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Dritte Transformation findet gerade statt. Nach Ende der Zweiten Transformation hat es – dank eines ungeheuren Schubs in der Informations- und Telekommunikationstechnik – nur zehn Jahre gedauert, bis Burnout in der Mitte der Gesellschaft ankam. Ich würde den Anfang auf den Zusammenbruch der Internetblase im Jahr 2000 datieren. Das war ein starkes wirtschaftliches Signal der Veränderung. Noch mehr erschüttert, allerdings politisch, wurde die Welt durch die Anschläge des 11. September 2001. Deren seismografische Wellen sind bis heute spürbar und haben die wirtschaftlichgeistige Unsicherheit leider nicht geschwächt, sondern im Gegenteil noch verstärkt. Da jede Transformation bislang mehrere Jahrzehnte gedauert hat, gehe ich auch für die aktuelle Dritte von einer Dauer bis mindestens ins Jahr 2025 aus. Erst dann werden wir in der Masse individuelle und kollektive Methoden entwickelt haben und Arbeit, Technik sowie soziales Zusammenleben entsprechend organisieren und gehirngerecht nutzen.

      Der Kern der Dritten Transformation besteht in der Konfrontation des menschlichen Geistes mit der dichtesten, schnellsten und gleichzeitig abstraktesten Vernetzung, derer er sich je gegenübersah. Alle drei Transformationen veränderten die menschliche Psyche enorm. Stellt man sich die Transformationen als Himmelskörper vor, die auf die Erde prallen, so wäre die Erste Transformation (= Industrialisierung) ein eher kleiner Asteroid, der einen folgenlosen Krater hinterlässt. Die Zweite Transformation (= Dienstleistungsgesellschaft) wäre schon ein größerer Brocken, der ein Land in Mitleidenschaft ziehen könnte. Die Dritte Transformation (= globale Vernetzung) hätte das, was die Astronomie einen deep impact nennt: Er würde das Leben auf dem gesamten Planeten beeinflussen.

      Diese Analogie soll nicht vermitteln, dass die Dritte Transformation katastrophal enden wird oder dass sie per se etwas Schlechtes ist. Im Gegenteil. Die Dritte Transformation gibt uns die Chance, uns ganz neu mit unserem Lebensstil, unserer Art zu wirtschaften und zu kommunizieren auseinanderzusetzen. Sie hat nur viel mehr Wucht als ihre beiden Vorgänger. Denn noch nie waren die Zeiten so günstig für den mentalen »perfekten Sturm«: Auflösung bisheriger Familienstrukturen, dauerhafte wirtschaftliche Unsicherheit, ein Trommelfeuer aus Information und Kommunikation, massive technologische Veränderungen in kurzer Zeit sowie massiver Vertrauensverlust in politische und religiöse Autoritäten. Dennoch stecken darin auch Chancen – wenn wir uns geistig »über Wasser« halten können. Die hauptsächliche Herausforderung der Dritten Transformation besteht im Übergang von der Dienstleistungs- und Wissensarbeit hin zu den »vernetzten Köpfen« und einer vollständigen Globalisierung von Kommunikation, Märkten und politischen Entscheidungen – vom einzelnen Menschen und seinem Verstand (mind) hin zum vernetzten Denken (networked mind).

       Das »vernetzte Denken« als Zukunftsmodell des 21. Jahrhunderts

      Das »vernetzte Denken« beschreibt unter anderem eine Forschungsgemeinschaft der Universität Oxford als wegweisend für das 21. Jahrhundert: »The networked mind is the new mindset we all require in the 21st century. Given the proliferation of Web-based technologies such as blogs, wikis and social networking tools in our daily lives, these technologies have become a cause for all praise, scorn and worry. What would it become and what would be the cultural ramifications of its pervasive use? […] In this century, chance favors the networked mind; so let’s take the opportunity to continually remain students ourselves, testing and sharing best practices for new forms of engagement.«13

      Die Autoren fordern ihre Leser auf, sich selbst immer wieder als Lernende, nicht nur als Lehrende zu betrachten. Die Halbwertszeit des menschlichen Wissens wird immer kürzer, wir müssen neue Erkenntnisse immer schneller akzeptieren und in unsere Praxis integrieren. Auch dieser Befund verdeutlicht das Große, das Drängende, die umspannende Veränderung innerhalb der Dritten Transformation.

