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und die sonntäglichen Veranstaltungen der Kirchen leer bleiben. Die Rede von der Krise des Gottesdienstes ist so alt, dass man längst vergessen hat, wann sie aufkam. Es wäre naiv zu glauben, ein weiteres Buch zu diesem Thema könnte aus dieser Krise helfen. Doch in vielen Gemeinden, wo die Menschen den gewohnten Gottesdiensttrott satt haben, könnte es vielleicht tatsächlich hilfreich sein.

      Auch ich kann von langweiligen Gottesdiensten berichten. Es gab in meinem Dienst Zeiten, wo ich am liebsten das Handtuch geworfen hätte. Nichts schien so zu laufen, wie es geplant und vorbereitet wurde. Wenn Gott da nicht gnädig gewesen wäre! Nein, ich habe nicht aufgegeben. Dieses Buch ist dafür der beste Beweis. Gott hat mich durchgetragen. Und so gab es in meiner Gemeindepraxis mit den Jahren auch viele ermutigende Beispiele. Ich rede also in diesem Buch nicht vom grünen Theologentisch aus. Auch wenn dieses Buch theologische Grundkonzepte behandelt, geboren sind sie in der Auseinandersetzung mit der Praxis. Die Theologie, die diesem Buch zugrunde liegt, ist aus der Praxis für die Praxis entstanden.

      Und so zielt dieses Buch sowohl auf jene, die sich über die Zukunft des evangelischen Gottesdienstes in unserem Land Gedanken machen, als auch auf die vielen Pastorinnen und Pastoren, die Sonntag für Sonntag vor der Frage stehen, wie ihnen ein attraktiver Gottesdienst gelingt. Die Theologie dieses Buches ist bewusst als Handlungstheorie abgefasst. Sie zielt auf die Praxis ab. Sie will und muss angewandt werden.

      Dabei geht es mir speziell um die Leitung des Gottesdienstes. Das hier ist also ein Buch über geistliche gottesdienstliche Leitung. Und damit ist in mehrfacher Hinsicht die Problemlage beschrieben, um die es in diesem Buch geht. Zum einen gehe ich davon aus, dass die Krise des Gottesdienstes in unseren Gemeinden dadurch ausgelöst wird, dass genau das heute in den Gemeinden fehlt – die Fähigkeit zu leiten, und zwar ganz spezifisch, Gottesdienst zu leiten. Zum anderen wird die Langeweile, die unsere Gottesdienstlandschaft begleitet, meines Erachtens dadurch ausgelöst, dass man längst aus dem Blick verloren hat, was Gottesdienst eigentlich bedeutet. Wenn man das Ziel nicht kennt, ist das ganze Unternehmen Leitung an sich infrage gestellt.

      Sie werden am Inhalt des Buches leicht feststellen, dass hier ein Missiologe schreibt. Gottesdienst kann meines Erachtens nicht außerhalb des ewigen Ratschlusses Gottes gedacht werden. Und diesen geben wir heute mit dem aus dem Lateinischen stammenden Fachbegriff der Missio Dei wieder. Das Wesen des christlichen Gottesdienstes kann nur im Kontext des Wesens der Gemeinde selbst gedacht werden und diese ist rein missionarisch zu bestimmen. Die Kirche ist missionarisch von ihrem Wesen her – dieser Satz des Zweiten Vatikanischen Konzils ist mittlerweile zu einem allgemeinen Dogma nahezu aller christlichen Konfessionen geworden. Ist das aber so, so kann der Gottesdienst nur missional gedacht werden. Wen sollte es dann wundern, dass die Krise des westlichen Christentums, die wesentlich eine Krise ihres Missionsverständnisses ist, eine Gottesdienstkrise nach sich gezogen hat? Wenn es also um eine ontologische Erneuerung der Kirche geht, dann geht es primär darum, das missionale Wesen des christlichen Gottesdienstes wieder zu entdecken.

      Desweiteren herrscht eine große Unsicherheit über den Prozess der Leitung des Gottesdienstes selbst vor. Wie leitet man Menschen zu dem Punkt, wo Gott ihnen dient? Wie führt man sie dahin, dass sie selbst beginnen, Gott zu dienen? Wie wird der reguläre Gottesdienst einer regulären Kirchengemeinde zu einem missionalen Ereignis? Mit einer bloßen religiösen Veranstaltung eines wie auch immer gearteten liturgischen Zuschnitts kommt man hier nicht weiter. Es gilt daher beides zu klären, das Wesen des Gottesdienstes selbst und die Prinzipien gottesdienstlicher Leitung.

      Wie gesagt, ich komme aus der gottesdienstlichen Praxis und nichts liegt mir näher als der Wunsch, dass diese Praxis in vielen Gemeinden grundsätzlich erneuert wird. Dass dies möglich ist, beweisen nicht nur die vielen Bücher, die im Laufe der letzten Jahre zu diesem Thema geschrieben wurden,2 sondern auch die überaus ermutigenden Erfahrungen aus Gemeinden, die durch einen solchen Prozess der Erneuerung gegangen sind. Aus diesen Erfahrungen schöpfe ich die Motivation und Kraft für dieses Buch.

