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      Hans Christian Andersen

      Die Schneekönigin

      Julius Reuscher

      Saga

      Die Schneekönigin ÜbersetzerJulius Reuscher Coverbild / Illustration: Shutterstock Copyright © 1844, 2019 Hans Christian Andersen und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726372526

      1. Ebook-Auflage, 2019

      Format: EPUB 2.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk

      – a part of Egmont www.egmont.com

      Die Schneekönigin.

      (In sieben Geschichten.)

      Erste Geschichte.

      welche von dem Spiegel und den Scherben handelt.

      Geht, nun fangen wir an. Wenn wir am Ende der Geschichte sind, wissen wir mehr als jetzt, denn es war ein böser Kobold, einer der allerärgsten, es war der Teufel! Eines Tages war er recht bei Laune, denn er hatte einen Spiegel gemacht, welcher die Eigenschaft besass, dass alles Gute und Schöne, was sich darin spiegelte, fast zu nichts zusammenschwand, aber das, was nichts taugte und sich schlecht ausnahm, das trat hervor und wurde noch ärger. Die herrlichsten Landschaften sahen wie gekochter Spinat aus, und die besten Menschen wurden darin widerlich oder standen auf dem Kopfe, ihre Gesichter wurden so verdreht, dass sie nicht zu erkennen waren, und hatte man einen Sonnenfleck, so konnte man versichert sein, dass er sich über Mund und Nase ausbreitete. Das sei äusserst belustigend, sagte der Teufel. Fuhr nun ein guter, frommer Gedanke durch einen Menschen, dann zeigte sich ein Grinsen im Spiegel, so dass der Teufel über seine künstliche Erfindung lachen musste. Alle, die seine Koboldschule besuchten, erzählten ringsumher, dass ein Wunder geschehen sei; nun könne man erst sehen, meinten sie, wie die Welt und die Menschen wirklich aussehen. Sie liefen mit dem Spiegel umher, und zuletzt gab es kein Land oder keinen Menschen, welcher nicht verdreht darin gewesen wäre. Nun wollten sie auch zum Himmel auffliegen, um sich über die Engel lustig zu machen. Je höher sie mit dem Spiegel flogen, um so mehr grinste er, sie konnten ihn kaum festhalten; sie flogen höher und höher, Gott und den Engeln näher. Da erzitterte der Spiegel so fürchterlich in seinem Grinsen, dass er ihren Händen entflog und zur Erde stürzte, wo er in tausend Stücke zersprang. Da gerade verursachte er weit grösseres Unglück als zuvor, denn einige Stücke waren so gross als ein Sandkorn, und diese flogen rings herum in der weiten Welt, und wo sie Leute in das Auge bekamen, da blieben sie sitzen, und da sahen die Menschen alles verkehrt, oder hatten nur Augen für das Verkehrte bei einer Sache, denn jede kleine Spiegelscherbe hatte dieselben Kräfte behalten, welche der ganze Spiegel besass. Einige Menschen bekamen sogar eine kleine Spiegelscherbe in das Herz, und dann war es ganz entsetzlich; das Herz wurde einem Klumpen Eise gleich. Einige Spiegelscherben waren so gross, dass sie zu Fensterscheiben gebraucht wurden, aber durch diese Scheiben taugte es nichts, seine Freunde zu betrachten. Andere Stücke kamen in Brillen, und dann ging es schlecht, wenn die Leute diese Brillen aufsetzten, um recht zu sehen und gerecht zu sein. Der Böse lachte, dass ihm beinahe der Leib platzte, und das gefiel ihm. Aber draussen flogen noch kleine Glasscherben in der Luft umher. Nun werden wir’s hören.

      Zweite Geschichte.

      Ein kleiner Knabe und ein kleines Mädchen.

      Drinnen in der grossen Stadt, wo so viele Menschen und Häuser sind, so dass dort nicht Platz genug ist, dass alle Leute einen kleinen Garten besitzen können, und wo sich deshalb die meisten mit Blumen in Blumentöpfen begnügen müssen, da waren doch zwei arme Kinder, die einen etwas grössern Garten als einen Blumentopf besassen. Sie waren nicht Bruder und Schwester, aber sie waren sich so gut, als wenn sie es gewesen wären. Die Eltern wohnten einander gerade gegenüber; sie wohnten in zwei Dachkammern, da, wo das Dach des einen Nachbarhauses gegen das andere stiess und die Wasserrinne zwischen den Dächern entlang lief. Hier war in jedem Hause ein kleines Fenster; man brauchte nur über die Rinne zu schreiten, so konnte man von dem einen Fenster zum andern gelangen.

