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      Eva Weissweiler

      Das Echo deiner Frage

      Dora und Walter Benjamin – Biographie einer Beziehung

      Hoffmann und Campe

      Für Mickie, Chantal, Mona und Kim,

      die Enkelinnen von Dora und Walter Benjamin

      © Archiv Dina Draper, London

      Dora Sophie Morser, ca. 1960 in London

      Prolog

      »Ich erinnere mich an nichts Dunkles«

      Februar 1941. Dora Sophie Morser, geborene Kellner, geschiedene Pollak und geschiedene Benjamin, hat sich ein Häuschen in der Grafschaft Surrey gemietet, um sich vor dem »Blitz«, den deutschen Luftangriffen auf London, zu schützen. Sie ist gerade noch rechtzeitig gekommen. Denn schon bald gibt es neue Bombardierungen, denen in jeder Nacht Hunderte zum Opfer fallen, wenn sie nicht Zuflucht in den U-Bahn-Schächten gefunden haben. Niemand kann schlafen, weil die Stadt von neun Uhr abends bis fünf Uhr früh attackiert wird. Man hat Pappsärge und Leichensäcke verteilt, um die Toten rasch bergen zu können. Wer irgend kann, flieht aufs Land. Um die 650000 Kinder sind in diesen Wochen verschickt worden.

      Dora, die seit 1938 in London lebt, betreibt dort das Camborne Hotel, wo vor allem junge Leute und Studenten wohnen, zum Teil auf Dauer, eine Art »boarding-house«. Doch jetzt steht es leer, denn im Krieg kommen keine Touristen. Dora ist eine ausgezeichnete Köchin. Sie hat jahrelang eine Pension in Sanremo geführt. Deshalb meldet sie sich freiwillig beim District Council im Städtchen Farnham, um die öffentliche Essensausgabe zu leiten.[1] Es ist anstrengend, aber es macht ihr Freude. Der Ernährungsminister schreibt ihr Dankesbriefe.[2] »Sie würden sich wundern zu sehen, wie viele ausgezeichnete und unterschiedliche Gerichte wir zu niedrigen Preisen herausbringen in einer Zeit, in der die meisten hungern«, schreibt sie an den amerikanischen Schriftsteller Henry Louis MenckenMencken, Henry Louis.[3]

      Diese Arbeit lenkt sie ein wenig von den Sorgen um ihren Sohn StefanBenjamin, Stefan Rafael ab. Er ist dreiundzwanzig, ein »guter Junge«, wie sie MenckenMencken, Henry Louis immer wieder versichert, groß, stark, fleißig und polyglott. Im Juni 1940 ist er jedoch in London verhaftet worden, als »feindlicher Ausländer«. Winston ChurchillChurchill, Winston persönlich hat angeordnet, dass alle Personen, die weder britische Staatsbürger seien noch unter britischem Schutz ständen, sondern »die Nationalität eines Staates« besäßen, »der sich im Kriegszustand mit Seiner Majestät« befinde, »hinter Stacheldraht« in sichere Lager zu bringen seien,[4] egal, ob es sich um Juden, Nazis oder Nazi-Gegner handle. Zu diesen »Personen« zählt man auch StefanBenjamin, Stefan Rafael.

      Am 10. Juli 1940 hat man ihn an Bord der Dunera gebracht, zusammen mit über 2500 Deutschen, Österreichern und Italienern, darunter Juden, Faschisten und Nazis. Im September sind sie in Australien gelandet. Bis dahin waren sie in qualvoller Enge unterwegs. Es gab wenig Essen, aber viel Prügel. Die hygienischen Zustände waren entsetzlich. Nazis gingen auf Juden und Juden auf Nazis los. Korrupte englische Wachleute machten sich über das Gepäck der Häftlinge her und teilten die Wertsachen unter sich auf.

