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eine Forschungsexpedition zur Antarktis ausgesandt wurde. Keiner wusste damals, was sie dort erwartete. Neben ersten Kenntnissen von der Antarktischen Halbinsel lagen bislang nur wenige, völlig vereinzelte Küstensichtungen entlang des Südpolarkreises vor. Nachdem eine britische Expedition bereits am 31. Juli London mit dem gleichen Ziel verlassen hatte, und eine schwedische Expedition am 16. Oktober nach Süden folgte, waren die Erwartungen allseits hochgesteckt. Deutschland sollte als aufstrebende Seemacht unter Kaiser Wilhelm II. dem politischen Rivalen Großbritannien zeigen, dass es bei der Erforschung unbekannter Regionen Ebenbürtiges leisten könne.

      Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war die Zeit reif, um den letzten weißen Flecken auf dem Globus, die »Terra australis incognita« zu erforschen. Neumayer war derjenige, der sich seit 1865 auf der ersten Geographentagung in Frankfurt/Main unermüdlich dafür einsetzte. Allerdings lag zu diesem Zeitpunkt die Erforschung der unbekannten Arktis buchstäblich näher, die vor allem von August Petermann eingefordert wurde, um seine These vom offenen Polarmeer zu verifizieren. Er initiierte die erste deutsche Nordpolar-Expedition, die 1868 die Gewässer zwischen Ostgrönland und Spitzbergen erforschte, weil die damaligen Eisverhältnisse an der grönländischen Küste keine Anlandung zuließen. Die Küste sollte aber unbedingt erreicht werden, sodass die nachfolgende Expedition 1869 mit zwei Schiffen aufbrach, um die unbekannte Ostküste nach einer vorgegebenen Instruktion soweit wie irgend möglich nach Norden zu verfolgen. Allerdings verloren sich beide Schiffe aus den Augen. Die »Hansa« wurde vom Eis zerdrückt, sodass die Mannschaft auf einer Eisscholle überwintern musste, die langsam an der Küste nach Süden driftete. Schließlich konnten sich Männer mit ihren Rettungsbooten zu einer Missionsstation der Herrnhuter Brüdergemeine am Südzipfel Grönlands retten. Das zweite Schiff hatte von alldem nichts gewusst und gelangte zur Küste. Dort wurde der Kaiser-Franz-Josef-Fjord entdeckt und ein weiter Küstenabschnitt bis 77° N kartiert.

      Die deutsche Südpolarforschung kam erst in der Osterwoche 1895 in Gang, als der 11. Deutsche Geographentag vom 17.–20. April in Bremen zusammentrat, um aktuelle Forschungsergebnisse und neue Projekte zu diskutieren. Neumayer eröffnete mit seinem Vortrag eine spezielle Sitzung, die sich der wissenschaftlichen Erforschung der Antarktis widmete. Zweiter Redner war der Berliner Geograph Erich von Drygalski, der zusammen mit dem dritten Redner Ernst Vanhöffen, einem Biologen, 1892–1893 in Grönland überwintert hatte, um die Bewegung des Inlandeises und kleinerer lokaler Gletscher zu untersuchen. Drygalski erläuterte die Probleme des Eises und die Aufgaben einer künftigen Südpolarforschung, während sein Freund Vanhöffen das biologische Interesse an dieser völlig unbekannten Region skizzierte. Die Sitzung verlief sehr erfolgreich, sodass anschließend unter Neumayers Vorsitz die Deutsche Kommission für Südpolarforschung (DKSF) mit dem Ziel gegründet wurde, eine deutsche Antarktisexpedition in die Wege zu leiten. Die erste Besprechung der Kommission fand noch in Bremen statt, drei weitere folgten in Berlin.

      Ende Juli 1895 lud Sir Clements Markham, Präsident der Royal Geographical Society, Neumayer ein, während des VI. Internationalen Geographen-Kongresses in London einen Vortrag über die Südpolarforschung zu halten. Nach den Antarktisexpeditionen während des sogenannten magnetischen Kreuzzuges, als um 1840 unter der Leitung des Franzosen Jules Sébastian César Dumont d’Urville, des Amerikaners Charles Wilkes und des Briten James Clark Ross der Magnetpol auf der Südhalbkugel gesucht wurde, sowie den Robbenschlag- und Walfangexpeditionen seit den 1880er-Jahren sollte nun die wissenschaftliche Erforschung des Südpolargebietes wieder aufgenommen werden. Damals wusste man ja nicht einmal, ob die Antarktis ein mit Eis bedeckter Kontinent oder ein riesiges mit Eis gefülltes Atoll war. Beispielsweise bezeichneten die damaligen englischen Landkarten das Gebiet um den Südpol herum neutral mit »Antarctica«, während in deutschen Karten »Südliches Eismeer« oder »Unerforschtes Gebiet« geschrieben stand.

