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Butler Parker – 100 –

      Günter Dönges

      Parker stoppt den Amokläufer

      Agatha Simpson sah auf den ersten Blick, daß der Fahrer offensichtlich volltrunken war.

      Der kleine Sportwagen raste in wilden Schlangenlinien über die schmale Straße und rasierte mehrfach die hohen Hecken, die die Fahrbahn in Richtung Torquay säumten. Das alles schien dem Mann am Steuer überhaupt nichts auszumachen. Er jagte mit seinem Sportwagen von einer Seite auf die andere und ignorierte den Gegenverkehr in beinahe selbstmörderischer Weise.

      Neben dem Fahrer saß ein zweiter Mann, der sich ängstlich zusammenduckte und verzweifelt festhielt. Er brüllte dem Fahrer gerade etwas zu, als es passierte.

      Lady Agatha sträubten sich die Nackenhaare, als die beiden Tramper aus dem kleinen Seitenweg kamen.

      Sie ahnte, was passieren mußte.

      Agatha Simpson winkte den beiden Trampern verzweifelt zu und wollte sie warnen.

      Sie merkten nichts, reagierten zu spät und dazu noch falsch, ließen sich von Lady Simpson ablenken und winkten lachend zurück.

      Bruchteile von Sekunden später war alles vorbei.

      Die beiden Tramper in Jeans und Pullovern sahen den Wagen, wollten noch zurückspringen, schafften es aber nicht mehr …

      Die Lady schloß die Augen und hörte ein häßliches Geräusch: das Kreischen der Bremsen, das Radieren der blockierenden Pneus und dann einen verzweifelten, erstickten Aufschrei.

      Als Agatha Simpson wieder die Augen öffnete, raste der Sportwagen gerade an ihr vorüber.

      Sie konnte das Gesicht des Fahrers deutlich erkennen. So deutlich wie bei einer Großaufnahme. Es war ein weiches, schlaffes Gesicht mit halb geschlossenen Augen und einem schmalen, arrogant wirkenden Oberlippenbärtchen.

      Der Fahrer kurvte auf die Lady zu, die sich mit einem wilden Satz in Sicherheit brachte.

      Sie landete tief in einer weichen, nachgiebigen’ Hecke und brauchte einige Zeit, bis sie sich wieder zur Straße zurückgearbeitet hatte.

      Ihr erster Blick galt den beiden Trampern.

      Sie lagen in seltsam verkrümmter Haltung auf dem Asphalt und rührten sich nicht mehr.

      Agatha Simpson wußte sofort, was das zu bedeuten hatte. Dennoch lief sie quer über die Fahrbahn auf die beiden Menschen zu. Es zeigte sich bei dieser Gelegenheit, daß die alte Dame ungewöhnlich gut zu Fuß war.

      Bevor sie die beiden Tramper erreicht hatte, erschienen zwei Passanten an der Unglücksstelle. Sie kamen aus dem schmalen Seitenweg, den die beiden Tramper verlassen hatten. Es handelte sich vermutlich um ein Ehepaar, das etwa 60 Jahre alt war.

      Die Frau wurde ohnmächtig, als sie die Verunglückten sah. Der Mann konnte sie gerade noch auffangen und legte sie behutsam nieder. Inzwischen hatte Agatha Simpson die Stelle erreicht.

      Auch ihr wurde flau im Magen.

      Die beiden Tramper waren gnadenlos zusammengefahren worden und mußten gleich tot gewesen sein. Es waren noch junge Menschen, vielleicht knapp 20 Jahre alt.

      Agatha Simpson brauchte all ihre Kraft, um nicht ihre Selbstbeherrschung zu verlieren.

      *

      »Konnte man inzwischen den Fahrer des Wagens ermitteln, Mylady?« erkundigte sich Butler Parker, nachdem die Detektivin ihre Geschichte beendet hatte.

      Parker servierte den nachmittäglichen Tee auf der Terrasse von Lady Simpsons Haus, das oberhalb von Torquay an den Hängen eines sanften Hügels lag. Man mußte schon genau hinsehen, um nicht der Illusion zu erliegen, an der französischen Mittelmeerküste zu sein. Palmen und subtropische Pflanzen aller Art deuteten nämlich unverwechselbar darauf hin. Dennoch war die Gegend die Südküste Englands, in der Nähe von Plymouth. Und nicht umsonst erfreute sich diese Stadt der Bezeichnung »Perle der englischen Riviera«. Die ständig arbeitende Zentralheizung des Golfstroms schuf alle Voraussetzungen für persönliches Wohlbefinden.