      Beide Eltern hatten draussen einen grossen Holzkasten, darin wuchsen Küchenkräuter, die sie brauchten, und ein kleiner Rosenstock; es stand einer in jedem Kasten, und sie wuchsen herrlich. Nun fiel es den Eltern ein, die Kasten quer über die Rinne zu stellen, so dass sie fast von dem einen bis zum andern Fenster reichten und zwei Blumenwällen ganz ähnlich sahen. Erbsenstöcke scholien lange Zweige, die sich um die Fenster rankten und sich einander entgegenbogen, es war fast einer Ehrenpforte von Blättern und Blumen gleich. Da die Kasten sehr hoch waren und die Kinder wussten, dass sie nicht hinaufkriechen durften, so erhielten sie oft die Erlaubnis, hinauszusteigen, auf ihren kleinen Schemeln unter den Rosen zu sitzen, und da spielten sie dann prächtig.

      Im Winter hatte dies Vergnügen ein Ende. Die Fenster waren oft ganz zugefroren. Aber dann wärmten die Kinder Kupferdreier auf dem Ofen, legten den warmen Dreier gegen die gefrorene Scheibe, und dann entstand da ein rundes, schönes Guckloch; dahinter blitzte ein lieblich mildes Auge, eins von jedem Fenster; das war der kleine Knabe und das kleine Mädchen. Er hiess Karl und sie Gretchen. Im Sommer konnten sie mit einem Sprunge zueinander gelangen, im Winter mussten sie erst die vielen Treppen hinunter- und die andern Treppen hinaufsteigen; draussen trieb der Schnee.

      „Das sind die weissen Bienen, die schwärmen!“ sagte die alte Grossmutter.

      „Haben sie auch eine Bienenkönigin?“ fragte der kleine Knabe, denn er wusste, dass unter den wirklichen Bienen eine solche ist.

      „Die haben sie!“ sagte die Grossmutter. „Sie fliegt dort, wo sie am dichtesten schwärmen, sie ist die grösste von allen, und nie ist sie stille auf Erden, sie fliegt wieder in die schwarze Wolke hinauf. Manche Winternacht fliegt sie durch die Strassen der Stadt und blickt zu den Fenstern hinein, und dann gefrieren diese sonderbar und sehen aus wie Blumen.“

      „Ja, das habe ich gesehen!“ sagten beide Kinder, und nun wussten sie, dass es wahr sei.

      „Kann die Schneekönigin hier hereinkommen?“ fragte das kleine Mädchen.

      „Lass sie nur kommen,“ sagte der Knabe, ,,dann setze ich sie auf den warmen Ofen, und dann schmilzt sie.“

      Aber die Grossmutter glättete sein Haar und erzählte andere Geschichten.

      Am Abend, als der kleine Karl zu Hause und halb entkleidet war, kletterte er auf den Stuhl am Fenster und guckte aus dem kleinen Loche. Ein paar Schneeflocken sielen draussen, und eine derselben, die allergrösste, blieb auf dem Rande des einen Blumenkasten liegen; sie wuchs mehr und mehr und wurde zuletzt eine Jungfrau, in den feinsten, weissen Flor gekleidet, der wie von Millionen sternartiger Flocken zusammengesetzt war. Sie war schön und fein, aber von Eis, dem blendenden, blinkenden Eise, und doch war sie lebendig; die Augen blitzten wie zwei klare Sterne, aber es war keine Ruhe noch Rast in ihnen. Sie nickte dem Fenster zu und winkte mit der Hand. Der kleine Knabe erschrak und sprang vom Stuhle hernieder, da war es, als ob draussen vor dem Fenster ein grosser Vogel vorbeiflöge.

      Am nächsten Tage wurde es klarer Frost — und dann kam das Frühjahr, die Sonne schien, das Grün keimte hervor, Schwalben bauten Nester, die Fenster wurden geöffnet, und die kleinen Kinder sassen wieder in ihrem kleinen Garten hoch oben in der Dachrinne über allen Stockwerken.

      Die Rosen blühten diesmal prachtvoll. Das kleine Mädchen hatte in diesem Sommer ein Lied gelernt, in welchem auch von Rosen die Rede war, und bei den Rosen dachte sie an ihre eigenen, und sie sang es dem kleinen Knaben vor, und er sang mit:

      ,,Die Rosen, sie blühen und verwehen,

      Wir werden das Christkind wieder sehen!“

      Und die Kleinen hielten einander bei den Händen, küssten die Rosen und blickten in Gottes klaren Sonnenschein hinein und sprachen zu demselben, als ob das Jesuskind da wäre. Was waren das für herrliche Sommertage, wie schön war es draussen bei den frischen Rosenstöcken, welche mit dem Blühen nie aufhören wollten!

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