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      Kati Küppers

      und der gefallene

      Kaplan

      Barbara Steuten

      edition oberkassel

      Prolog

      Seine Knie zitterten, ebenso die Hände. Vor seinen Augen verschwamm das Türschloss, egal wie stark er dagegen anblinzelte. Die Zunge zwischen die Lippen geschoben, gelang es ihm endlich unter größter Anstrengung, den Schlüssel ins Schloss zu schieben. Dabei stützte er sich mit der Schulter am Türrahmen ab. Als er den Schlüssel umdrehte, sprang die Tür auf und schlug krachend gegen die Wand. Der Lärm explodierte in seinem Kopf.

      Kalt und dunkel lag der Raum vor ihm. Für einen Moment entspannte sich sein Körper, dann schüttelten ihn neue Krämpfe. Er stützte sich auf die nächste Holzbank. So schlimm war es noch nie. Er brauchte es jetzt!

      Das Verlangen nach Erlösung zwang ihn vorwärts. Neue Kraft. Ende des Schmerzes. Bald! Es zerfetzte ihn innerlich. Er schnappte nach Luft. Weiter!

      Matter Glanz leuchtete aus der offenstehenden Kellerluke und verhieß ihm das Ende seiner Qualen. Meter für Meter kämpfte er sich vorwärts.

      Endlich! Die Treppe zum Keller.

      »Christopher?«, presste er hervor. Keine Antwort.

      Bestimmt war er dort unten.

      Erstaunt riss er die Augen auf. Die Erkenntnis traf ihn plötzlich, hüllte ihn ein. Ein letzter mühsamer Atemzug, sein auslaufender Herzschlag, sein Körper im Flug, schwebend, frei, unaufhaltsam, abwärts. Die Treppe tanzte hin und her, drehte sich in endlosen Kreisen, löste sich auf. Dann war es dunkel.

      1

      Die ersten Lichtstrahlen bahnten sich einen Weg durch die Vorhänge, als er missmutig blinzelte und sich die heruntergerutschte Decke bis unters Kinn zog. Ein unangenehmer Druck auf beiden Schläfen hinderte ihn am Weiterträumen. Er drehte sich auf die andere Seite. Heute Morgen hatte er keine Termine. Warum sollte er aufstehen?

      Als das Telefon klingelte, gähnte er laut und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Am anderen Ende meldete sich die Küsterin und teilte ihm mit, dass Pater Remigius an einer Halsentzündung litte und kaum einen Ton herausbekäme. Er schaute auf die Uhr. Bis zur Messe blieben ihm vierzig Minuten. Knapp, aber zu schaffen. Im Grunde kam ihm diese unverhoffte Aufgabe gelegen. Zur Frauenmesse in der Kapelle kamen die treuesten Schäfchen der Gemeinde, und wenn er Glück hatte, war Frau Wilms unter ihnen. Letzte Woche hatte er mitbekommen, wie die alte Frau den Pfarrer um Arbeit angefleht hatte. Seitdem spielte Markus Overath mit dem Gedanken, ihre Dienste selbst in Anspruch zu nehmen. Zum einen, weil er sich mehr um die Jugend kümmern wollte. Obwohl man es aufgrund seiner Leibesfülle nicht vermutet hätte, lag dem jungen Mann mehr am Fußballspielen als am Putzen und Bügeln.

      Zum anderen war Cilli Wilms für die leckersten Eintöpfe und besten Kuchen der Gemeinde bekannt. Und nur weil Pater Remigius keine Haushälterin in seinem Refugium duldete, musste er als Kaplan noch lange nicht auf alle Annehmlichkeiten verzichten.

      Er schlurfte ins Badezimmer, strich in Gedanken das Frühstück und stellte sich unter die Dusche. Mit tropfnassen Haaren und einem Handtuch um die ausladenden Hüften betrat er zehn Minuten später die Küche. Er stellte den Wasserkocher an, füllte drei Löffel fair gehandelten Instant-Kaffee in eine Tasse, kippte das kochende Wasser darauf und rührte drei Teelöffel Zucker hinein. Im Schlafzimmer schlüpfte er in die am gestrigen Abend bereitgelegte Kleidung, die wie immer aus einem schwarzen Oberhemd mit Stehkragen und einer schwarzen Anzughose bestand. Das zugehörige Sakko wartete an der Garderobe im Flur auf seinen Einsatz. Der Geistliche setzte sich auf das ungemachte Bett und zog das letzte Paar schwarze Socken an, das er in der Schublade finden konnte.

      Dann eilte er zurück ins Bad. Mit dem Elektrorasierer fuhr er sich nachlässig über das stoppelige Kinn, föhnte seine fast schulterlangen Locken und kämmte das braune Haar mit Gel nach hinten. Einmal mehr betrachtete er sich im Spiegel und bedauerte, dass er nicht blond war. Er hätte es ansonsten durchaus mit dem Erzengel Gabriel in seinem Heiligenbuch aus Kinderzeiten aufnehmen können. Kaplan Overath seufzte, ging in die Küche und schüttete einen großen Schluck Milch in den abgekühlten Kaffee. Er kippte den Wachmacher hinunter, doch der Druck zwischen den Schläfen blieb, als er nach seinem Sakko griff, Handy, Schlüssel und Portemonnaie einsteckte und in die schwarzen Lackschuhe schlüpfte, die er als Kommunionkind so gerne getragen hätte, sich aber erst als Priesteranwärter leisten konnte.