      Vieles davon kommt im Zeugnis jener jungen Dame zum Ausdruck, die eines Tages nach dem Gottesdienst in unserer Gemeinde auf mich zu kam und sagte:

      „Heute hat Gott zu mir geredet. Guck nicht so komisch, ich meine das ernst – Gott war heute hier. Ich habe ihn erfahren.“

      „Aber Gott ist doch immer hier im Gottesdienst“, entgegnete ich vorsichtig.

      „Kann schon sein, Pastor, kann schon sein. Ich habe ihn jedenfalls noch in keinem Gottesdienst erfahren. Heute, hier bei euch, ist das zum ersten Mal passiert. Und glaub’ mir, ich gehe seit meiner frühen Kindheit zu Kirche. Das hier war anders.“

      Das, was für die junge Frau anders war und was ihr die Begegnung mit dem lebendigen und ewigen Gott ermöglicht hat, darüber will ich schreiben.

      „Stell dir vor, es ist Gottesdienst und alle wollen hin“ – das ist die Vision, die diesem Buch zugrunde liegt.

       Kapitel 1

       Gottesdienst – und keiner geht hin

       1.1 Das Ende einer kirchlichen Tradition?

      Seit Jahren wird über den evangelischen Gottesdienst lamentiert. Immer weniger besuchen die sonntäglichen Veranstaltungen der Kirchen und Gemeinden. Betroffen sind Landeskirchen und Freikirchen. Die Situation in den Großstädten vermag die Lage anschaulich zu verdeutlichen. Ein Dutzend Gottesdienstbesucher verlieren sich im gewaltigen Schiff einer zentralen evangelischen Kirche in Hamburg-Altona. Und in den meisten Baptistengemeinden der Stadt erscheint weniger als die Hälfte ihrer Mitglieder zum Gottesdienst.

      Hamburg ist bei weitem keine Ausnahme. Nicht viel anders sieht es in Berlin aus oder in Frankfurt und München, Zürich oder Wien. Die Situation ist prekär. Die EKD zeigt in ihrer regelmäßig erhobenen Mitgliederbefragung (4. KMU), dass 15 Prozent ihrer Mitglieder nie einen Gottesdienst besuchen, 27 Prozent einmal im Jahr oder seltener, 35 Prozent mehrmals im Jahr (in der Regel nur zu „Pflichtveranstaltungen“ der Kirche). Damit besuchen 77 Prozent der Mitglieder faktisch nie einen Gottesdienst. Mitglieder, die jeden Sonntag einen kirchlichen Gottesdienst besuchen, machen laut KMU gerade noch zehn Prozent aus.3 Wobei man realistischerweise eher von fünf Prozent ausgehen müsste, wie die Studie von Beck zeigt (Beck 2007:46). Und auch hier sind es in der Regel eher ältere Menschen, die sich in die Kirche wagen.

      Nach einer gezielten Untersuchung der Altersstruktur der Gottesdienstbesucher in 123 zufällig ausgewählten evangelischen Gottesdiensten, die die Arbeitsgruppe „Kirche für Morgen“ am 19. Oktober 2003 durchführte, sind 47,6 Prozent der Besucher über 60 Jahre alt; 28,2 Prozent zwischen 40 und 60; 17,9 Prozent 20 bis 40 und nur 6,4 Prozent unter 20 Jahre alt. Das Ergebnis der Befragung ließ die Arbeitsgruppe zu dem Schluss kommen, dass wir es mit einer „Seniorenkirche“ zu tun haben (:86ff).

      Ist die traditionelle Kirche dabei, sich von der Bühne zu stehlen? Altbischof Theo Sorg hat sich jedenfalls bereits 1977 tief besorgt über den Besucherschwund kirchlicher Veranstaltungen geäußert (Sorg 1977:62). Zehn Jahre später wiederholte er seine Sorge mit gleicher Vehemenz (1987:56). Andere bestätigen seine Befürchtungen.4 Heute ist die Lage nicht viel anders.

      Warum besuchen die Menschen keinen Gottesdienst mehr, obwohl sie sich nachweislich zur Kirche zählen? Liegt es daran, dass Menschen ihr Interesse für Glaubensfragen verloren haben, oder eher an der Art und Weise, wie der kirchliche Gottesdienst abläuft? Kann es sein, dass die Krise in der sich der Gottesdienst heute befindet, hausgemacht ist? Kann es sein, dass die Gestalt des typischen traditionellen Gottesdienstes wesentlich dazu beiträgt, dass Menschen sich hier nicht mehr wiederfinden? Oder, noch tiefer gefragt, kann es sein, dass der Gottesdienst sich wesensmäßig so stark verändert hat, dass derjenige, der darin seinen Dienst anbieten soll, Gott selbst, sich aus dem Gottesdienst zurückgezogen hat? Wenn der Gottesdienst der bevorzugte Ort ist, „an dem wir unsere Liebe zu Gott zum Ausdruck bringen“ (Kuen 1998:1), dann ist doch folgende Frage angebracht: Was ist an diesem Ort der Begegnung aus dem Ruder gelaufen, dass ausgerechnet eine gewollte Liebesbegegnung nicht mehr stattfindet? Oder ist etwa eine solche Begegnung gar nicht mehr im Blick?

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