      Der Kongress in London wurde ein wichtiger Meilenstein für die Polarforschung. Nur zu gerne berichtete Neumayer vor der internationalen Hörerschaft von den neuesten Entwicklungen in Deutschland und dem Plan, dass eine Expedition mit zwei Schiffen von den Kerguelen im Südindischen Ozean aus nach Süden vordringen solle. Außerdem betonte Neumayer die Vorteile einer internationalen meteorologisch-magnetischen Kooperation nach dem Vorbild des Internationalen Polarjahres, als vom Sommer 1882 bis Sommer 1883 zehn Nationen am Rande des Arktischen Ozeans zwölf Beobachtungsstationen für die Dauer von dreizehn Monaten eingerichtet hatten und deren Ergebnisse inzwischen vorlagen. Wissenschaftlich gesehen lag es auf der Hand, dass man ein so großes Gebiet wie die Antarktis nicht mit einer Expedition allein erforschen könnte. Im politischen Zusammenhang durfte aus britischer Sicht eine solche prestigeträchtige Unternehmung nicht anderen Nationen überlassen werden, und schon gar nicht einer aufstrebenden und rivalisierenden Seemacht, wie es Deutschland seinerzeit war. Durch Neumayers Ausführungen versprach sich Markham Unterstützung seiner eigenen Pläne, eine britische Expedition auszurüsten. Sein Plan ging auf, denn die anwesenden Geographen boten Hilfeleistung, indem sie folgende Resolution beschlossen:

      »Der zu London 1895 versammelte VI. internationale geographische Kongress hält die Erforschung der antarktischen Regionen für das bedeutendste der noch zu lösenden geographischen Probleme und empfiehlt, in Anbetracht der aus derselben voraussichtlich für alle Disziplinen entstehenden Vortheile, dass die verschiedenen wissenschaftlichen Gesellschaften der ganzen Welt auf dem ihnen am wirksamsten erscheinenden Wege danach streben, diese Aufgabe vor Schluss des 19. Jahrhunderts gelöst zu sehen.«

      Allerdings war das britische Engagement zunächst sehr zögerlich. Auch das DKSF kam nicht recht voran, weil der Umfang der Expedition hinsichtlich der Anzahl der Schiffe und der Beschaffung der erforderlichen Geldmittel noch nicht festgelegt werden konnte, denn Neumayers vehemente Forderung von zwei Schiffen trieb die Kosten ums Doppelte nach oben. Die zweite deutsche Nordpolar-Expedition hatte jedoch gelehrt, dass ein zweites Schiff keineswegs die sichere Heimkehr aller Beteiligten garantierte. Schließlich wollte ein Aktionskomitee, das auf der fünften Sitzung der DKSF in Jena (1896) gegründet wurde, die konkrete Suche nach Sponsoren in die Hand nehmen.

      Im August 1896 meldeten Schlagzeilen, dass der Norweger Fridtjof Nansen, der 1893 an Bord der »Fram« in Richtung Nordpol aufgebrochen war, gesund heimgekehrt sei. Die »Fram« war planmäßig im Eis eingefroren und nach Norden gedriftet, aber nicht weit genug, sodass Nansen zusammen mit dem Seemann Hjalmar Johansen das Schiff verließ, um mit Schlitten und Kajak zum Pol zu gelangen. Sie mussten jedoch bei 86° 04' N umkehren und auf Franz-Josef-Land überwintern, wo sie schließlich von Frederick Jacksons Expedition (1895–1897) gerettet wurden. Inzwischen war die »Fram« wieder freigekommen und gelangte in derselben Woche nach Tromsø zurück wie auch Nansen.

      Im darauffolgenden Jahr brach die belgische Expedition (1897–1899) unter der Leitung von Adrien de Gerlache de Gomery auf, um einen Beitrag zur Lösung der Millenniumsaufgabe der Geographen zu leisten. Er hatte den polarerfahrenen Arzt Frederick Cook an Bord, der 1891–1892 Robert Peary nach Nordgrönland begleitet hatte. Gerlaches Expedition wird nach der Erforschung der Antarktischen Halbinsel überraschend westlich von Graham Land vom Eis festgesetzt und muss dann als erste in antarktischen Gewässern überwintern.

      Als die DKSF am 19. Februar 1898 in Leipzig ein letztes Mal tagte, wurde Drygalski schließlich zum Expeditionsleiter ernannt, der ab sofort die konkrete Planung der Südpolarexpedition in die Hand nehmen sollte. Erst drei Tage zuvor wurde er unter Vorlage der Ergebnisse seiner Grönlandexpedition in Berlin habilitiert und hatte dadurch die äußerliche akademische Befähigung erlangt, eine so kostenträchtige Expedition ins Ungewisse zu leiten. Als deutsches Prestigeobjekt konnte sie ja nicht von einem jungen, erst 33-jährigen »Dr.« geleitet werden. Die Teilnehmer der beiden Nordpolarexpeditionen kamen dafür nicht mehr in Frage, und sonst gab es keine Persönlichkeit in Deutschland, die genügend Polarerfahrung mitbrachte. Neumayer zog sich nun von der Planung zurück und überließ dem rund vierzig Jahre jüngeren Expeditionsleiter die weitere Organisation, wobei anfangs noch manche Diskussionen auszufechten waren. Drygalski wurde jedoch volle Handlungsfreiheit gewährt, sodass er zunächst die Verwendung nur eines Schiffes durchsetzte, auf die er seinen Kostenplan abgestimmte. Drygalskis Kostenvoranschlag sah außer dem Bau des ersten deutschen Polarforschungsschiffes »Gauß« auch eine erdmagnetisch-meteorologische Basisstation auf den Kerguelen im Südindischen Ozean vor. Daneben sollte ein kleiner Beitrag für die zusätzliche erdmagentisch-seismologische Station auf Samoa geleistet werden, die von

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