      Seitdem ihn der Weihbischof förderte, konnte er sich auch einen Golf gönnen. Schwarz glänzte er mit seinen Schuhen um die Wette und brachte ihm die Bewunderung nicht nur der männlichen Messdiener ein. Jetzt half ihm der fahrbare Untersatz, rechtzeitig zur Kapelle am anderen Ende des Dorfes zu kommen.

      Als er die Tür der Sakristei aufriss, zuckte die Küsterin sichtbar zusammen.

      »Ah, Frau Küppers, guten Morgen.« Der Kaplan stürmte auf sie zu und schüttelte ihr die Hand.

      »Guten Morgen, Herr Kaplan. Gut, dass Sie einspringen konnten.«

      Der Priester grinste zufrieden und ließ seinen Blick über die Gewänder gleiten, die die Küsterin schon bereitgelegt hatte. Mitten auf dem weißen Untergewand, das zuoberst lag, prangte ein Riesenfleck. Gelbgrau mit einem bläulichen Heiligenschein außen herum. Sein Lächeln erstarb. Auf seiner Stirn bildete sich eine steile Falte. Wie konnte man nur so nachlässig seine Arbeit erledigen? Scharf zog er die Luft ein und versuchte, seiner Stimme einen barmherzigen Klang zu verleihen.

      »Das ist aber unschön. Haben Sie das nicht gesehen?«

      Die Küsterin zog die Augenbrauen hoch und schaute sich suchend um.

      »Was meinen Sie?«

      Kaplan Overath schüttelte ungläubig den Kopf und deutete auf das Untergewand.

      »Den Fleck. Mittendrauf. Sie brauchen dringend eine Brille, Frau Küppers, wenn Sie das nicht sehen.«

      Mit Genugtuung sah der Geistliche, wie die Küsterin die Schultern hängen ließ. Sie schien ihren Job wohl doch ernst zu nehmen. Hoffentlich kontaktierte sie noch heute ihren Augenarzt, um ihrer Fehlsichtigkeit Abhilfe zu verschaffen. Er schnaufte und glaubte, seiner Autorität damit mehr Gewicht zu verleihen. In seinen Schläfen pochte es immer noch. Irgendwer drehte den Schraubstock um seinen Kopf langsam enger.

      »Alles okay, Herr Kaplan?«, hörte er die Küsterin neben sich. Sie belauert mich, schoss es ihm durch den Kopf, und wartet nur darauf, dass ich etwas falsch mache … Er wandte sich ab. Ohne eine Erwiderung durchsuchte er die Taschen seines Jackets. Irgendwo ein Aspirin? Oder lieber noch … Nein, er wusste es besser. Er hatte nichts mehr. Muss Christopher gleich anrufen, beschloss er still. In der Innentasche fand er schließlich ein einsames Pfefferminzbonbon, schob es in den Mund und hängte sein Sakko an den Kleiderhaken. Direkt daneben auf der weißen Wand entdeckte er einen Fleck, gelbgrau mit einem bläulichen Heiligenschein außen herum. Wie auf dem Untergewand. Er schloss die Augen. Der Fleck blieb. Er fuhr sich mit den Händen übers Gesicht und atmete tief durch.

      »Es ist alles vorbereitet«, verkündete Kati Küppers das Offensichtliche. Sie teilte mit ihm die Vorliebe für schwarze Oberteile. So war man immer richtig angezogen, ob Taufe oder Beerdigung. Und schlank machte es auch noch, was sie im Gegensatz zu Kaplan Overath nicht nötig hatte. Allerdings peppte Kati ihre Garderobe mit langen, dicken Ketten, Schals in leuchtenden Farben und großen, extravaganten Ohrringen auf. Zu ihrem pfiffigen Kurzhaarschnitt in Grauweiß passte einfach alles. Und die farbige Ponysträhne, die sie gerne hinters linke Ohr steckte, wechselte den Farbton passend zum Nagellack.

      Sie öffnete den Schrank mit den Priestergewändern.

      »Ich suche Ihnen ein anderes Untergewand raus. Vielleicht hat das keinen Fleck.«

      »Schon gut.« Kaplan Overath winkte ab. »Nicht nötig.« Wieder fuhr er sich mit den Händen übers Gesicht. »Sie übernehmen Lesung und Fürbitten, Frau Küppers?«

      »Darüber wollte ich gerade mit Ihnen sprechen. Mit Pater Remigius hatte ich bereits vereinbart, dass ich nicht zur Messe bleibe. Es ist noch einiges vorzubereiten für das Taizé-Gebet

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