästigt hat.»

      Die fünf Freunde saßen einen Moment lang stumm vor Staunen da. Endlich hatte Jan sich so weit gefaßt, daß es ihm gelang, etwas zu sagen. «Sag mal, Yan Loo, bist du vollkommen übergeschnappt? Willst du allen Ernstes behaupten, daß du dem Oberkellner die Brieftasche gestohlen hast?»

      «Nein, Mister Jan, ich habe sie nur weggenommen.»

      «Um Gottes willen!» stöhnte Jan verzweifelt und griff sich an den Kopf. Sekundenlang verschlug es ihm die Sprache. Das war ja entsetzlich! So etwas hätte man natürlich schon damals voraussehen müssen, als das Abenteuer in Limehouse seinem Ende entgegengegangen war.b Yan Loo war wirklich ein guter, ein großartiger Kamerad – in mancher Beziehung stand er weit über weißen Mitmenschen –, aber in Limehouse war er dazu erzogen und mit Gewalt gezwungen worden, als Taschendieb zu arbeiten und den Touristen Gepäck und Brieftaschen zu stehlen. Ein rücksichtsloser, brutaler Krimineller hatte ihn ganz in seiner Hand gehabt. Wenn der kleine Chinesenjunge an einem Tag ohne mindestens eine gestohlene Brieftasche nach Hause kam, dann wurde er von seinem wütenden ‹Stiefvater› halb zu Tode geprügelt. Mit der Zeit war diese Erziehung nicht ohne Wirkung geblieben. Yan Loo hatte sich so an seinen ‹Beruf› als Taschendieb gewöhnt, daß er tatsächlich nicht mehr zwischen Dein und Mein unterscheiden konnte. Gewiß würde er einem Freund nie etwas stehlen, lieber hätte er seine rechte Hand dafür gegeben, aber einen amerikanischen Touristen zu beklauen, erschien ihm nichts Strafbares. Wenn man bedachte, daß buchstäblich sein Leben davon abgehangen hatte, mit fetter Beute nach Hause zu kommen, konnte man ihn sogar verstehen. Nur billigen konnte man es nicht.

      Jan seufzte tief und bekümmert. «Oh, Yan Loo, du bist wirklich unverbesserlich, wie oft haben wir dir gesagt, daß man nichts stehlen darf!»

      «Ja, aber, Mister Jan... der Mann war sehr ungezogen zu Mister Carl!»

      «Das ist völlig gleichgültig, Yan Loo, es bleibt trotzdem ein Vergehen, ihm die Brieftasche zu stehlen. Jetzt mußt du damit rechnen, daß dich die Polizei holt.»

      Der kleine Chinese zuckte vor Angst zusammen. In London hatte er oft vor Polizisten fliehen müssen. Der Gedanke, daß ihn die Polizei in Kapstadt einsperren würde, kam ihm ungeheuerlich vor. Er war verzweifelt. «Oh, nein... nicht... oh, bitte nicht die Polizei!»

      Er warf die Brieftasche von sich, als brenne sie ihm in den Händen, und rannte mit großen Sprüngen quer über den Rasen.

      «Halt, Yan Loo... Yan Loo, bleib hier!» rief Jan ihm nach.

      Aber es war schon zu spät. Yan Loo war außer sich vor Angst und hörte nicht mehr auf den Freund. Als er auf den Ausgang des Parks zurannte, sprang Jan auf, um ihn einzuholen, aber das war ein hoffnungsloses Unterfangen. Zwar war Jan ein außerordentlich guter Läufer, in seiner Heimat hatte ihn so leicht keiner geschlagen, und er hatte manchen ersten Preis nach Hause gebracht, doch Yan Loo war ihm überlegen. Schon in London hatte er bewiesen, welch ein vortrefflicher Läufer er war. Jetzt schien ihm die Angst geradezu Flügel zu verleihen. In Sekundenschnelle hatte er die Parkpforte erreicht und setzte dann seine wilde Flucht über den abschüssigen Weg fort. Jan war sich im klaren darüber, daß er die Verfolgung aufgeben mußte. Ganz unglücklich kehrte er zu seinen verwirrten Kameraden zurück. «Der Junge ist natürlich verschwunden», seufzte er. «Was machen wir jetzt?»

      «Hm!» grunzte Erling. «Ohne zu übertreiben, kann man wohl behaupten, daß wir uns eine ganz schön dicke Suppe eingebrockt haben.»

      Jack Morton nickte. «Ja, auf dem Rasen liegt nun eine gestohlene Brieftasche, und Yan Loo ist verschwunden. Ich weiß nicht, was schlimmer ist. Ich weiß im Augenblick wirklich nicht, was wir nun machen sollen. Mein Hirn ist zunächst völlig leer.»

      «Meines auch!» sagte Erling.

      «Mir geht es nicht besser», fügte Jesper hinzu.

      «Das ist aber auch eine schlimme Sache», meinte Carl und kratzte seinen Nacken.

      Jan war der einzige, der schwieg und überlegte. Ohne Zweifel war dies eine der scheußlichsten Situationen, in die er und seine Freunde je geraten waren. Wahrscheinlich hatte der Maître d’Hôtel den Verlust der Brieftasche bereits der Polizei gemeldet. Indessen ahnte er vermutlich nicht, wie geschickt Yan Loo war. Er würde ihn also kaum angezeigt haben... Yan Loo hatte ja die allgemeine Verwirrung im Lokal benutzt, um mit seiner vollendeten ‹Technik› Rache zu üben. Aber wie konnte man nun dem Bestohlenen sein Eigentum zurückgeben, ohne daß die Polizei etwas davon erfuhr? Auf keinen Fall konnte man zu dem Maître d’Hôtel gehen und ihm einfach erklären: «Entschuldigen Sie vielmals, hier haben Sie ihre Brieftasche zurück, die unser kleiner chinesischer Freund Ihnen gestohlen hat.» Dann würde der Mann der Polizei eine Erklärung geben müssen, und wenn es herauskam, daß der Dieb ein Chinese war, dann konnte man getrost annehmen, daß sie hier in Kapstadt kurzen Prozeß mit ihm machen würden. Denn er war ja ein Farbiger und gehörte also zum Abschaum der Menschheit!

      Was also tun?

      Würde es etwas nützen, wenn man zu Direktor Möller ginge, und ihm alles erklärte? Das konnte unter Umständen riskant sein. Der korrekte Mann konnte darauf bestehen, daß sowohl der Maître d’Hôtel als auch die Polizei die Wahrheit erführen... Und

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