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      Heraklit ist wirklich eine ganz seltene Hochblüte. Er ist eine von den Seelen, die am weitesten nach oben gedrungen sind, einer von denen, die zum Mount Everest werden, zum höchsten Gipfel des Himalaja. Versucht ihn zu verstehen. Es ist sehr schwer. Nicht umsonst heißt Heraklit „der Dunkle“. Er ist aber keineswegs dunkel. Ihn zu verstehen ist deshalb schwierig, weil du dich auf eine andere Seinsebene begeben musst. Das ist das Problem. Es ist leichter, ihn als dunkel abzutun und sich anderen Dingen zuzuwenden.

      Es gibt zweierlei Menschen. Wer Aristoteles verstehen will, braucht sich nicht in seinem Sein zu ändern, man braucht nur Informationen zu speichern. Informationen über Logik, Philosophie usw. kann man sich in jeder Schule besorgen, dort kann man intellektuelles Verständnis anhäufen und dann Aristoteles verstehen. Man braucht sich nicht zu ändern, um ihn zu verstehen, man braucht nur ein wenig zusätzliches Wissen. Dein Sein bleibt das Gleiche, du bleibst der Gleiche. Du brauchst keine neue Dimension des Bewusstseins. Die ist nicht erforderlich.

      Aristoteles ist klar. Wer ihn verstehen will, braucht dazu nur ein wenig Anstrengung: Wer durchschnittlich intelligent ist, wer einen einigermaßen durchschnittlichen Kopf hat, kann ihn begreifen. Aber wer Heraklit verstehen will, begibt sich auf steinigen Boden, und wenn man bei ihm Wissen sucht, geht man leer aus. Es nützt nichts, nur ein äußerst gescheiter Kopf zu sein. Man braucht eine andere Seinsqualität. Und das ist die Schwierigkeit – man braucht ein verändertes Sein. Und so ist es leichter, Heraklit den „Dunklen“ zu nennen.

      Er ist nicht dunkel. Ihr befindet euch nur noch unterhalb der Seinsebene, auf der er verstanden werden kann. Wenn ihr diese Seinsebene erreicht habt, verschwindet plötzlich seine ganze Dunkelheit. Er gehört zu den strahlendsten Wesen überhaupt. Er ist nicht dunkel, er ist nicht undurchsichtig – ihr aber seid blind. Seid euch ganz im Klaren, dass ihr die Verantwortung auf ihn schiebt, wenn ihr sagt, er sei dunkel und dass ihr versucht, der Umwandlung zu entkommen, die durch die Begegnung mit ihm möglich wird. Sagt nicht: „Er ist dunkel“, sagt: „Wir sind blind“ oder „Unsere Augen sind geschlossen“.

      Dort ist die Sonne: Du kannst dich mit geschlossenen Augen vor die Sonne hinstellen und sagen, die Sonne sei dunkel. Oder es kommt vor, dass du mit offenen Augen in die Sonne blickst, aber das Licht ist so stark, dass deine Augen vorübergehend blind werden. Das Licht ist einfach zu stark, es ist unerträglich, und plötzlich wird alles dunkel. Die Augen sind offen, die Sonne scheint dich an, aber die Sonne ist zu viel für deine Augen, und so bist du in Dunkelheit.

      Und so ist es auch hier: Heraklit ist nicht dunkel. Entweder du bist blind oder deine Augen sind geschlossen oder es gibt die dritte Möglichkeit: Wenn du in Heraklit hineinblickst, ist er ein so strahlendes Wesen, dass deine Augen ganz einfach ihre Sehkraft verlieren. Er ist unerträglich, sein Licht ist zu viel für dich. Du bist so viel Licht nicht gewohnt, und so musst du ein paar Vorkehrungen treffen, bevor du Heraklit verstehen kannst. Und wenn er spricht, klingt es so, als spräche er wirr, als mache es ihm Spaß, Rätsel aufzugeben – denn er spricht in Paradoxen.

      Alle, die die Wahrheit wissen, sprechen in Paradoxen. Und das hat seinen Grund. Sie sprechen nicht in Rätseln, sie drücken sich sehr klar aus – aber was bleibt ihnen übrig? Wenn das Leben selbst paradox ist – was sollen sie machen? Man kann natürlich saubere und klare Theorien schaffen, nur um die Paradoxe zu vermeiden, aber diese Theorien stimmen dann nicht, sie können nicht mit dem Leben übereinstimmen. Aristoteles ist klipp und klar; er sieht wie ein französischer Garten aus. Heraklit sieht dagegen wirr aus, wie ein wild gewachsener Wald.

      Bei Aristoteles gibt es keine Schwierigkeit; er vermeidet jedes Paradox, er hat eine saubere und klare Lehre aufgestellt; das gefällt. Aber wenn man sich Heraklit aussetzt, bekommt man es mit der Angst zu tun, denn Heraklit öffnet die Tür des Lebens, und das Leben ist paradox. Buddha ist paradox, Laotse ist paradox. Alle, die die Wahrheit wissen, müssen notgedrungen in Paradoxen sprechen. Was können sie sonst tun? Wenn das Leben selbst paradox ist, müssen sie sich nach dem Leben richten.