      StefanBenjamin, Stefan Rafael schickt verzweifelte Briefe aus der australischen Wüste, wo er mit tausend anderen Juden in einem Lager, dem Camp Hay, einsitzt. Es ist heiß. Es ist staubig. Aber das Schlimmste ist die Angst und die Ungewissheit. Dora schreibt an Walter Benjamins Cousin Egon WissingWissing, Egon, der als Radiologe in Amerika arbeitet:

      Was StefanBenjamin, Stefan Rafael nun befürchtet, ist, dass sie ihn nach Deutschland bringen, wenn der Krieg bald zu Ende geht, und von dort nach Lublin. Er sagt, darauf werde er nicht warten, sondern selber ein Ende machen. Das ist natürlich Unsinn, sie werden dort ganz fair behandelt und unsere Regierung wird so etwas nicht zulassen. Aber unglücklicherweise leidet der Junge unter Neurosen und Depressionen, und wenn seine Hoffnung einmal gesunken ist, könnte er alles tun.[5]

      Ob WissingWissing, Egon ihm kein Visum, keine Bürgschaft beschaffen könne? Die Möglichkeit einer Ausreise nach Amerika? Diese Frage stellt Dora immer und immer wieder, an jeden, den sie für gut und einflussreich hält, an MenckenMencken, Henry Louis, an entfernte Verwandte, an diverse Flüchtlingskomitees, den Exil-PEN, jüdische Freunde in den Staaten. Wenn sie ihre Arbeit in der öffentlichen Küche getan hat, sitzt sie Stunde um Stunde an der Schreibmaschine und hackt immer wieder dieselben Worte in die Tasten:

      Er ist im Landesinneren, in diesem höllischen Klima, und ich bin sicher, ich werde ihn nie wiedersehen, wenn ich ihn jetzt nicht herausholen kann.[6]

      Natürlich, alle wollen ihr helfen, auch MenckenMencken, Henry Louis, der sie allerdings für etwas überspannt hält, typisch Mutter eben. Aber eine Bürgschaft koste Geld. Viel Geld. Und die Bedingungen würden ständig verschärft. Soll er 10000 Dollar ausgeben für einen Jungen, den er gar nicht kenne, der nur ein einfacher Student der Philologie, weder Arzt noch Handwerker oder Ingenieur sei, also keinen nützlichen Beruf habe und in Amerika ohne jede Perspektive sein würde?

      Aus all diesen Gründen rate ich Ihnen dringend, Ihren Sohn in Australien zu lassen. Er ist dort sicher und die Unannehmlichkeiten sind sicher nicht größer als sie in den Vereinigten Staaten sein würden.[7]

      Je öfter er dieses Argument wiederholt, umso mehr schämt Dora sich, ihm zu sagen, dass es noch eine zweite Person gibt, um die sie sich Sorgen macht: Walter Benjamin. MenckenMencken, Henry Louis würde sie wahrscheinlich für komplett verrückt halten, denn Dora und Benjamin sind seit 1930 geschieden, nach einer schrecklichen Schlammschlacht, über die er genau Bescheid weiß, weil er um diese Zeit ständig mit ihr in Kontakt war. Sie hat doch immer wieder gesagt, dass sie diesen Mann nie mehr wiedersehen, nie mehr ein Wort mit ihm wechseln wolle, hat sogar ihren Mädchennamen »Kellner« wieder angenommen, um nichts mehr mit ihm zu tun zu haben.

      Allerdings hat sie MenckenMencken, Henry Louis verschwiegen, dass sie sich bald wieder angenähert haben, schon 1931, ein gutes Jahr nach der Scheidung, dass sie seitdem immer in Korrespondenz standen, weil sie einfach nicht voneinander loskamen, dass Benjamin Dora oft in Sanremo besucht hat, wo sie sich gemeinsam um ihren Sohn StefanBenjamin, Stefan Rafael gekümmert haben, dem es im italienischen Exil zeitweise nicht gut ging, weil er Berlin, seine Schule und seine Kameraden so sehr vermisste. Benjamin, der zu jener Zeit meistens in Paris lebte, war oft krank und hatte wenig Geld. Dora hat ihm immer wieder geholfen, moralisch und finanziell. Sie hat sich um seine Papiere gekümmert, versucht, ihm Pässe zu beschaffen, hat beim deutschen Konsul für ihn gelogen, sich um amerikanische Aufträge für ihn bemüht.

      Jetzt hat sie seit Januar 1940 nichts mehr von ihm gehört. Sie hat sich ans Rote Kreuz gewandt. Ohne Erfolg. Was sie MenckenMencken, Henry Louis schamhaft verschweigt, schreibt sie im Februar 1941 an Egon WissingWissing, Egon:

      Wir haben Angst, dass er den Nazis in die Hände gefallen ist und

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