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Simon wirkte richtig aus der Bahn geworfen. „Krass.“

      JoJo war es sichtlich unangenehm. Er trat von einem Bein auf das andere, als ob er aufs Klo müsste.

      „Ich hatte da mal ein Problem mit meinem Computer ... Und da ihr Vater ja so ein Supercrack ist, dachte ich ...“

      Jetzt war der Fall klar. Bei der Vorstellung, ein paar Tage ohne Spiele und Internet zu verbringen, war er durchgedreht und hatte Mathemausi angerufen. Ihr Vater war Professor an der Universität. In der Zeitung hatte es einmal einen Artikel über ihn gegeben. Angeblich war er dabei, den schnellsten Computer der Welt zu bauen.

      „Selbst die Leute im Computerladen wussten nicht mehr weiter. Also dachte ich, ich versuch es mal bei MM, vielleicht kann sie ja ihren Vater fragen.“ JoJo hatte ganz rote Ohren bekommen. „Sie meinte nur ganz cool: ,Das krieg ich selber hin. Bring die Kiste mal vorbei.‘ Sie hat dann nur kurz reingeschaut und ein Teil ausgetauscht. Ich sag euch, das ist eine richtige Hackertante.“

      „Cool“, sagte Simon, „eine Hacktante können wir gut verbrauchen.“

      „Gebrauchen“, verbesserte ihn Motte. „Aber ... die ist doch voll komisch, oder?“

      JoJo zuckte nur mit den Achseln. „Ist doch egal, wir brauchen sie jedenfalls. Ich check mal, ob sie mitmacht. Wir sollten uns dann alle heute Nachmittag um drei bei dir treffen, zur strategischen Lagebesprechung.“

      „Zur was?“ fragte Motte.

      „Nun ja ... so heißt das eben bei den Profis.“ Mehr Erklärung hielt JoJo offenbar nicht für nötig.

      „Ich muss los“, sagte Simon. „Nala wartet mich.“

      Simon mit seiner Nala. Seit er das dreibeinige Rehkitz vor ein paar Tagen auf einem seiner Streifzüge durch die Natur aufgegabelt hatte, entwickelte er richtige Muttergefühle. Er hantierte mit Milchflaschen und Wärmedecken und schlug sich die Nächte um die Ohren, um das verunglückte Tierchen durchzubringen.

      Motte schaute auf die Uhr. „Ich muss auch los!“ – Es war höchste Zeit. Beim Mittagessen ließ Mama nicht mit sich spaßen. „Willst du nicht mit zum Essen kommen?“, fragte er JoJo im Gehen.

      JoJo machte ein Gesicht, als ob er eine Einladung zum Zahnarzt erhalten hätte. Erschrocken stammelte er: „Ach, lass mal ... ich bin auf Diät.“

Nala

      4. KAPITEL

      Die Lagebesprechung

      Was immer JoJo befürchtet haben mochte – es kam noch viel schlimmer. Eine echte Sternstunde des Familienlebens, ging es Motte durch den Kopf, als er zu Hause am Mittagstisch saß. Mama hatte eine ihrer berüchtigten Ökospezialitäten aufgefahren: Grünkernauflauf mit Sellerie, dazu Rettich mit Magerquark. Schon seit Jahren kochte sie nur noch vegetarisch. Fleisch machte ihrer Ansicht nach krank und dumm, und Zucker war das pure Gift. Die Regel war einfach: Je besser etwas schmeckte, umso giftiger war es.

      Heute war das Essen ganz besonders gesund. Und als Beilage gab es dazu Vaters schlechte Laune. Während des ganzen Essens kam kein einziges Wort über seine Lippen. Nur ab und zu ließ er ein leises Brummen hören, mit dem er wohl den Anschein erwecken wollte, dass er sich am Gespräch beteiligte. Aber in Wirklichkeit war er weit weg.

      Dafür quasselte Ute ununterbrochen. Sie schien gar nicht zu bemerken, wie gedrückt die Stimmung um sie herum war. Munter plauderte sie über ihre Lieblingsthemen: wer in ihrer Klasse in wen verknallt war, und welche Jungs sie süß fand, und was ihre Freundin Melanie wieder für tolle Sachen angehabt hatte und wo die her waren und wie viel sie gekostet hatten. Irgendwann kam natürlich auch wieder ihr Posterboy aus der Bravo dran – was für ein geiles Video sie von ihm entdeckt und wie schwer er es jetzt hätte, wo seine Tussi einen anderen geküsst hatte. Als Motte eine ironische Bemerkung dazu machte, geriet sie völlig außer sich: „Du hast ja keine Ahnung, wie sehr er jetzt leidet!“