      Die Brisanz des Themas zeigt sich unter anderem auch in der epidemischen Zunahme von »psychischen Störungen« von Burnout über Depressionen, Angststörungen, psychosomatischen Leiden bis hin zu Suizidversuchen. Auch wenn man eine genauere Diagnostik und eine bessere Selbstbeobachtung des Einzelnen in Rechnung stellt, fällt die massive Zunahme im Bereich der psychischen Störungen doch auf. Das Gehirn wird zum zentralen Leidensorgan des 21. Jahrhunderts (nachdem die körperlichen Zivilisationskrankheiten wie Diabetes oder Fettleibigkeit uns nun ein halbes Jahrhundert begleitet haben). Ich behaupte: Geistige Leiden wie Depression oder Burnout werden noch mehr zunehmen, als dies ohnehin bereits der Fall ist. Sprach George Beard während der Ersten Transformation von »Neurasthenie« und Herbert Freudenberger 1974 von »Burnout«, würde ich das heutige Phänomen aufgrund seiner massenhaften Verbreitung »Struktureller Burnout« nennen. Diesen massenhaften Burnout zurückzudrängen und den Menschen ihr Wohlbefinden und ihre Handlungsfreiheit wiederzugeben, ist das zentrale Anliegen, das maximale Bestreben, dem wir uns innerhalb der Dritten Transformation widmen müssen. Erst wenn wir das verstanden haben, können wir die entscheidenden Fragen stellen. Zum Beispiel: Welche Veränderungen bringt die Dritte Transformation für Unternehmen?

       Veränderungen durch die Dritte Transformation

      Ein kleines Gedankenspiel soll das Modell der Transformation verdeutlichen. Nehmen wir an, Ihr Auto muss in die Werkstatt. Nichts Großes, aber es muss gerichtet werden. Sie fahren hin, geben Ihr Auto ab und warten. Vielleicht sehen Sie Leute in der Werkstatt arbeiten und trinken einen Kaffee. Schließlich nehmen Sie wieder Ihr Auto in Empfang und fahren los. Ohne es zu bemerken, waren Sie Zeuge aller drei bedeutenden Transformationen der jüngeren Industriegeschichte:

      

Ein Werkstattmitarbeiter wuchtete mit Muskelkraft Ihre Reifen herunter und anschließend wieder herauf. Die Muskelkraft war das Kennzeichen der Arbeit vor der Industrialisierung: Landwirtschaft, Handwerk, Kriege trugen alle die Handschrift der Muskelkraft; Maschinen spielten so gut wie keine Rolle.

      

Dies änderte sich mit der Ära der Industrialisierung Ende des 19. Jahrhunderts (begonnen hatte die Industrialisierung allerdings schon im 18. Jahrhundert, unter anderem mit der Erfindung der Dampfmaschine). Nun rückten Fabriken und Maschinen in den Mittelpunkt. Wo vorher mehrere Menschen nötig waren, um etwas zu produzieren, erledigten das nun Maschinen zu einem Bruchteil der Zeit und der Kosten. In unserem Beispiel bringt der Werkstattmitarbeiter die Schrauben an Ihren Reifen nicht mehr mühsam mit einem Schraubenschlüssel an, sondern mit einem leistungsstarken Akkuschrauber. Was früher anstrengend war und mehrere Minuten dauerte, ist nun innerhalb von Sekunden mit einer geeigneten Maschine erledigt.

      

Während Sie auf Ihr Auto warten, sitzen Sie vielleicht in einem bequemen Sessel, eine Assistentin bringt Ihnen Kaffee und Sie lesen ein wenig in der Zeitung. Dies symbolisiert die Phase der Dienstleistungen und der Wissensarbeit, die Mitte bis Ende des 20. Jahrhunderts immer wichtiger wurden. Nachdem die Maschinen einen enormen Produktivitätsschub gebracht hatten, entwickelten sich für Menschen neue Tätigkeitsfelder, unter anderem alle möglichen Servicetätigkeiten und Beratungsdienstleistungen.

      

Die letzte Phase, in die wir erst einzutreten begonnen haben, wird als Vernetzung der Menschen und Maschinen untereinander in den nächsten Jahrzehnten einen Höhepunkt erreichen (»networked mind«). Die Zukunft Ihres Werkstattbesuches könnte daher so aussehen, dass Sie nicht mehr von einem echten Menschen empfangen werden, sondern von einem Hologramm (das natürlich ebenso freundlich ist und dazu immer gut gelaunt). Sie bezahlen auch nicht mehr mit Geld oder Karte, sondern mit einem Chip, der in Ihr Handy eingebaut ist. Sie wischen mit dem Handy kurz über einen kleinen Kasten an der Rezeption und das war’s. Auf Wunsch wird von nun an auch Ihr Wagen per GPS geortet, um Sie auf die nächstgelegenen Vertragswerkstätten aufmerksam zu machen. Das Ergebnis wird Ihnen in Ihre Multicodex-Frontscheibe gespiegelt, die seit 2020 zum Standard aller großen Autohersteller gehört.

      Wie man sieht, gehen wir aufregenden Zeiten entgegen. Das kleine Beispiel der Autowerkstatt soll zeigen, wie weit wir uns von Pflugscharen und Katapulten wegbewegt haben und wie viel wir bei Modernisierung

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