      Agatha Simpson besaß dieses Haus an der Küste seit vielen Jahren und war zusammen mit ihrem Butler und ihrer Gesellschafterin hierher gekommen, um sich von einigen aufregenden Abenteuern in Frankreich zu erholen. Mylady betätigte sich nämlich gewollt-ungewollt als sehr begabte Amateurdetektivin und wich grundsätzlich keinem Ärger aus. Dabei zeigte die Engländerin einen Mut, der in Parkers Augen schon an bodenlosen Leichtsinn grenzte.

      »Dieses Subjekt entzog sich seiner Verantwortung durch Fahrerflucht«, beantwortete Mylady die Frage ihres Butlers, »und wagen Sie es nicht, Mister Parker, mich jetzt nach dem Kennzeichen des Wagens zu fragen.«

      »Wie Mylady befehlen«, gab Parker gemessen zurück.

      »In der ganzen Aufregung habe ich auf das Kennzeichen überhaupt nicht geachtet.«

      »Zumal Sie sich ja in der Hecke befanden, Mylady«, erinnerte ihre Gesellschafterin.

      Kathy Porter, Myladys Gesprächspartnerin, war etwa 25 Jahre alt und sah mit ihren kupferroten Haaren sehr attraktiv aus. Dennoch wirkte sie stets wie ein scheues, verwundbares Reh. Sie lebte schließlich in ständiger Sorge um ihre Chefin, deren spontane Entschlüsse sie viel Nerven kosteten.

      »Dafür weiß ich aber sehr genau, wie dieses Subjekt am Steuer aussieht«, redete Agatha Simpson grimmig weiter. »Dieses Gesicht werde ich wohl nie vergessen.«

      »Gibt es weitere Augenzeugen, Mylady?« Parker stand höflich und würdevoll neben dem Tisch.

      »Ein älteres Ehepaar«, erwiderte die Besitzerin des Hauses. »Als die Polizei am Tatort erschien, war es noch immer nicht vernehmungsfähig.«

      Lady Simpson schob die Teetasse zurück und stand auf. Sie marschierte auf ihren stämmigen Beinen hinüber zur Brüstung der Terrasse und sah auf die See hinaus.

      Parker ahnte, was kommen mußte.

      Kathy Porter sah den Butler an und hob hilflos-ergeben die Schultern.

      »Mister Parker!« Agatha Simpson hatte ihren Entschluß also gefaßt. »Mister Parker! Ich bestehe darauf, daß dieser Mörder zur Rechenschaft gezogen wird.«

      »Auf die vorzügliche Arbeit der englischen Polizei können Mylady sich voll und ganz verlassen«, warf Parker ein.

      »Papperlapapp«, Agatha Simpson war empört. »Diese Mühlen der Gerechtigkeit mahlen mir etwas zu langsam. Wir werden uns um den Fall kümmern.«

      »Wie Mylady meinen.«

      »Sie sind mit meinem Vorschlag nicht einverstanden?«

      »Nicht unbedingt, Mylady, wenn ich es so freimütig ausdrücken darf. Mylady sollten sich vielleicht etwas schonen.«

      »Halten Sie mich etwa für eine alte Frau?« Die Detektivin drehte sich entrüstet zu Parker um und maß ihn mit flammenden Blicken. »Mit Ihnen, Mister Parker, nehme ich es noch jederzeit auf.«

      »In der Tat, Mylady!«

      »Also, dann an die Arbeit«, entschied Agatha Simpson kriegerisch. »Dieses Subjekt muß doch zu finden sein.«

      *

      Die Sechzigjährige war schon eine sehr bemerkenswerte Dame.

      Rein figürlich erinnerte sie an eine Heroine längst vergangener Theaterzeiten. Sie stand auf kräftigen Beinen voll im Leben. Und ihre großen Füße steckten in handgemachten Schuhen, deren derbe Qualität an die von einfachen Schnürschuhen erinnerte. Agatha trug mit Leidenschaft Kostüme der Haute Couture, die an ihrer majestätischen Figur allerdings immer etwas zu faltenreich herunterhingen.

      Lady Simpson konnte sich diese Extravaganzen durchaus leisten.

      Seit dem Tode ihres Mannes vor vielen Jahren war sie eine vermögende Frau, die mit dem Geldadel Englands verschwistert und verschwägert war. Als Schwester des inzwischen ebenfalls verblichenen Earl of Budness verfügte sie über umfangreiche Beteiligungen an Brauereiunternehmen, Reedereien und Fabriken. Die Erlöse daraus speisten einen von ihr gegründeten Fonds, aus dem begabte,

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