      Der krönende, aber vorhersehbare Abschluss des Mittagessens war dann, dass Mama ihn zum Tischabräumen verdonnerte. Und das hieß natürlich, dass er vorher noch die Spülmaschine ausräumen durfte. Und den Tisch abwischen. Das volle Programm eben. Er protestierte zaghaft, seiner Meinung konnte eigentlich auch Ute einmal Hand anlegen, aber im Grunde wusste er schon, dass es mal wieder zwecklos war. „Ute hat heute so viele Hausaufgaben.“ Als ob er nichts aufhätte. Das Problem war, dass Mama auf dem Emanzentrip war. Mit regelmäßiger Hausarbeit wollte sie ihn vor dem schlimmsten Schicksal eines Mannes bewahren: ein Macho zu werden. Sie war schon immer schwer in Sorge gewesen, weil er nur mit Jungs befreundet war. Ihrer Ansicht nach drohten die „weiblichen Anteile“ in ihm zu verkümmern.

      Aber sonst war Mama ganz in Ordnung. Vor allem konnte sie über sich selber lachen. „Ich weiß ja, dass ich mir zu viele Sorgen um dich mache. Aber du bist nun mal mein einziger Sohn, da darf man das doch, oder?“

      Motte war gerade mit dem Tischabräumen fertig, als JoJo und Simon erschienen. Alle drei verschwanden sie schnell in Mottes Zimmer. Simon hatte in der einen Hand ein langes Etwas aus dunkelrotem Frotteestoff, das aussah wie eine überdimensionierte Socke, in der anderen eine Korbtasche, aus der zwei braune Öhrchen herausschauten.

      „Was bringst du denn da mit?“, fragte ihn Motte und beugte sich über die Tasche. „Ist das Nala?“

      Zwei große schwarze Augen schauten ihn an und ein feuchtes Schnäuzchen reckte sich über den Rand der Tasche und witterte vorsichtig.

      „Ja. Ich wollte ihr nicht allein lassen ... sie hat mich zur Mutter gewählt. Wenn ich weggehe, ist sie immer so traurig!“

      „Und was hast du mit dem Bogen vor?“ Motte deutete auf die Riesensocke. „Willst du Jagd auf diesen Peter machen?“

      „Nee, ich gehe nachher noch zu das Schießplatz.“

      Seit seiner Zeit in Amerika war Simon begeisterter Bogenschütze. Er trainierte zwei oder drei Mal die Woche auf dem Schießplatz des Sportclubs Niederhausen, meist am Nachmittag, wenn er sicher sein konnte, dass niemand von den bierbäuchigen Vereinsleuten zuschaute, die trotz ihrer Hightechbögen mit Flaschenzügen und Zielautomatik nicht annähernd so gut trafen wie er. Den Jagdbogen aus Rosenholz hatte er aus Amerika mitgebracht. „80 Pfund Zuggewicht“, hatte er Motte mit einem hintergründigen Lächeln erklärt, als der ihn einmal zum Training begleitet hatte. So sehr Motte sich auch anstrengte, er konnte die Sehne keine fünf Zentimeter spannen. Simon dagegen zog daran, als ob es Butter wäre und erzählte dabei, dass Leute mit solchen Bögen in Amerika auf Bärenjagd gingen. Er traf mit einer unglaublichen Präzision. Jedes Mal, wenn er den Pfeil in der Mitte der Scheibe versenkte, schüttelte er sich nur kurz die Haare aus der Stirn, als ob so ein Treffer überhaupt nicht der Rede wert wäre.

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      „Und? Macht MM mit?“, wandte sich Motte an JoJo.

      „Klar, Mann. Sie kommt aber ein bisschen später, sie hat noch irgendwas zu tun ...“

      „Bestimmt büffelt sie für Bio“, warf Motte ein.

      Die Jungs machten es sich auf dem Teppich unter dem Hochbett bequem. Motte erzählte seinen Freunden haarklein das ganze Horror-Mittagessen.

      „Echt krass“, seufzte JoJo. „Magerquark wäre mein Ende gewesen.“

      Simons einziger Kommentar war: „Beerdigung.“ Es sollte wohl so etwas wie Beileid bedeuten.

      Nala hatte sich in seine Arme gekuschelt und musterte mit ihren dunklen Augen aufmerksam die Umgebung. Ab und zu rappelte sie sich auf und hoppelte ein paar Schritte auf ihren drei Beinchen herum, um sich dann schnell wieder in Simons Arme zu flüchten.

      Um halb vier war MM immer noch nicht erschienen. Sie hatten gerade beschlossen, sie anzurufen, als die Zimmertür aufging. Motte hatte es schon

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