      Und das Leben ist nicht logisch. Es ist ein Logos, aber keine Logik. Es ist ein Kosmos, kein Chaos – aber auf keinen Fall ist es Logik. Das Wort Logos muss erklärt werden, denn Heraklit gebraucht es häufiger. Und der Unterschied zwischen Logos und Logik muss ebenfalls geklärt werden. Logik ist eine Lehrmeinung über das, was wahr ist; und Logos ist die Wahrheit selbst. Logos ist existenziell. Logik ist nicht existenziell; Logik ist intellektuell, theoretisch. Versucht, das zu verstehen. Wenn man das Leben sieht, sieht man auch den Tod. Wie kann man den Tod ausklammern? Wenn man das Leben anschaut, ist er darin enthalten. Jeder Augenblick des Lebens ist auch ein Augenblick des Todes; Leben und Tod lassen sich nicht trennen. Und das ist verwirrend. Leben und Tod sind nicht zwei voneinander getrennte Erscheinungen: Sie sind die zwei Seiten ein und derselben Münze, zwei Ansichten der gleichen Medaille.

      Wer tief in dieses Phänomen eindringt, erkennt, dass Leben Tod und Tod Leben ist. In dem Augenblick, wo du geboren wirst, hast du zu sterben begonnen. Und daraus folgt, dass du wieder zu leben beginnst, wenn du stirbst. Wenn im Leben der Tod enthalten ist, dann muss auch im Tod das Leben enthalten sein. Sie gehören zusammen, sie ergänzen sich gegenseitig. Leben und Tod sind wie zwei Flügel oder wie zwei Beine, du kannst dich nicht nur mit dem rechten oder dem linken Bein vorwärts bewegen.

      Im Leben gibt es keine Rechten oder Linken, sondern nur beide zugleich. Man kann eine Weltanschauung haben, die einen zu einem ‚Rechten‘ oder ‚Linken‘ macht. Aber Weltanschauungen stimmen nie mit dem Leben überein und können es auch nicht, denn eine Weltanschauung muss notwendigerweise sauber, klar und schlüssig sein. Aber das Leben ist nicht so, das Leben ist grenzenlos. Einer der größten Dichter der Welt, Walt Whitman, sagt irgendwo: „Ich bin widersprüchlich, denn ich bin grenzenlos.“

      Durch Logik beengst du deinen Horizont und du kannst nicht mehr grenzenlos sein. Wenn du Angst hast dir zu widersprechen, kannst du nicht grenzenlos sein. Dann musst du wählen, musst du verdrängen, musst du das Gegenteil vermeiden, musst du es verstecken. Aber ist es schon dadurch aus der Welt, dass du es verdrängst? Wirst du etwa nicht sterben, nur weil du dem Tod nicht ins Auge blickst?

      Du kannst den Tod vermeiden, du kannst ihm den Rücken zukehren, du kannst ihn dir ganz aus dem Kopf schlagen … Darum sprechen wir ja auch nicht vom Tod. Das gehört sich nicht. Wir sprechen nicht davon, wir scheuen uns davor. Der Tod geschieht jeden Tag, er geschieht überall, aber wir meiden ihn wo wir können. Sobald jemand stirbt, haben wir es eilig, mit ihm abzuschließen. Wir verlegen die Friedhöfe außen vor die Stadt, damit niemand hingeht. Und dort machen wir Gräber mit Marmortafeln und meißeln schöne Sprüche darauf. Wir gehen hin und legen Blumen auf das Grab. Und was bedeutet das? Ihr versucht, alles ein wenig auszuschmücken.

      Der Westen hat einen Beruf daraus gemacht, den Tod zu verdrängen. Es gibt Leute, die einem berufsmäßig helfen, den Tod zu vermeiden. Sie verschönern die Leiche, sodass sie wieder lebendig aussieht. Was macht ihr da? Meint ihr, dass das irgendwie weiterhelfen kann? Den Tod gibt es. Die Reise geht zum Friedhof; wo ihr ihn hinverlegt, macht keinen Unterschied, hinkommen tut ihr doch. Du bist schon unterwegs dahin, du stehst in der Schlange und wartest auf den Augenblick des Todes, wartest in der Schlange der Sterbenden. Wohin willst du dich vor dem Tod flüchten?

      Aber die Logik versucht klar zu sein; und nur um klar zu sein, klammert sie aus. Sie sagt: Leben ist Leben und Tod ist Tod, es sind zwei getrennte Erscheinungen. Aristoteles sagt: A ist A, es kann niemals B sein. Dieses Prinzip wurde zum Grundstein des gesamten westlichen Denkens: Meide den Widerspruch – Liebe ist Liebe, Hass ist Hass; und Liebe kann niemals Hass sein.

      Das ist töricht, denn alle Liebe schließt Hass ein – sie muss ihn einschließen; das ist naturgegeben. Du liebst jemanden und du hasst denselben Menschen. Du musst es tun, du kannst es nicht vermeiden. Wenn du es vermeiden willst, wird alles verlogen. Aus diesem Grund ist eure Liebe zur Lüge geworden: Sie ist nicht ehrlich, sie ist nicht authentisch; sie kann nicht aufrichtig sein, sie ist nur Fassade. Warum ist sie nur Fassade? Weil ihr die Kehrseite leugnet.

      Du sagst: „Du bist mein Freund, und ein Freund kann kein Feind sein. Und du bist mein Feind, du kannst nicht mein Freund sein!“ Aber das sind nur die zwei Seiten derselben Medaille. Der Feind ist ein versteckter Freund und der Freund ist ein versteckter Feind. Die andere Seite versteckt ihr, aber es gibt

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